17. Juni 2010

Die Siebenbürgische Zeitung als politisches Instrument

Spätestens seit den Vorgesprächen für die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) während der zweiten Hälfte der Jahre 1960 und seit Antritt der Regierung Brandt 1969 wurde es für die Siebenbürger Sachsen in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich unausweichlich, sich in der Frage ihrer Landsleute im kommunistischen Rumänien vernehmlicher zu Wort zu melden als in den Jahrzehnten davor. Ein Rückblick von Hans Bergel, Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung von 1970 bis 1989.
Die rund 80000 Familienansuchen Deutscher um Ausreise – von der rumänischen wie von der bundesdeutschen Regierung (RU-Nummer) registriert – machten dabei eines der wichtigsten Themen sichtbar: den Wunsch nach Familienzusammenführung, darüber hinaus: nach Emigration. Wenngleich dank der Helsinki-Konferenz 1973 die West- mit den Oststaaten in einen auch humanitär bestimmten Dialog eingetreten waren, erhielten sich dennoch die Fronten des Kalten Kriegs und damit die Ideenauseinandersetzung.

In dieser Lage war die Politisierung der Siebenbürgischen Zeitung, d.h. ihre Teilnahme an der Austragung der unterschiedlichen Sichtweisen in Menschenrechtsfragen, unumgänglich. Wenn quantitativ auch nur minimal erheblich, so war sie qualitativ – um ihrer Glaubwürdigkeit willen – gehalten, sich mit Blick auf die Situation der Deutschen in Siebenbürgen in den Chor der freiheitlichen Stimmen der westlichen Demokratien einzuschalten. Andernfalls hätten sich die politisch Verantwortlichen der Siebenbürger Sachsen der Gefahr ausgesetzt, mit der Bitte um Hilfe in Bonn und Wien – ebenso mit ihren Argumenten in Bukarest – nicht ernst genommen zu werden. Dies galt auch für die Gesamtheit der Siebenbürger Sachsen im gesellschaftlichen Bewusstsein Deutschlands und Österreichs. Das fatale Wort von der „Ängstlichkeit der Siebenbürger“ war im Umlauf.

Der Schriftsteller und Publizist Hans Bergel. ...
Der Schriftsteller und Publizist Hans Bergel. Foto: Robert Sonnleitner
Ohne Reibungen und Konflikte war die Neuorientierung der Zeitung nicht möglich. Ceaușescu hatte 1968 die Beteiligung am Einmarsch in die CSSR abgelehnt und sich so Sympathien im Westen gesichert. Hinzu kam, dass es besonders in Intellektuellenkreisen des Westens Sympathien für den Sozialismus-Gedanken gab, dessen Praktizierung in den Systemen des Ostens manchem eher möglich erschien als in jenen des Westens. Dem wiedererstehenden Stalinismus in Rumänien wurde keine Beachtung geschenkt, der Drangsalierung der deutschen Minderheit schon gar nicht. Eine Bukarest wegen der skandalösen humanitären Realitäten offen kritisierende Siebenbürgische Zeitung erregte daher Missfallen und Widerspruch. Ohnehin genossen die deutschen Volksgruppen Rumäniens während jener Jahre in Deutschland nicht das Entgegenkommen wie nach 1989/ 90; eine für ihr ethnisches Überleben engagierte Anmerkung galt damals selbstverständlich als „nationalistisch“ und somit als nicht salonfähig.

Mit der Politisierung der Zeitung verschärften sich außerdem innersiebenbürgische Gegensätze. Die – bisher ungewohnte – Kritik der Zeitung an den minderheitenpolitischen Schikanen der Bukarester Administration erregte den Unwillen jener Siebenbürger, die sich für den Verbleib der Deutschen in Rumänien verwendeten. Sie unterstellten der Zeitung „Aufhetzung zur Auswanderung“, die es niemals gab. Allerdings ließ sie es sich nicht verbieten, die menschenrechtlichen Missstände in Rumänien beim Namen zu nennen. (Siehe dazu: „Von kollektiver Sprachlosigkeit zu politischer Aktion“. Von Hans Bergel. In: Südostdeutsche Vierteljahresblätter, 2/2000, München.)
Großdemonstration gegen die Rückzahlung der ...
Großdemonstration gegen die Rückzahlung der Ausbildungskosten durch Aussiedler aus Rumänien am 4. Dezember 1982 vor dem Kölner Dom mit Prof. Dr. Friedhelm Farthmann, Patenminister, und Hans Bergel, Stellvertretender Bundesvorsitzender des Verbandes, als Redner.
Auch Bukarest war es nicht gewohnt, sich von der Siebenbürgischen Zeitung ungeschminkte Fakten vorhalten zu lassen. Ins Horn der „Auswanderungshetze“ stießen, schließlich, auch die deutschsprachigen Publikationen Rumäniens. Was anders hätten sie schon tun können? Einen Höhepunkt erreichte diese Reaktion auf die kritische Haltung der Zeitung in der 1977 von den Medien veranstalteten Kampagne: Nicht nur Scînteia, România liberă etc., auch Neuer Weg, Karpatenrundschau etc. beteiligten sich z.T. mit Verleumdungen daran. Dass 1977 die Belgrader Nachfolgekonferenz stattfand und Ceaușescu nervös war, weil er die KSZE-Verträge unterschrieben hatte (Korb ITI: „Freie Wahl des Wohnlandes“), sie aber nicht einhielt – woran ihn die Siebenbürgische Zeitung unablässig erinnerte –, bildete den Hintergrund der von der Rumänischen Kommunistischen Partei und der Securitate veranlassten und gesteuerten Kampagne.

