13. Dezember 2010

Geschichte der Herkunftsgebiete unterrichten

Der Beirat für Vertriebenen- und Spätaussiedlerfragen des bayerischen Sozialministeriums fordert, dass an bayerischen Schulen die Geschichte der Herkunftsgebiete der Vertriebenen und Aussiedler berücksichtigt wird.
Das von Herta Daniel vorgeschlagene Thema „Geschichte der Deutschen aus den Herkunftsgebieten der Aussiedler, Spätaussiedler und Vertriebenen im Rahmen des Geschichtsunterrichts an bayerischen Schulen“ wurde am 18. November 2010 auf die Tagesordnung der Herbstsitzung des Beirats für Vertriebenen- und Spätaussiedlerfragen gesetzt und mit Vertretern verschiedener Ministerien und der Bayerischen Staatskanzlei kontrovers diskutiert. Unter der kompetenten Gesprächsführung des Vorsitzenden des Beirats, Landrat Christian Knauer, wurden die Lücken zu diesem Thema im bayerischen Geschichtsunterricht von den Vertretern der Vertriebenen und Aussiedler klar herausgearbeitet und Perspektiven für entsprechende Ergänzungen angesprochen.

Ziel des Geschichtsunterrichts an bayerischen Schulen sei eine objektive Darstellung der geschichtlichen Zusammenhänge, die es den Schülern ermöglichten, sich ein eigenes Bild zu machen, erläuterte Studienrat Martin Pöhner als Vertreter des Kultusministeriums. Neben den gemäß Lehrplänen verpflichtenden Themen, Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg, gebe es auch auf freiwilliger Basis angebotene Projekte und Wettbewerbe.

Unterricht: nur nationale deutsche Geschichte?

Herta Daniel, Vorsitzende des Landesverbandes Bayern des Verbandes der Siebenbürgen Sachsen in Deutschland, stellte fest, dass in den unteren Klassen des Gymnasiums die Ostkolonisation behandelt werde und später die oben genannten Ereignisse um den zweiten Weltkrieg. Auf ihre Frage, was den Schülern über die Entwicklung der Deutschen im Osten Europas in der Epoche zwischen deren Ansiedlung und dem zweiten Weltkrieg in der Schule vermittelt würde, erläuterte Martin Pöhner, dass der Geschichtsunterricht diese Jahrhunderte aus einer nationalen deutschen Perspektive behandele, ohne auf die Geschichte anderer Regionen Europas einzugehen.
Der Vertriebenenbeirat des bayerischen ...
Der Vertriebenenbeirat des bayerischen Sozialministeriums tagte in München, stehend v. l.: Eduard Neuberger, LM der Deutschen aus Russland e.V., Andreas Selig, Paritätischer Wohlfahrtsverband Bayern e.V., RD Dr. Wolfgang Freytag, Bayerisches Sozialministerium, Dr. Ottfried Kotzian, Direktor HDO München, Dr. Bernd Fabritius, Bundesvorsitzender Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., Wolfgang Hartmann, LM Schlesien e.V., Walter Föllmer, BdV-Geschäftsführer LV Bayern; sitzend v. l.: Herta Daniel, Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., Landrat Christian Knauer, BdV- Vorsitzender LV Bayern, MRin Barbara Schretter, Bayerisches Innenministerium. Foto: Walter Föllmer
Nach Meinung von Dr. Ortfried Kotzian klammere dieses in bayerischen Schulen vermittelte deutsche nationale Geschichtsbild die bayerische Landesgeschichte und die österreichische Geschichte fast vollständig aus und beschränke sich auf diejenige Preußens, ohne die Verflechtungen in die europäische Geschichte mit einzubeziehen.

Der aus Schlesien stammende Landrat Christian Knauer vermisste Sensibilität den Betroffenen gegenüber: In einem Geschichtsunterricht, in dem die Deutschen aus dem Osten Europas keinen Platz hätten, fände man eine gewisse Identitätsnegierung. Es komme das Gefühl auf, dass unsere Themen nicht interessant genug seien, um unterrichtet zu werden.

Migration in Bayern: Fehlinformationen in Schulbüchern

Für ein von Seiten des Vertreters des Kultusministeriums als Beleg für den Geschichtsunterricht mitgebrachtes Schulbuch für die 10. Klasse fand Dr. Bernd Fabritius, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, sehr deutliche Worte. Fabritius kritisierte die fehlerhaften Informationen, die den Schülern vermittelt werden. Unter dem Titel „Migration in Bayern“ werden sowohl deutsche Vertriebene von 1945 als auch ausländische Gastarbeiter der späteren Jahrzehnte behandelt. Keine der Fragen am Ende dieses Kapitels ziele jedoch darauf ab, die Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen herauszuarbeiten. Dieses Schulbuch spiegele damit eine falsche politische und historische Mindermeinung wieder, wonach Heimatvertriebene und Ausländer im 21. Jahrhundert „als Migranten über einen Kamm geschoren“ werden könnten. Dieser sehr bedauerlichen Tendenz, die auch in der politischen Debatte festzustellen sei, das Thema Heimatvertriebene und (Spät)Aussiedler in ein allgemeines Migrantenthema zu überführen, müsse durch Aufklärung offensiv entgegengewirkt werden. Derartige Verallgemeinerungen führten zur Leugnung der kulturellen Identität der verschiedenen Personengruppen. Man habe zwar in Bayern einen Integrationsbeauftragten, der für die Integration von ausländischen Mitbürgern aus anderen Kulturkreisen zuständig sei, und getrennt davon die Bayerische Sozialministerin als Aussiedlerbeauftragte für deutsche Heimatvertriebene, allerdings mache sich immer mehr der Duktus breit, dass es eine bayerische Stammbevölkerung gäbe und alle Dazugekommenen – besonders auch die Aussiedler und Spätaussiedler – eben verallgemeinernd „Migranten“ seien. Ganz gleich aus welchen Kulturkreisen diese stammen, würden „mehr oder weniger ähnliche Integrationsprobleme“ unterstellt, ohne die unterschiedliche kulturelle Zugehörigkeit und daraus erwachsende unterschiedliche Integrationsgrundlagen zu beachten. Diese würde in der politischen Debatte – und eben auch in dem Schulbuch – leider oft ausgeblendet. Mit einem solchen Inhalt in einem Schulbuch würde das Bayerische Kultusministerium seinem Auftrag gemäß Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes nicht gerecht.

Perspektiven

Die Frage von Herta Daniel, ob und wie die in dieser Sitzung geäußerten Wünsche und Anregungen der Vertreter der Vertriebenen in bayerischen Lehrplänen für den Geschichtsunterricht zukünftig verwirklicht werden könnten, beantwortete Studienrat Martin Pöhner mit dem Hinweis auf die zu erstellenden Lehrpläne für das G8. In einem Semester soll im Geschichte- und Sozialkundeunterricht die europäische Perspektive beleuchtet werden.

Auf Anregung des Vorsitzenden Christian Knauer werden Vertreter der (Spät-)Aussiedler- und Vertriebenenverbänden unter der Mitarbeit von Dr. Ortfried Kotzian einen Antrag mit sinnvollen Anregungen zur Erweiterung des Geschichtsunterrichts an bayerischen Schulen im Sinne der Vertriebenen und (Spät)Aussiedler an das Bayerische Kultusministerium erstellen.

Herta Daniel

Schlagwörter: Politik, Vertriebene und Aussiedler, Schule, Geschichte, Bayern

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