2. April 2008

Zwischen Himmel und Hölle: „Die verbrannten Dichter“

Das Kunstmuseum Solingen zeigt 75 Jahre nach der Bücherverbrennung durch die Nazis die Ausstellung „Die verbrannten Dichter“ der Sammlung Serke: Die Verfolgten von Döblin bis Celan.
„Ich hatte den ,Zarathustra‘ gelesen, noch in Hermannstadt, ehe die Flucht überhaupt begann, in der Speisekammer, in der ich mein ,eignes Zimmer‘ eingerichtet hatte, ein Nichts von einem Raum, in dem man aber herrlich, aus der nur ein wenig aufgebrochenen Bücherkiste, lesen konnte“, schreibt die aus Czernowitz stammende Literaturkritikerin Elisabeth Axmann in ihren Erinnerungen „Wege, Städte“. Literatur in totalitären Zeiten ist aber nicht nur eine Fluchtwelt, sondern auch eine scharfe Waffe gegen das Regime. Für viele Autoren bedeutete das: Verfolgung, Tod oder Exil.

„Und als ich wiederkam, da kam ich nicht wieder“, zog Alfred Döblin resigniert sein Fazit, als er 1946 aus dem Exil zurückkehrte. Fuß fassen konnte er in Westdeutschland nicht mehr. Andere, obwohl in der deutschen Literatur präsent, kehrten nicht zurück. Erich Fried blieb in London, Paul Celan ging aus Rumänien nach Paris, „und selbst Thomas Mann stellte die Schweizer Grenze zwischen sich und Deutschland“, sagt Jürgen Serke. Seine Sammlung der verfolgten Literatur wird im Museum Baden in Solingen unter dem Titel „Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989 – Die verbrannten Dichter“ präsentiert.

Seit 2004 ist im Museum Baden bereits die Sammlung Schneider beheimatet, die sich den während der Nazi-Zeit verfemten Malern widmet. Damit gibt es unter dem Dach des Kunstmuseums Solingen das erste Zentrum der verfolgten Künste in Europa. Auf 2 500 Quadratmetern wird in die deutsche Literatur des Widerstandes und des Exils von 1933 bis 1945 geführt, in die verfemte Malerei und Fotografie.

Mit der Ausstellung „Die verbrannten Dichter“ wird 75 Jahre nach den Bücherverbrennungen von 1933 realisiert, was 1994 mit dem Stiftungs-Aufruf für ein „Zentrum der verfolgten Künste“ begonnen hat, initiiert von der Wuppertaler Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft und dem PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland (London). Begleitende Ausstellungen schlagen die Brücke bis ins Wendejahr 1989. Serke besuchte mit Fotografen Autoren aus dem Ostblock in ihrem Exil im Westen. Diese menschlich eindringlichen Fotos werden gleichfalls gezeigt – etwa von Paul Goma, dessen Leben von Verfolgung und Flucht geradezu gekennzeichnet ist. 1935 im damals rumänischen Bessarabien geboren, floh die Familie 1944 nach der Verhaftung des Vaters durch die sowjetischen Besatzer nach Hermannstadt: Verstecke in den Wäldern, Internierung in Schäßburg. Es folgte für Goma das Studium in Făgăraș und Bukarest, die Auseinandersetzung mit dem Regime, Verhaftung und Ausbürgerung 1977. 1981 besuchte Serke Goma in seinem Pariser Exil.

Bei der Ausstellung „Die verbrannten Dichter“ handelt es sich nicht um eine Bücherschau. Die Macher legen den Schwerpunkt darauf, dass die Besucher mit den Schriftstellern in einen Dialog treten – die Opfer des Nationalsozialismus auf diese Art zurück ins Leben holen. Handschriften, Manuskripte, Erstausgaben, Fotos und erläuternde Texte setzen sich mosaikartig zusammen, lassen Leben, Zeitumstände und Schicksal des Einzelnen lebendig werden. Zusammengenommen ist dann eine erschütternde Übersicht über die Auswirkungen der gnadenlosen NS-Verfolgungs- und Vernichtungsmaschinerie. Beispielhaft mögen drei Schriftsteller dafür stehen, die Serke „die drei von Czernowitz“ nennt: Paul Celan, Rose Ausländer und Selma Meerbaum-Eisinger. Czernowitz, bis 1918 nordöstlichster Zipfel des Habsburger Reiches, dann rumänisch und seit Ende des 2. Weltkrieges ukrainisch, war ein Schmelztiegel intellektueller Strömungen, in denen sich die gebildeten Juden, Deutschen, Rumänen und Ukrainer für die junge Literatur begeisterten: von Benn bis Brecht, von Trakl bis Lasker-Schüler.

Diesem fruchtbaren Umfeld entstammen „die drei von Czernowitz“ – die jeder auf seine Weise durch die Hölle gehen mussten. Mit erst 18 Jahren musste Selma Meerbaum-Eisinger 1942 in demselben SS-Lager sterben, in dem auch Celans Eltern ihr Leben verloren. Paul Celan, heute unbestritten einer der größten Lyriker des katastrophischen 20. Jahrhunderts, überstand die Lager, wurde in Frankreich mehrfach in psychiatrischen Kliniken behandelt und starb 1970 vermutlich durch eigene Hand in Paris.

Rose Ausländer überlebte in einem Kellerversteck im Czernowitzer Ghetto. Über die USA kam sie nach Düsseldorf und lebte zuletzt in selbstgewählter Isolation. Jürgen Serke besuchte sie 1977: „Sie schluckt 30 Tabletten am Tag, ist voller Chemie und schreibt zarteste Natur- und Liebeslyrik.“ Elf Jahre später starb Ausländer im Alter von 87 Jahren. „Und du, der alles weiß, lässt es geschehen – und sendest nicht ein Heer von Engeln?“, schrieb die Dichterin.

„Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989 – Die verbrannten Dichter“: Ausstellung der Sammlung Serke im Museum Baden/Kunstmuseum Solingen, Wuppertaler Straße 160, 42653 Solingen. Geöffnet: Dienstag bis Sonntag: 10 bis 17 Uhr. Die Ausstellung läuft bis Ende des Jahres. Internet: www.museum-baden.de.

Jan Crummenerl

Schlagwörter: Bukowina

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