21. März 2000

Die Siebenbürger Sachsen in Österreich

Ein Grundsatzpapier zur aktuellen Lage und den Zukunftsaussichten der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Österreich hat Bundesobmann Volker Petri im März 2000 in Salzburg vorgelegt. 55 Jahre Leben in Österreich hat aus den Siebenbürger Sachsen zunehmend Österreicher gemacht. Nur 1 700 Mitglieder, das heißt 4,2 Prozent der etwa 40 000 in Österreich lebenden Siebenbürger Sachsen, zählt die Landsmannschaft. Die Alternative zu Pessimismus und Resignation können nur Besinnung und Visionen sein. Der wirtschaftliche Beitrag der Siebenbürger Sachsen zum Aufschwung Österreichs, ihre Geschichte müssen durch Vorträge, Publikationen und Feste mehr ins Bewusstsein gehoben werden. 800 Jahre des Zusammenlebens mit anderen Völkern und Konfessionen, das Festhalten an westeuopäischen Trationen, sind als Erfahrungsschatz bedeutend für die Zukunft des zusammenwachsenden Europas.
In Salzburg hat am letzten Wochenende die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Österreich ihre Bundeshauptversammlung abgehalten. Dort hat Mag. Volker Petri, Seelsorger in Seewalchen-Rosenau und Bundesobmann der Vereinigung, ein Grundsatzpapier zur gegenwärtigen Lage und den Zukunftsaussichten der Landsmannschaft in Österreich vorgelegt. Wenn die gegenwärtige Situation de österreichischen Landsleute von der Geschichte ihrer Aussiedlung aus Siebenbürgen, ihres Zusammenschlusses, von ihrer zahlenmäßigen Stärke, der Lebenssituation und den Inhalten ihrer Verbandsarbeit her auch eine andere als die in Deutschland ist, enthält das Papier dennoch Problemstellungen und Lösungsansätze, die von allgemeinem Interesse sind oder es in absehbarer Zeit auch hierzulande sein könnten. Demgemäß werden im Folgenden die Ausführungen Petris auszugsweise abgedruckt.

Nach einem Rückblick auf die Bedingungen und den Ablauf der Aussiedlung von Siebenbürger Sachsen nach Österreich sowie deren gelungene Integration in die Gesellschaftsstrukturen des Nachbarlandes, widmet sich Petri der hauptsächlich von Überalterung bestimmten „kritischen Lage“ des dortigen Verbands, die er mit folgender „Gegenüberstellung“ verdeutlicht: „Rechnet man heute alle in Österreich noch lebenden Siebenbürger Sachsen zusammen sowie alle, die ihrer Herkunft nach Interesse an der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft haben könnten, ergibt sich ungefähr die Zahl 40 000... Die Mitgliederzahl der Landsmannschaft hingegen liegt lediglich bei 1 700, das sind nur 4,2 Prozent vom möglichen und ansprechbaren Personenkreis.“ Dazu führt Petri aus:
„Von dieser Spannweite aus gesehen wirkt die Mitgliederzahl von 1 700 erschütternd. Will die Landsmannschaft andererseits nur die ‚originären Siebenbürger Sachsen‘ vertreten, die von ehemals 22 000 auf fast die Hälfte zusammengeschrumpft sind und von Jahr zu Jahr weiter zusammenschmelzen, fallen wir in die Rolle des Altenpflegers, dessen Arbeit mit dem natürlichen Tod des Patienten endet. Dankenswert groß ist dagegen weiterhin die Zahl derer, die sich gerne für die landsmannschaftliche Arbeit zur Verfügung stellen: sie beträgt stellenweise zehn Prozent der jeweiligen Mitgliederzahl, doch dieser engagierte Kreis ist weitgehend ebenfalls auf die ältere Generation beschränkt.
Die Lage ist, ungeachtet allen Engagements von Interessierten, für uns – sehen wir von dem ‚natürlichen Ende unserer Rolle als Altenpfleger“ einmal ab – auch aus anderen Gründen existenzbedrohend: Eine Gemeinschaft, die immer weniger Mitglieder hat, hat auch nicht mehr viel zu sagen. Die Siebenbürger Sachsen verlieren ihr Gewicht als Interessengruppe innerhalb der österreichischen Öffentlichkeit. In wessen Namen sprechen wir vor den österreichischen und auch rumänischen Behörden und Politikern, wenn nur noch 1 700 Mitglieder hinter uns stehen? Unser Wort verliert im Kampf für unsere Rechte an Brisanz und Legitimität. Wie lange können wir überhaupt noch die Interessen der Landsleute nach außen hin vertreten?“ Dazu komme noch folgendes: „Je kleiner eine Gemeinschaft ist, desto weniger Anspruch auf Förderung von öffentlicher Seite hat sie.“ Demgemäß, so Petri, sei die Landsmannschaft auch von der finanziellen Situation her in ihrer Existenz gefährdet.
