4. November 2006

Siebenbürgische Märchen präsentiert von Claus Stephani

Eine Veranstaltung der Dokumentarausstellung „Ein jeder nach seiner Façon“, die zurzeit im Kulturzentrum Kreuzberg-Museum (Berlin) gezeigt wird, war der siebenbürgischer Märchenabend. Während der internationalen 17. Berliner Märchentage wurde so auf diese multiethnisch und multikulturell geprägte Kulturlandschaft am Rande der Karpaten aufmerksam gemacht.
In der 300-jährigen Geschichte der Zuwanderung in die heutigen Berliner Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg kamen außer Franzosen (Hugenotten), Polen, Deutschböhmen, Schwaben und Türken auch Siebenbürger Sachsen in die deutsche Hauptstadt. Ihre Präsenz wird anhand von Exponaten und Bildmaterial gezeigt, die der Vorsitzende der Landesgruppe Berlin/Neue Bundesländer der siebenbürgischen Landsmannschaft, Diplom-Sozialpädagoge Johann Schöpf, zur Verfügung gestellt wurden.

Die Ausstellung dokumentiert, wie Armut, Krieg und Verfolgung die Menschen dazu zwangen, ihre alte Heimat zu verlassen, um sich nach Flucht oder Umsiedlung in einer fremden Umgebung eine neue Existenz aufzubauen. Besonders den aus Siebenbürgen stammenden Einwanderern und Aussiedlern ist dies meist erfolgreich gelungen, das zeigt unter anderem eine Fotogalerie, die in den letzten Jahren bei traditionellen Brauchtumsfesten entstanden ist.

Beim siebenbürgischen Märchenabend, der auf Initiative von Ulrike Treziak vom Kreuzberg-Museum, in Zusammenarbeit mit dem Landesverband der Siebenbürger Sachsen zustande kam, hielt der Ethnologe und Schriftsteller Dr. Claus Stephani (München) einen Vortrag zum Thema „Viele Sprachen – eine Welt“. Dabei wies er besonders auf Aspekte der Multiethnizität in karpatischen Volksmärchen hin und kommentierte Wechselbeziehungen und Wandermotive.

Anschließend las Stephani eine Auswahl von Volkserzählungen vor, die er selbst in den letzten Jahrzehnten aufgezeichnet und veröffentlicht hat. Es handelt sich dabei um Texte aus den Sammelbänden „Märchen der Rumäniendeutschen“ (1992), „Sagen der Rumäniendeutschen“ (1994) und „Ostjüdische Märchen“ (1998), die im Eugen-Diederichs-Verlag, München, erschienen sind. Dabei verdeutlichte Stephani, dass „im großen karpatischen Raum alle Volkserzählungen, das heißt jene der Rumänen, Siebenbürger Sachsen, Madjaren, Szekler, der Juden und Armenier und auch der Zigeuner, als geistige Kinder gemeinsamer oder ähnlicher Erzählsituationen, von Inhalten und Motiven her oft verwandt’ sind.“ Denn „im ‚Freiraum der Phantasie’ begegnen sich die Volksgruppen in einer gemeinsamen Welt, auch wenn sie verschiedene Sprachen sprechen. Siebenbürgen war bereits über Jahrhunderte eine multiethnisch und multikulturell geprägte Landschaft, „und das zu einer Zeit, als hier in Westeuropa der Begriff von der erwünschten und letztendlich kaum realisierten multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft noch nicht bekannt war“.

Denn „am Rande der Karpaten“, so Stephani, war „Multiethnizität eine selbstverständliche Tatsache, sie entstand durch Akzeptanz und Toleranz und als Ergebnis eines schicksalhaften Nebeneinanderlebens“. Das spiegelt sich auch in der Märchenwelt und im alltäglichen Erzählen wieder. In der darauf folgenden Diskussion mit dem zahlreichen Publikum – darunter auch Berliner Siebenbürger Sachsen – beantwortete Stephani Fragen zum „siebenbürgische Europa im Karpatenraum“ und die wieder einmal zeigten, wie groß das Interesse an dieser alten Kulturlandschaft ist.

M. W.


Schlagwörter: Lesungen, Rumänien und Siebenbürgen

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