Im Grundsätzlichen erhielten sich diese Spannungskonstellationen, in deren Mittelpunkt die Siebenbürgische Zeitung stand, von 1969 bis 1989; es ist der Zeitraum, in dem ich – zunächst seit Herbst 1969 in der Funktion eines Beraters in Fragen der Bukarestpolitik – ab Herbst 1970 als Chefredakteur die Zeitung leitete.

Zum Prinzip des politischen Verhaltens der Zeitung hinsichtlich Bukarest gehörte die gleichzeitige Pflege des ständigen Gesprächs mit Vertretern Rumäniens – mit Botschaftern, die in Köln residierten, Diplomaten und Emissären verschiedener Bereiche. Durch wöchentliche Telefonate der Redaktion mit „ambasadori“ wie Morega, Oancea u.a. oder häufige Kontakte z.B. mit dem Präsidenten der für die im Ausland lebenden ehemaligen rumänischen Staatsbürger zuständigen, mit weit reichenden Befugnissen ausgestatteten Asociața România, Prof. Dr. Virgil Cândea, war dafür gesorgt, dass die publizistisch vorgetragenen Standpunkte der Verbandsleitung mündlich erläutert, im Einzelnen konkretisiert, fallweise verschärft wurden – eine Aufgabe, mit der nicht selten die Redaktion betraut war. Wie sehr dabei die Siebenbürgische Zeitung auch aus Bukarester Sicht als politischer Faktor gewertet wurde, lässt sich etwa an der Einladung des Chefredakteurs zu „ausführlichen Gesprächen“ nach Bukarest ablesen: Im Februar 1975 konferierte ich eine Woche lang mit einer von Cândea geleiteten Kommission über die Frage einer wesentlichen Erhöhung des Quantums von Ausreisegenehmigungen für Emigrationswillige (siehe SbZ, 15. März 1975, Seite 1). Weit ersichtlicher wird diese Einschätzung bei der Lektüre meiner Securitate-Papiere; der breite Raum, den die Siebenbürgische Zeitung als Repräsentantin insgesamt der Siebenbürger Sachsen im Westen darin einnimmt, ist beredt. Bukarest hatte also die Zeitung als Komponente des freiheitlich gesinnten Westens begriffen, es hatte zudem verstanden, dass nicht die Auflagenhöhe deren Stärke ausmachte, sondern die – nach Bukarester Auffassung schmerzvollere – Kenntnis der Mechanismen und Mentalitäten seiner Machthandhabung, Dies umsomehr, als die Zeitung ihrer Kritik durch zeitweise Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk und dem US-Sender Free Europe erheblichen Nachdruck verlieh.

Ohne die vertrauensvolle unmittelbare Einbeziehung in die Überlegungen und Maßnahmen des Verbandsvorsitzenden der Jahre 1953-1977, Erhard Plesch, wäre der Zeitung diese Intensität aktiver politischer Mitgestaltung und Gestaltung der Bukarestpolitik nicht möglich geworden. Das Zusammenspiel Verband-Zeitung verlief nicht immer glatt, dazu ging es um zu viel, doch immer im Sinne des einen Anliegens: Bukarest zur Achtung der Menschenrechte zu zwingen. Und natürlich wäre die hier skizzierte Zeitungsprofilierung ohne die rückendeckende Absprache mit deutschen Politikern undenkbar gewesen. Seit 1974 Außenminister, verlangte Dr. Hans-Dietrich Genscher gelegentlich Auskunft über Hintergrund und taktische Absicht besonders brisanter Zeitungsaufsätze.

Der Innenminister 1974-1978, Prof. Dr. Werner Maihofer, sagte in einem Gespräch am 18. Mai 1975 in Dinkelsbühl als Ergebnis der Beobachtungen seines Rumänienbesuchs und meines Bukarestberichts: „Schreiben Sie nicht mehr von ‚Familienzusammenführung’. Bereiten Sie Ihre Leser auf die endgültige Aussiedlung vor.“ Diese war uns als Vorgang längst bewusst. Nicht wenige erschraken vor der historischen Dimension. (Siehe dazu: „Finis Saxoniae“. Von Hans Bergel. In: Die Welt, 21. November 1970.) Der Bundespräsident 1979-1984, Prof. Karl Carstens, fragte – ein Jahr vor seiner Bukarest- und Siebenbürgenreise(!) – am 21. August 1980 in Drabenderhöhe: „Wie bringen Sie Ihren Landsleuten das ‚Aus’ in Siebenbürgen bei?“

Die Umformung der Siebenbürgischen Zeitung vom Verbandsperiodikum zum politischen Instrument war ein Gebot der Stunde. Eine Sammlung allein der Überschriften zu Texten politischer Fragen auf Seite 1 aus den beiden Jahrzehnten vor der Wende 1989/90 ergäbe eine dramatische Chronik der Ereignisse. Der geschichtliche Ablauf bestätigte die Eindeutigkeit, mit der das Gebot erkannt und allen Widerständen zum Trotz vertreten wurde.

Hans Bergel

Dieser Artikel ist in der Jubiläumsausgabe "60 Jahre Siebenbürgische Zeitung" erschienen.

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Schlagwörter: Siebenbürgische Zeitung

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