Auf der Suche nach den Ursachen für die Krise stößt der österreichische Bundesobmann zunächst auf die allgemein in der heutigen Gesellschaft feststellbaren „gemeinschaftsfeindlichen Tendenzen“ und führt aus:
„Mit der Aufsplitterung der Großfamilie werden die Lebenskreise immer enger. Die Kinder ziehen aus und schaffen sich mit der eigenen Existenz ein eigenes Heim; Einkindfamilien, allein erziehende Mütter und auch die sogenannten ‚Singles‘ werden mehr und mehr zu Lebensformen in unserer Gesellschaft. Sie fördern Individualismus und Egoismus und lassen die Gemeinschaftsfähigkeit verkümmern. Auch der hohe Stellenwert von Wohlstand und Konsum fördert eher eine fordernde Einstellung als die Bereitschaft zu gemeinschaftlichem Agieren, zu ‚unrentablen‘ Leistungen. Auf der anderen Seite und vielleicht gar nicht im Widerspruch dazu herrscht das Bestreben, individuelle Eigenart aufzugeben, sich im Sinne der „Globalisierung“ einer Art Weltzivilisation anzupassen.
Zusätzlich haben Probleme mit der Vergangenheitsbewältigung dazu geführt, dass das Interesse an der Geschichte und an allem, was damit zusammenhängt, schwindet: Fragen nach Herkunft, Heimat, kultureller Eigenart werden nur allzu leicht als Äußerungen nationalistischer oder gar faschistoider Geisteshaltung verstanden; die Landsmannschaften werden auch heute noch von vielen Österreichern in die rechte Ecke gestellt. So scheint etwa die Volkskultur nur noch als Show-Stück mit Markt- und Unterhaltungswert eine Daseinsberechtigung zu haben. Das ‚Verheizen‘ der siebenbürgisch-sächsischen Kirchen- und Festtracht bei derartigen Veranstaltungen könnte ein Abfallen ins folkloristisch Belanglose zur Folge haben, obzwar gerade die bisherige Verwendung der Trachten bei Festen und Feiern eher zur Hebung unseres Ansehens in der Öffentlichkeit beigetragen hat...
55 Jahre Leben in Österreich hat aus den Siebenbürger Sachsen zunehmend Österreicher gemacht... Neue Generationen mit einem neuen Lebensgefühl stehen der alten gegenüber, sind nur noch indirekt, über die Großeltern und zum Teil die Eltern mit Siebenbürgen verbunden. Siebenbürgen selbst, das unserer Gemeinschaft Inhalt und Sinn gab, hat sich für die Heutigen von einer Identifikationsgrundlage zum beliebigen Notstandsgebiet gewandelt, wie es noch viele andere in der Welt gibt. Man kann natürlich von der ‚gelungenen Intergration‘ sprechen, aber wo liegt da die Grenze zur Assimilation, zum Aufgehen, zum Verschwinden der Minderheit in der Mehrheit?
Angesichts der neuen Gegebenheiten macht sich Resignation als Einstellung breit. Fast alle von mir besuchten Nachbarschaften leiden an Überalterung; es wird immer schwerer, neue Mitglieder zu werben und neue Funktionäre zu gewinnen, die bereit sind Verantwortung zu tragen. Nachbarschaften schrumpfen, einige von ihnen denken an Auflösung, weil viele keinen Sinn mehr in ihrer Existenz sehen; alte, traditionsreiche Vereine haben Schwierigkeiten, auch nur mehr das Nötigste an Aktivitäten vorweisen zu können. Seriöse und ernst gemeinte Fragen ziehen Sinn und Zweck der Landsmannschaft in Zweifel, da Siebenbürgen aufgegeben worden sei und die Siebenbürger Sachsen in Österreich aufgegangen seien. Man spricht etwas pathetisch vom Ende: ‚Wir haben unsere Pflicht getan, und es ist Zeit, würdig von der Bühne dieser Welt abzutreten und das Ende anzunehmen!‘
Solche Stimmen entmutigen, verunsichern, lähmen gar unsere Gemeinschaft. Sie haben eine gefährliche Sogwirkung: Wenn man einem Patienten lange genug erzählt, wie hoffnungslos sein Fall ist und dass er eigentlich verloren sei, glaubt er das auch nach einiger Zeit und ist nicht mehr bereit, Energien zu mobilisieren, um gegen seine Krankheit anzukämpfen.
