15. Februar 2007

Hirräii! Hermannstadt!

Der zum ersten Mal in Hermannstadt durchgeführte Urzellauf habe gezeigt, „wie Rumänen und Sachsen eine erfreuliche Gemeinschaft gepflegt haben, die rückblickend nicht ganz selbstverständlich war, doch unverzichtbar ist für die Zukunft in Siebenbürgen. Solche freundschaftlichen Bande sind ein wichtiges Fundament für gegenseitiges Verständnis, Respekt und Zusammenarbeit.“ Dies erklärte Bischofsvikar Hans Klein, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt (DFDH), am 27. Januar anlässlich eines im Spiegelsaal gegebenen Empfangs für die weit angereisten Urzeln. Feierliche Worte für ein ungewöhnliches Projekt getreu dem Motto: Tradition als Erfolgsgeschichte.
Wie ein siebenbürgisch-sächsischer Brauch das Land gen neue Heimat Deutschland verließ, um Jahre später als „Reimport“ die rumänische Bevölkerung bis zur aktiven Teilnahme zu begeistern, schildert Doris Hutter, stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V. und Kulturreferentin der Heimatgemeinschaft (HOG) Agnetheln, in ihrem nachfolgenden Bericht.

Im Vorjahr hatte der Agnethler Deutschlehrer Bogdan Pătru mit seinen rumänischen Schülern den 1990 zum letzten Mal von Sachsen begangenen Urzellauf in Agnetheln wieder belebt. Für die Bukarester Stiftung EuroEst war es der Anlass, den Urzelbrauch im Rahmen der Veranstaltungen zu Ehren der Europäischen Kulturhauptstadt Hermannstadt 2007 zu präsentieren.

Hirräii! schallte es am 27. Januar auf den Gassen und Plätzen Hermannstadts. Erstmals liefen Urzeln in Hermannstadt, erstmals liefen siebenbürgisch-sächsische und rumänische Urzeln gemeinsam und es war auch der erste siebenbürgisch-sächsische Beitrag im Programm der Europäischen Kulturhauptstadt 2007. Foto: Georg Hutter
"Hirräii! " schallte es am 27. Januar auf den Gassen und Plätzen Hermannstadts. Erstmals liefen Urzeln in Hermannstadt, erstmals liefen siebenbürgisch-sächsische und rumänische Urzeln gemeinsam und es war auch der erste siebenbürgisch-sächsische Beitrag im Programm der Europäischen Kulturhauptstadt 2007. Foto: Georg Hutter


Um den Brauch in seiner historisch gewachsenen unverfälschten Form vorführen und den „Neu-Urzeln“ damit verbundene traditionelle und organisatorische Daten vermitteln zu können, wurden die kundigen Urzeln aus Deutschland dazu geladen. Die Urzelnzunft Sachsenheim e.V. und die HOG Agnetheln beteiligten sich an der Organisation und Gestaltung dieser vielversprechenden Veranstaltungen in der alten Heimat.

Urzeln zurück zu den Wurzeln

Am 25. Januar, einem Donnerstag, startete der Reisebus in Sachsenheim bei Stuttgart. Nach einer im Bus verbrachten Nacht trafen die rund 40 Urzeln am Freitag in Hermannstadt ein, wo sie von den Vertretern der Jugendstiftung EuroEst, Marilena Stanciu und Mihail Staicu, sowie von Helmut Lerner seitens des Demokratischen Forums der Deutschen in Hermannstadt herzlich empfangen wurden. Der Geschichtslehrer Dieter Novak gab in der Aula des Brukenthal-Lyzeums einen Überblick über die Geschichte der Siebenbürger Sachsen und die Entwicklung der Schule nach 1989. Man ging in die Stadtpfarrkirche und auf den Großen Ring, wo eine große Werbetafel den Urzellauf ankündigte. Am Nachmittag fuhr die Gruppe nach Agnetheln, wo die Urzeln Quartier bezogen.

Bei einem Empfang im Rathaus bat Bürgermeister Radu Curcean, erfreut über die geplanten gemeinsamen Veranstaltungen, die Gäste aus Deutschland, sich ins Goldene Buch der Stadt einzutragen. „Liebe Freunde, es ist eine große Ehre für alle Agnethler, Euch in unserer Stadt begrüßen zu dürfen“, so der Agnethler Lehrer Bogdan Pătru. „Unsere Begeisterung beweist, dass wir die Sachsenfreunde nicht vergessen haben, dass wir alle auf den alten sächsischen Brauch stolz sind und ihn respektieren. (...) Wir wollen uns alle an dem wertvollen sächsischen Brauch beteiligen. Willkommen in der Heimat, liebe Urzeln!“ Weitere Ansprachen folgten, Präsente wurden überreicht, ehe der Abend noch gesellig ausklang.

