27. November 2009
Internationale Tagung in Tübingen: Europäisierung von Westen nach Osten
Bei der diesjährigen Tagung des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde (IdGL) in Tübingen stand das Raumwissen in der östlichen Habsburgermonarchie im 18. und 19. Jahrhundert im Mittelpunkt. Vom 29. bis 31. Oktober zeichneten Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich, Rumänien und Ungarn unter den Stichworten „Beschreiben und Vermessen“ die Entwicklung der Länderkunde und der Kartographie sowie die damit in engem Zusammenhang stehende moderne Staatenbildung nach.
Zahlreiche Interessenten fanden sich bei der Tagungseröffnung in dem Großen Senat der Neuen Aula der Tübinger Universität zusammen. In Ihrem Grußwort bezeichnete Dr. Sibylle Müller, Innenministerium des Landes Baden-Württemberg, das IdGL als eines der Standbeine der Kulturarbeit in Baden-Württemberg und hob die Bedeutung der „Fortsetzung und Intensivierung des wissenschaftlichen Austausches über die Grenzen hinweg“ hervor. Ähnlich äußerte sich auch Prof. Dr. Reinhard Johler, der seit September 2008 das Institut leitet und in die Tagungsthematik einführte: Die namhafte wissenschaftliche Einrichtung schlage eine „Brücke“ zu Südosteuropa.
Peter Becker (Linz) ging im einführenden Vortrag zurück ins ausgehende 17. Jahrhundert, als sich die moderne Verwaltung gerade in ihren Anfängen befand. Welche Bedeutung die Kartographie seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert in Ungarn und Siebenbürgen hatte, zeigte Antal András Deák (Gran/Esztergom). Eine wichtige Funktion der in Zeiten des Krieges und des Friedens erstellten Karten war die territoriale Abgrenzung der Gebiete nach den jeweiligen Herrschaftsverhältnissen. Als die Osmanen ihre ungarischen und siebenbürgischen Territorien an das Haus Österreich verloren, vermittelte die visuelle Darstellung nicht nur die veränderte territorialpolitische Wirklichkeit. Laut Robert Born (Leipzig) formte sie diese zugleich in der öffentlichen Wahrnehmung. Born referierte über die habsburgisch-osmanischen Auseinandersetzungen und die Entwicklung der Kartographie in Ostmitteleuropa. Karten dienten „als Form bzw. Medium zur Visualisierung des Wissens und der damit assoziierten Machtansprüche“. Den Begründer der modernen wissenschaftlichen Kartographie Max Eckert-Greiffendorf zitierend, brachte Gyula Pápay (Rostock) diese These auf den Punkt: „Die Karte ist Staatswissen, ist Weltwissen, Weltwissen aber Macht“ (1939).
In der späten mariatheresianischen und in der josephinischen Zeit wurden in der Habsburgermonarchie „Seelenbeschreibungen“ und Volkszählungen (1785/1786) durchgeführt. Die Erhebung von Statistiken und die Beschreibung und Vermessung des Landes gingen Hand in Hand. Unter „Landesbeschreibungen“ sind mehr oder weniger ausführliche Texte für den verwaltungsinternen Gebrauch vorzustellen, die die territorialpolitische und verfassungsrechtliche Stellung, die räumlichen und siedlungsgeographischen Begebenheiten wie auch die natürlichen und wirtschaftlichen Ressourcen eines Landes oder einer Provinz wiedergeben. Auch im Kriegsfall wurden topographische Landesbeschreibungen herangezogen, die die Orientierung im Gelände ermöglichten. Aus der frühneuzeitlichen Landeskunde entwickelte sich im Zeitalter des frühen Kapitalismus und der Nationsbildung die moderne Länderkunde. Rudolf Gräf (Klausenburg) spezifizierte mit den 1855 aus Anlass der Privatisierung der Staats-Eisenbahn-Gesellschaft im Banater Montangebiet erarbeiteten Domänen- und Werkbeschreibungen eine Erhebungsform, die den Übergang zur frühen Industriegesellschaft kennzeichnet.
Sebastian Kinder (Tübingen) veranschaulichte die Entstehung der geographischen Länderkunde an einer Übersichtsdarstellung des österreichischen Geographen und Lehrbuchautors Alexander Supan (1847-1920). Im Vergleich zum hochentwickelten Böhmen war Siebenbürgen für ihn nur „ein Ackerland“. Damit verlieh er einem wesentlichen Element des geographischen Siebenbürgenbilds, nämlich dem westöstlichen Entwicklungsgefälle, das nebst der ethnokonfessionellen Vielfalt die Wahrnehmung des Landes in der Wissenschaft und Öffentlichkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts entscheidend prägte, Ausdruck. Die „Europäisierung von Westen nach Osten“ sei auch in erzählten Raumbildern festzumachen.