Die Alternative zu Pessimismus und Resignation können daher nur Besinnung und Visionen sein. Wir müssen also Antworten auf die Sinnfragen finden, müssen die Herausforderung annehmen! Denn es geht um unsere Zukunft, die Zukunft der österreichischen Siebenbürger Sachsen: Wir wollen nicht sang- und klanglos nach nur 55 Jahren von der Bildfläche dieses Landes verschwinden. Dazu aber sind persönlicher Einsatz und die Motivation unserer Mitarbeiter Vorbedingung.
Das Interesse an unserer Gemeinschaft und Kultur ist vorhanden. Weitsichtige Politiker und unser Bischof schätzen unseren Beitrag und haben ein Interesse daran, dass wir als österreichische Siebenbürger Sachsen vorhanden bleiben. Die wirtschaftliche Kraft unserer Gemeinschaft, der Beitrag unserer Eltern zum Wiederaufbau und bei der Schaffung des heutigen Wohlstands wird gewürdigt. Wir leben nicht von ‚Gnadenbrot‘, sondern haben uns durch Arbeit, Einsatz, Liebe und Treue zum Land unseren Platz in der hiesigen Gesellschaft erworben. Wir sind ein wichtiger Teil der Evangelischen Kirche in Österreich. Über zehn Prozent der Evangelischen hierzulande haben siebenbürgische Wurzeln, in Oberösterreich stellen wir sogar über zwanzig Prozent der evangelischen Bevölkerung.
Wir Siebenbürger besitzen eine der ältesten demokratischen Strukturen Europas, die wir aus der Urheimat im 12. Jahrhundert nach Siebenbürgen mitnahmen; Sie sind u.a. im Recht auf freie Pfarrer- und Bürgermeisterwahl sichtbar und haben sich in der Geschichte bewährt. Demokratischer ‚Urinstinkt‘ solcher Art ist auch heute gefragt.
Siebenbürgen hat seinen Bewohnern schon im 16. Jahrhundert, auf den Landtagen von Thorenburg 1542 und 1554, die Glaubensfreiheit garantiert, Österreich erst 1881 mit dem Protestantenpatent. In unserer Welt, wo einerseits Gleichgültigkeit und andererseits Fanatismus wohnen, kann gerade unsere Erfahrung mit der Glaubensfreiheit befreiend wirken. Siebenbürgen ist ein Beispiel für das friedliche Zusammenleben von Völkern und Konfessionen und zeigt exemplarisch, was Multiethnie und Multikonfessionalität auch an Vorteilen bringen können. Auch diese Erfahrung ist ein wichtiger Beitrag, den wir in die heutige Gesellschaft einbringen können...
Deshalb muss unsere Geschichte mehr ins Bewusstsein unserer Leute gehoben werden. Vorträge, Publikationen, Feste können das schaffen. Nicht geschichtsvergessene und anonyme Menschen braucht dieses Land, sondern solche, die um ihre Geschichte und Identität Bescheid wissen, auch über Siebenbürgen und seine Menschen, war dieses doch Teil der k.u.k. Monarchie.
Gut geplante Reisen nach Siebenbürgen können das kulturelle und historische Interesse wecken. Unsere Vorfahren haben als westliche Kulturträger in ihren Wohngebieten Siebenbürgen sichtbar geprägt. Die Intoleranz der katholischen Habsburger, der Chauvinismus der Ungarn sowie die rechtliche und wirtschaftliche Benachteiligung durch Rumänien und sein kommunistischen Regime werden in der Geschichte Siebenbürgens, in verlassenen Dörfern, an einigen schon zu Ruinen absinkenden Kirchenburgen erleb- und erfahrbar, der Blick für die Folgen falscher Politik und für die heute so aktuellen Probleme in Europa, etwa auf dem Balkan, wird dort klarer.
Das Besondere an unserer Kultur als dem „Unikat“ einer kleinen Gemeinschaft, die im fernen Siebenbürgen an alten westeuropäischen Traditionen festhielt und im Zusammenleben mit anderen Völkern bereichert wurde, wird in unserem Brauchtum und in unserer Tracht sichtbar. Gerade sie ist beredtes Zeugnis einer jahrhundertelangen Traditionsgeschichte mit vielfältigen Einflüssen. Dieses nicht Alltägliche, um nicht zu sagen: Exotische unserer Gemeinschaft müsste in unserer platten Zivilisation eigentlich anziehend wirken. Unsere Kultur und Geschichte sind etwas Besonderes und Ausgefallenes. Das können wir vermitteln und darauf neugierig machen...