Am Samstagmorgen fuhren die Urzeln nach Hermannstadt. Dort gesellten sich zu ihnen nun weitere rund 80 Urzeln aus Agnetheln, alle bestens ausgerüstet mit weißen Handschuhen, Tüchern, Geißeln, Schellen und Quetschen. Man sah viele neue Anzüge und hinter der Maske erwartungsvolle Gesichter im Alter von vier bis 53 Jahren. Auf dem Parkplatz auf der unteren Promenade in Hermannstadt wurde ihnen gezeigt, wie die Urzeln während der Parade einerseits die Traditionsfiguren vor den Zuschauern und andererseits die Zuschauer vor den knallenden Urzeln schützen müssen. So konnte sich die Parade nach ihrem Start um 11 Uhr diszipliniert und damit sicher an den Harteneck-Türmen vorbei durch die Honterus- und Heltauergasse über den Großen Ring bis zur Evangelischen Stadtpfarrkirche bewegen.

Urzeln mit den typischen Masken in Hermannstadt. Foto: Ovidiu Dumitru
Urzeln mit den typischen Masken in Hermannstadt. Foto: Ovidiu Dumitru

Stadtpfarrer Killian Dörr empfing die Urzeln, sichtlich erfreut und bewegt von dem Bild, das sich ihm bot: Dicht gedrängt standen Schulter an Schulter Rumänen und Sachsen um das Georg-Daniel-Teutsch-Denkmal geschart, um einen Fastnachtsbrauch kennen zu lernen, der von den Zeiten der Handwerkerzünfte in sächsischen Gemeinden erzählt. Neben Dörr standen „Hauptmann“ Reinhardt Lang mit zwei Engeln und, im Dollmann gekleidet, die ehemaligen Agnethler Bürger Hans Walter Zinz, Friedrich Andree, Heinrich Brenner und Harald Wächter. Thomas Lutsch, Zunftmeister der Urzelnzunft Sachsenheim, sagte in seiner Rede: „Die Kirche viele hundert Jahr / den Sachsen wert und Stütze war. / Wir wünschen ihr noch langes Leben! / Zum Glauben mögen die Leut’ streben!“ Zum Abschluss dieses ersten Höhepunktes wurde das Siebenbürgenlied gesungen zu den Klängen der „H-Musikanten“, einer aus Militärmusikern gebildeten Blaskapelle, die das Repertoire der Neppendorfer Kapelle übernommen hat und die Urzelparade sowohl in Hermannstadt als auch in Agnetheln begleitete. Aus Körben füllten die Urzeln ihre Quetschen mit Krapfen auf und verteilten sie an die dankbaren Hermannstädter.

"Urzel Johannis"

Auf dem Großen Ring, wo eine Bühne bereit stand, begrüßte Bürgermeister Klaus Johannis die Urzeln bei ihrer ersten Parade in Hermannstadt. Er lobte die Initiative der Jugendstiftung EuroEst, die das Kulturprogramm der Europäischen Kulturhauptstadt 2007 bereicherte, und dankte den Urzeln aus Deutschland, dass sie die Agnethler Urzeln unterstützt haben. Vor mehreren Jahren, als Physiklehrer in Agnetheln, sei er selber Urzel gewesen, erinnerte sich Johannis. Die ihm überreichten Geschenke, von EuroEst eine Schelle mit der Aufschrift „Urzeln 2007“ und von der Urzelnzunft Sachsenheim eine Urzelmaske, passten demnach zum „Urzel Johannis“ und sollen einen Ehrenplatz bekommen.

