19. Januar 2015

Gedenken an Revolution: Hoffnung auf Aufarbeitung der Ereignisse

In Temeswar, dem Ausgangspunkt der Revolution gegen das kommunistische Regime vor 25 Jahren, erinnerten sich Bürger, aber auch Gäste aus aller Welt im Dezember 2014 an das Geschehen von einst. Auch der gewählte Staatspräsident Klaus Johannis war anwesend.
Die Banater Zeitung (BZ) vom 17. Dezember (Wochenbeilage der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien/ADZ) widmete sich dem Gedenken an die Revoution: Aus ihren Artikeln und Leserbriefen wird deutlich, wie viel von dem Geschehen bis heute noch unaufgearbeitet ist. Über 1000 Menschen hat die Revolution das Leben gekostet – und immer noch ist unklar, wer damals die Befehle zum Schießen auf die eigene Bevölkerung gegeben hat.

Traian Orban, heute Leiter des Revolutionsmuseums in Temeswar, war selbst am 17. Dezember 1989 als Teilnehmer einer Demonstration schwer verwundet worden. Zwei Kalaschnikow-Kugeln zertrümmerten seinen Oberschenkelknochen, nur knapp entging er der Amputation. Wer geschossen hat, ist bis heute unbekannt. Dies obwohl er die erste, in Wien herausoperierte Kugel später der Militärstaatsanwaltschaft übergeben hatte, wo sie bedauerlicherweise „verloren“ gegangen war. Es wäre ein Leichtes gewesen, zumindest die Einheit zu identifizieren, der das Geschoss zugeordnet war, moniert Orban, denn die Kugeln waren mit Registriernummern versehen. Auch die Identität der angeblichen Terroristen, die als Vorwand für die selbst nach dem Tod des Paares Ceaușescu andauernden Schießereien dienten, bleibt nach wie vor ein Mysterium, kritisiert BZ-Chefredakteur Werner Kremm.

In einem Leserbrief berichtet der Physiker Zoltan Balaton über die Nacht vom 16. Dezember 1989: Er und seine Frau hatten beobachtet, wie Securitate-Leute einer Gruppe Jugendlichen einen Wink gaben, worauf diese mit Knüppeln Schaufenster und Verkehrsampeln zertrümmerten. Wer nicht zu einer solchen gehörte, wurde verprügelt und verhaftet, schreibt Balaton. „Dies ist nicht unsere Revolution“, hatte daraufhin seine Frau enttäuscht festgestellt. Orban bestätigt, dass Gruppen von Zivilisten die Schaufenster zwischen dem Bega-Kaufhaus und dem St. Georgs Platz einschlugen, und präzisiert: „Ich wurde den Eindruck nicht los, dass es auf Befehl geschah.“. Einige Personen, die versuchten, den Vandalismus zu verhindern, wurden sofort brutal zusammengeschlagen. Da wurde klar: die Provokation war gesteuert, hatte Plan und Ziel.
Am 22. Dezember 1989 versuchten in Hermannstadt ...
Am 22. Dezember 1989 versuchten in Hermannstadt Milizoffiziere sich aus dem Gebäude der Kreismiliz in die Militäreinheit auf der anderen Straßenseite zu retten (vor der aufgebrachten Bevölkerung). Dabei wurden sie von Soldaten niedergeschossen. Stundenlang lagen die Toten auf der Straße. Foto: Friedrich Schuster
Die Entwicklungen nach der Revolution sollten diese ersten Verdachtsmomente bestätigen. Nicht das Volk hatte das Ruder übernommen, sondern Securitate-Mitglieder den „Kuchen“ geschickt unter sich aufgeteilt. Ihre Leute aus der zweiten, dritten Reihe kamen plötzlich an die Front. „In unserer Militäreinheit hat sich fast nichts geändert“, wunderte sich auch der ehemalige Berufssoldat Gheorghe Chiricheș nach dem Umsturz: „In Führungspositionen blieben die Gleichen“. Enttäuscht zeigten sich auch die bekannten Gesichter der Gegenbewegung des Kommunismus, das Schriftsteller-Ehepaar Ana Blandiana und Romulus Rusan, als sie 1990 den Aufstieg ehemaliger Ceaușescu-Spitzen miterleben mussten. Alle hatten wir damals von einem freien Rumänien geträumt, gesteht Blandiana auf der internationalen Konferenz „25 Jahre nach der Rumänischen Revolution – Wovon wir damals träumten? Wie sind wir aufgewacht?“, die im Dezember in Temeswar stattfand. Doch Prozesse, wie es sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gab, hätte es in Rumänien gar nicht geben können, weil die Besatzermacht fehlte, die dies hätte vorantreiben können, kommt man dort zu dem Schluss.

Vielen Menschen ist heute an einer Aufarbeitung der Ereignisse der Dezember-Revolution gelegen. Vor allem jetzt, unter dem neuen Präsidenten, erwartet man hierfür Impulse. „Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass die Taten der uniformierten Verbrecher vom Dezember 1989 nicht verjähren, und ich hoffe noch immer auf Gerechtigkeit“, bekennt auch Traian Orban. Und fügt hinzu: „Auch auf einen entscheidenden Gerechtigkeitsimpuls vom neuen Präsidenten Klaus Werner Johannis.“

Im Rahmen der Gedenkveranstaltungen wurde auch erstmals der Film „Requiem für Dominic“ in Rumänien gezeigt, der kurz nach der Revolution in Temeswar gedreht worden war. Der 1990 vom österreichischen Regisseur Robert Dornhelm produzierte Streifen, der auch authentische Szenen von kurz nach der Revolution enthält, enthüllt die erschütternde Geschichte des sogenannten „Schlächters von Temeswar“: Dem später als unschuldig rehabilitierten Dominic Paraschiv, dem der Mord an 80 Menschen in die Schuhe geschoben worden war, zu einer Zeit, in der eigentlich niemand mehr hätte sterben dürfen, denn der Diktator war längst gestürzt. In dem Film, der auf einer wahren Geschichte basiert – bei dem Opfer handelt es sich um den Jugendfreund des Regisseurs – geht es auch um die Manipulation der internationalen Presse, die damals stattgefunden hat. Der von der Securitate mit drei Bauchschüssen dahingestreckte angebliche Massenmörder war, schwerverletzt und unbehandelt mit einem Netz spektakulär an sein Krankenhausbett gefesselt, der Weltöffentlichkeit als Sündenbock präsentiert worden. Erst durch die Aufklärung durch seinen Freund, der sich im Film in die Hauptrolle hineingeschrieben hat, konnte dessen Unschuld posthum bewiesen werden. Heute ist Dominic Paraschiv als Märtyrer und Opfer der Revolution rehabilitiert. Aus Rücksicht auf dessen noch lebende Ehefrau Codruța Paraschiv hatte Dornhelm seinerzeit von einer Aufführung des international mehrfach preisgekrönten Films in Rumänien abgesehen. Erst 2014 war er anlässlich des Revolutionsgedenkens erstmals im Sommer in Arad, dann am 19. Dezember in Temeswar und zuletzt am 22. in Bukarest gezeigt worden. Anlässlich der Gedenkfeier in Temeswar wurde Robert Dornhelm der Titel eines Ehrenbürgers der Stadt verliehen.

Nina May

Schlagwörter: Revolution, Rumänien, Zeitzeugen

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