Weitere Informationen zu dieser wissenschaftlichen Veranstaltung finden sich auf der Internetseite www.idglbwl.de. Ein Band, in dem die Tagungsbeiträge in ausführlicher Form zusammengestellt sind, soll zeitnah erscheinen.
Peter Becker (Linz) ging im einführenden Vortrag zurück ins ausgehende 17. Jahrhundert, als sich die moderne Verwaltung gerade in ihren Anfängen befand. Welche Bedeutung die Kartographie seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert in Ungarn und Siebenbürgen hatte, zeigte Antal András Deák (Gran/Esztergom). Eine wichtige Funktion der in Zeiten des Krieges und des Friedens erstellten Karten war die territoriale Abgrenzung der Gebiete nach den jeweiligen Herrschaftsverhältnissen. Als die Osmanen ihre ungarischen und siebenbürgischen Territorien an das Haus Österreich verloren, vermittelte die visuelle Darstellung nicht nur die veränderte territorialpolitische Wirklichkeit. Laut Robert Born (Leipzig) formte sie diese zugleich in der öffentlichen Wahrnehmung. Born referierte über die habsburgisch-osmanischen Auseinandersetzungen und die Entwicklung der Kartographie in Ostmitteleuropa. Karten dienten „als Form bzw. Medium zur Visualisierung des Wissens und der damit assoziierten Machtansprüche“. Den Begründer der modernen wissenschaftlichen Kartographie Max Eckert-Greiffendorf zitierend, brachte Gyula Pápay (Rostock) diese These auf den Punkt: „Die Karte ist Staatswissen, ist Weltwissen, Weltwissen aber Macht“ (1939).
In der späten mariatheresianischen und in der josephinischen Zeit wurden in der Habsburgermonarchie „Seelenbeschreibungen“ und Volkszählungen (1785/1786) durchgeführt. Die Erhebung von Statistiken und die Beschreibung und Vermessung des Landes gingen Hand in Hand. Unter „Landesbeschreibungen“ sind mehr oder weniger ausführliche Texte für den verwaltungsinternen Gebrauch vorzustellen, die die territorialpolitische und verfassungsrechtliche Stellung, die räumlichen und siedlungsgeographischen Begebenheiten wie auch die natürlichen und wirtschaftlichen Ressourcen eines Landes oder einer Provinz wiedergeben. Auch im Kriegsfall wurden topographische Landesbeschreibungen herangezogen, die die Orientierung im Gelände ermöglichten. Aus der frühneuzeitlichen Landeskunde entwickelte sich im Zeitalter des frühen Kapitalismus und der Nationsbildung die moderne Länderkunde. Rudolf Gräf (Klausenburg) spezifizierte mit den 1855 aus Anlass der Privatisierung der Staats-Eisenbahn-Gesellschaft im Banater Montangebiet erarbeiteten Domänen- und Werkbeschreibungen eine Erhebungsform, die den Übergang zur frühen Industriegesellschaft kennzeichnet.
Sebastian Kinder (Tübingen) veranschaulichte die Entstehung der geographischen Länderkunde an einer Übersichtsdarstellung des österreichischen Geographen und Lehrbuchautors Alexander Supan (1847-1920). Im Vergleich zum hochentwickelten Böhmen war Siebenbürgen für ihn nur „ein Ackerland“. Damit verlieh er einem wesentlichen Element des geographischen Siebenbürgenbilds, nämlich dem westöstlichen Entwicklungsgefälle, das nebst der ethnokonfessionellen Vielfalt die Wahrnehmung des Landes in der Wissenschaft und Öffentlichkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts entscheidend prägte, Ausdruck. Die „Europäisierung von Westen nach Osten“ sei auch in erzählten Raumbildern festzumachen.
Weitere Informationen zu dieser wissenschaftlichen Veranstaltung finden sich auf der Internetseite www.idglbwl.de. Ein Band, in dem die Tagungsbeiträge in ausführlicher Form zusammengestellt sind, soll zeitnah erscheinen.
Käthe Hientz
Schlagwörter: Tagung, Europa, Geographie
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