Zunftmeister Thomas Lutsch stellte die Urzelnzunft Sachsenheim vor. „Nach über 40 Jahren sorgsamer Aufbauarbeit in einer fastnachtsfremden Gegend gehört der Urzel nun zu einem festen Bestandteil der Sachsenheimer Stadtgeschichte. Wir haben den größten Wert darauf gelegt, dieses alte Brauchtum in seiner fremden Umgebung unverändert weiterzuführen. Die Urzeln wurden deshalb 1987 in die Vereinigung Schwäbisch Alemannischer Narrenzünfte aufgenommen“, betonte er, und schloss: „Rumänien wünschen wir viel Kraft, Innovation und Zielstrebigkeit auf dem Weg in die EU. Bewahren Sie Ihren Willen und Stolz, Mitglied dieser Gemeinschaft zu sein, mit soviel Herz, wie wir den Urzel bewahrt haben.“ Harold Fabritius übersetzte ins Rumänische. Seitens der HOG Agnetheln begrüßte deren Kulturreferentin Doris Hutter die Hermannstädter mit rumänischen Versen. Sie erklärte, dass infolge eines im Mittelalter geborenen Brauches in Agnetheln ab 1911 jährlich (mit kriegsbedingten Unterbrechungen) bis 1990 die Urzelparade stattgefunden habe. Die Urzeln sollten also die wertvolle Zunftlade der jeweiligen Handwerkerzunft bei der Übergabe vom alten zum neuen Zunftmeister bewachen bzw. böse Geister davon fernhalten. Nun seien die ausgesiedelten Urzeln in ihre alte Heimat zurückgekehrt, um in ihrer einstigen Kreishauptstadt, die gerade Europa betreten habe, diejenigen vor bösen Geistern zu beschützen, die sie als wertvoll für Hermannstadt betrachten:

... einen Sachsen, tapfer und grad:
den Bürgermeister dieser Stadt!
Das gilt auch seinen Helfern all!
Den Bürgern sag’n wir mit Krawall
den Urzelspruch für diese Stadt,
die uns geprägt und Recht drauf hat:
Wir wünschen Glück der Hermannstadt,
Kummer und Sorg’ vertreib’n wir glatt.
Unseren Krach soll jeder hören,
denn wir sind da, um euch zu ehren!
Das Band der Freundschaft reiße nicht!
Drum, Freunde, lasst uns singen schlicht
vom Land, das uns vertraut anzieht!
Singt mit das Siebenbürgenlied!


Danach erklang das Siebenbürgenlied. Die Rumänen unter den Urzeln sangen es mit, so dass die letzte Strophe auf dem Großen Ring in der ehemaligen Haupt- und Hermannstadt Selbstverständlichkeit wurde: „Und um alle deine Söhne schlinge sich der Eintracht Band!“

Die Traditionsfiguren der Sachsenheimer Urzelnzunft präsentierten ihre jeweiligen Zünfte, umrahmt von Zunftfahne, Zunftlade, Würdenträgern im Dollmann, Hauptmann mit Engeln und Urzeln: Schneiderrösschen mit Mummerl (Marion Koch und Christian Lang) für die Schneiderzunft, Bär und Treiber (Alfred und Norbert Hütter) für die Kürschnerzunft sowie der Reifenschwinger (Kurt Filp) für die Fassbinderzunft. Aufmerksam verfolgten die Zuschauer und die jungen Agnethler Urzeln diese ungewöhnlichen Vorführungen. Begeistert hatten einige Fernseh- und Radiosender das Geschehen aufgenommen und auch live gesendet.
Am Nachmittag fand auf der gleichen Bühne der „Urzelball“ statt mit Volkstänzen der Trachtengruppe des DFDH und einer weiteren Vorführung der Traditionsfiguren und der besten Peitschenknaller. Die Abgeordnete Raluca Turcan wurde von Urzeln „in die Geißel genommen“, gleichsam eine Ehrerweisung, und bekam von EuroEst eine Geißel geschenkt. Damit, versprach sie, wolle sie die bösen Geister aus der Politik vertreiben.

Im Spiegelsaal des Forumssitzes begrüßte später Bischofsvikar Hans Klein die Urzeln aufs Herzlichste. Der Urzellauf habe gezeigt, wie Rumänen und Sachsen eine erfreuliche Gemeinschaft gepflegt haben, die rückblickend nicht ganz selbstverständlich war, doch unverzichtbar sei für die Zukunft in Siebenbürgen. Solche freundschaftlichen Bande seien ein wichtiges Fundament für gegenseitiges Verständnis, Respekt und Zusammenarbeit. Es gab weitere Ansprachen, die diese Erkenntnis bekräftigten, und für alle Urzeln von EuroEst eine Urkunde „Hermannstädter Urzel 2007“. Beim nachfolgenden Faschingsball war Geselligkeit Trumpf.

