28. Dezember 2007

Richard Wagners Roman über ein viel zu gutes reiches Mädchen

Nach dem zum Teil umstrittenen Essayband „Der deutsche Horizont. Vom Schicksal eines guten Landes“, der 2006 erschienen ist, hat Richard Wagner den Roman „Das reiche Mädchen“ veröffentlicht, in dem sich der Autor innerdeutschen Befindlichkeiten widmet.
Mit einem verknappten Märchenwort: „Rucke di gu. Blut [ist] im Schuh“, beginnt der Banater und Wahl-Berliner Richard Wagner sein neues Buch „Das reiche Mädchen“. Die Märchenwelt wird aber nur dunkel angerissen, denn stehenden Fußes folgt der Verweis auf eine Todesanzeige. Ein gelungener Anfang, der den Leser mitten in die Handlung versetzt. In dieser Art geht es auch weiter: Der Ich-Erzähler – später als Carlo Kienitz, Ghostwriter und Frauensammler beschrieben – führt Regisseurin Anna Wysbar ein und beschreibt das Thema kurz: Es geht um Sybille Sundermann, eine Ethnologin, die neun Jahre zuvor gestorben ist. „Sie lebte mehrere Jahre mit einem Rom zusammen. Einem serbischen Deserteur. Die beiden hatten ein Kind, ein Mädchen. Und dann war sie tot. Im Streit von ihrem Geliebten erstochen“, heißt es.

Damit wäre eigentlich schon alles erzählt, aber bei weitem noch nicht alles gesagt, denn Richard Wagner lädt zu einer Ergründung der genaueren Umstände dieser Lebensgeschichte ein. Anstoß dafür war offenbar auch ein wahres Schicksal, wie Richard Wagner in einem Interview im DeutschlandRadio Berlin bestätigt („Gutmenschentum als Weg in die Katastrophe“ – Interview von Holger Hettinger, 4.9.2007). Dennoch handelt es sich hier nicht um eine Biografie.

Im Roman verquickt Wagner Balkanproblematik mit aktueller innerdeutscher Befindlichkeit und das ist gelinde gesagt heikel. Denn hier geht es zur Abwechslung um Ausländerfreundlichkeit, und zwar um ein Übermaß davon: Der Gutmensch Sybille Sundermann, Bille genannt, schämt sich für seine Zugehörigkeit zu einer reichen Unternehmerfamilie. Diese hatte während der Nazizeit von Zwangsarbeitern profitiert. Billes schlechtes Gewissen ist einer der Gründe, warum sie sich zunächst so sehr für Indianer und später in Berlin für Roma engagiert. Ihre Anteilnahme fließt in eine Liebe über, ja sie quillt sogar über: Der Flüchtling Dejan Ferari ist ihr Gegenstand. Dessen italienisch angehauchter Name ist bereits Teil des Dramas, da sich Dejan ungern auf seine Volkszugehörigkeit als Rom reduzieren lässt. Bille will aber unbedingt eine echte Romni werden, was ihr zum Verhängnis wird.

Das „Objekt“ ihres Gutmenschentums entzieht sich der ihm aufgedrängten Großzügigkeit: Dejan Ferari will nicht „nur“ Rom sein, nicht als Vertreter der Roma-Nation herhalten müssen. Er ist schließlich auch noch Mann, und zwar einer „der seinen Traum verloren hat“.

Richard Wagner erzählt stichwortartig durch die Brille des Skriptschreibers Carlo: „Plötzlich ist alles wieder da, die frühen Neunziger, das junge vereinte Deutschland. Die Ausländerfrage. Der Krieg in Jugoslawien. Die Flüchtlinge, Berlin, die neue Hauptstadt.“ Diese Knappheit, die die Information punktiert im Schlagzeilenstil wiedergibt, ist für einen mündigen Leser gedacht, der sich nicht von irgendeinem Märchenerzähler einlullen lassen möchte. Immer wieder jongliert Wagner mit den Erzählebenen, von der produktiven und kreativen Erzählerebene eines entstehenden Filmskripts zur „möglichen“ Erzählungsebene der Liebes- und Schuldgeschichte, vom Schreibprozess zum Produkt. Durch diesen Wechsel nur als „mögliche Variante“ umrissen, wirkt das Romanprodukt umso authentischer.

Sehr schön verwebt der als Dichter, Romancier und Essayist bekannte Autor Lokalkolorit in Romanes und Musikzitate, passend für eine filmreife Untermalung. Die Vorlieben Wagners für die Romanakteure scheinen zum Schluss hin etwas ungerecht verteilt, nichtsdestotrotz kann sich das Gesamtergebnis ohne weiteres lesen lassen.

Edith Ottschofski

Wagner, Richard: Das reiche Mädchen. Roman, Berlin: Aufbau-Verlag 2007, 255 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-351-03226-5.
Das reiche Mädchen. Roman
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Das reiche Mädchen. Roman

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Schlagwörter: Rezension, Roman, Banat

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