Mit den großen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen nach 1989 fällt uns ein wichtiger Part als Vermittler zwischen den Völkern zu: 800 Jahre des Zusammenlebens mit anderen Völkern und Konfessionen sind als Erfahrungsschatz bedeutend für die Zukunft des erweiterten und hoffentlich zusammenwachsenden Europas.
Über den Verband der Landsmannschaften Österreichs haben wir eine wichtige Stimme im österreichischen Parlament, das uns durch das Außenamt in rechtlichen Fragen gegenüber Rumänien vertritt. So sind wir auch nach der dort eingesetzten Demokratisierung weiterhin gehalten, unsere Rechte zu artikulieren und einzufordern, unsere wahre Geschichte anerkennen zu lassen, unser kulturelles Erbe in Siebenbürgen zu schützen. Das kann der Einzelne nicht, dazu ist allein eine funktionierende Landsmannschaft fähig.
Damit sie funktionieren kann, müssen wir unser Augenmerk immer stärker den ‚österreichischen Siebenbürgern‘ zuwenden, den Angehörigen der hier geborenen Generationen. Sie haben einen ganz anderen Ausgangspunkt, eine andere Erfahrungswelt und ein anderes Selbstverständnis. Bei ihnen sind viele Voraussetzungen unseres nachbarschaftlichen Lebens so nicht mehr vorhanden. Unsere Anliegen sehen sie mit ihren eigenen Augen. Wir müssen diese Kinder und Enkelkinder von Siebenbürger Sachsen oder mit einem siebenbürgischen Elternteil dort abholen, wo sie sind, und ihnen zu einer positiven Einstellung unserer Sache gegenüber verhelfen. Als Möglichkeiten bieten sich an:
Das soziale Engagement zu wecken. Junge Menschen haben Ideale, und wir können sie auf Siebenbürgen und die dortige Situation aufmerksam machen und sie zu Hilfsaktionen vor Ort motivieren. Die Begegnung mit der Not im heutigen Rumänien macht neugierig, auch nach dem Gestern der Geschichte zu fragen, und gibt jungen Leuten die Möglichkeit, christliche Menschenliebe zu üben und humanitäre Hilfe zu leisten.
Tiefe Gemeinschaft schenken! In unseren Nachbarschaften, die von der christlichen Nächstenliebe leben, soll alte, bewährte Gemeinschaft vermittelt werden, die Freud und Leid des Einzelnen einschließt. Das heißt: Wer dazugehört, sollte bei uns fühlen können, das er ein einzigartiger Mensch mit eigener Geschichte ist und dennoch zu uns gehört. Die Anteilnahme an seinem Leben vermittelt ihm in einer anonymen Welt Geborgenheit. Wir sind eine ‚Großfamilie, die weiß, dass sie zusammengehört‘. Selbstverständlich ist in unserer Gemeinschaft Raum auch für Österreicher anderen Ursprungs sowie jeden Interessierten...
Unsere Tanzgruppen zeigen, wie man Tradition vermitteln und auch junge Menschen motivieren und unserer Gemeinschaft zuführen kann. Außer einer sinnvollen Freizeitgestaltung, den internationalen Verbindungen durch Auftritte, dem durch Herausforderung gestärkten Gruppenbewusstsein werden auch Lebensfreude und Gemeinschaft gestiftet. In diesen Gruppen geschieht Traditionsüberlieferung. Die Identitätsfrage, ob man nun richtiger Siebenbürger, Teilsiebenbürger oder echter Österreicher in Reinkultur ist, spielt bei diesen Jugendlichen keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Ich erfahre diese Gruppen als ‚österreichische siebenbürgische Tanzgruppen‘, eben als eine adäquate neue Form unserer Tradition. Hier sehe ich ein wichtiges Hoffnungszeichen!
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die dritte Generation von österreichischen Siebenbürger Sachsen und an Siebenbürgen interessierten Österreichern uns in einer noch nie dagewesenen Weise herausfordert. Nehmen wir diese Herausforderung an, könnte auch die Frage nach unserer Zukunft vergessen werden. Mit der dritten, nicht mehr ‚traumatisierten‘ Generation stellt sich unserer Landsmannschaft auch eine neue Chance. Dafür gilt es die Wege zu ebnen und nach Zukunft zu suchen. Lernfähig zu bleiben ist sehr wichtig dabei.

Schlagwörter: Verbandspolitik

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