Agnetheler Urzelparade nach 17 Jahren

Am Sonntag, als die Agnethler Sachsen zum Gottesdienst in die Evangelische Kirche gingen, knirschte Schnee unter ihren Schuhen: richtiges Urzelwetter! Freudentränen flossen beim Umarmen der in Agnetheln wohnenden Sachsen. Pfarrer Reinhardt Boltres begrüßte die Urzeln freundlich. Hinterher anerkannte Presbyter Michael Krauss das positive Zeichen, den Urzelntag mit den rumänischen Urzeln gestalten zu wollen, da das zu einem besseren Miteinander führe. Die Parade bewegte sich wie einst von der ehemaligen IMIX zum Marktplatz, wo Bürgermeister Radu Curcean, am Vortag noch selbst Urzel, die Urzeln in Zivil empfing und wie alte Freunde begrüßte.

Urzeln-Parade mit Zunftfahne in Agnetheln. Foto: Georg Hutter
Urzeln-Parade mit Zunftfahne in Agnetheln. Foto: Georg Hutter

Zunftmeister Thomas Lutsch meinte in seiner Ansprache: „Als letztes Jahr Bogdan Pătru mit seinen Schülern das Urzellaufen in Agnetheln wieder belebte, wurde bei uns spürbar, dass der Urzel und seine Tradition in Siebenbürgen weiterlebt.“ Überwältigt von den Erfahrungen in Hermannstadt und mit den Agnethler Urzeln, nahm er seine Urzelnummer, die „1“, und übergab sie offiziell Bogdan Pătru, den er symbolisch zum ersten Zunftmeister der jetzigen Agnethler Urzeln kürte. Der junge Deutschlehrer war mit Recht stolz auf diese Auszeichnung. Für Reinhardt Lang gab es ein 66-jähriges Jubiläum: 1941 war er das letzte Mal als Urzel in Agnetheln gelaufen. Doris Hutter betonte, es sei den Urzeln Freude und Ehre, den alten Handwerkerbrauch wie früher vorstellen und ausleben zu können. Die Urzeln seien wieder daheim. Nach dem Auftritt der Traditionsfiguren endete der Zug wie immer bei der FIPA. Dort wurden die Urzeln aus Deutschland den sechs Agnethler Parten zugeteilt, die in die Häuser der ansässigen Urzeln liefen. Die Gastfreundschaft war sagenhaft und die Stimmung stieg mit jedem Lied, das man gemeinsam sang. Die Part mit Bürgermeister (wieder Urzel), Zunftmeister und HOG-Vorstand Hans W. Zinz kehrte auch im Pfarrhaus ein. Frau Röhrig hatte für die Gäste herrliche Krapfen gebacken. Später trafen sich alle Urzeln beim Lagerfeuer im Hirscheln und abends im Restaurant. Vor dem Essen gab es einen bemerkenswerten Auftritt der Jugendkulturgruppe des Agnethler Kulturhauses „Ansamblul Folcloric Hârtibaciul“, geleitet vom Lehrer Ioan Sârbu. Die Jugendgruppe ist ein Teil der preisgekrönten Tanzgruppe „Cununa“, die schon im Ausland aufgetreten ist. Ein stimmungsvoller Abend nahm seinen Verlauf.

Der Bürgermeister mit Ehefrau und einige Urzeln verabschiedeten die Gäste aus Deutschland am Montag mit dem sehnlichsten Wunsch, den Urzeltag in Zukunft möglichst wieder mit Urzeln aus Deutschland feiern zu können. So wurde der Abschied ein herzliches Bekenntnis neu besiegelter Freundschaft. Und wieder ein Abschied aus der alten Heimat. Dann das i-Tüpfelchen zum Abschluss dieser denkwürdigen Urzelntage: Der Bus hielt plötzlich. Auf der Straße stand der „Zoll“. Einige Urzeln hatten die Straße gesperrt, hielten ein Schild „Urzeln-Zoll“ hoch, knallten nochmals für die Gäste aus Deutschland und reichten ihnen für die lange Fahrt Krapfen und Wein. Gerührt und mit großem Respekt für die Leistung der Agnethler Urzeln verließen die ehemaligen Agnethler die vertraute Gegend in dem Gefühl, bei einem bedeutenden, grenzüberschreitenden Ereignis dabei gewesen zu sein.

Doris Hutter

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 3 vom 20. Februar 2007, Seite 5)

Schlagwörter: deutsch-rumänische Beziehungen, Urzeln, Agnetheln

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