25. Oktober 2012

Gemeinsame Wege zum würdevollen Altern

Seit Jahren werden erregte Debatten geführt, wie die Gesellschaft den demografischen Wandel meistern und die mit dem Älterwerden der Bevölkerung verbundenen Chancen sinnvoll nutzen kann. 2012 ist zum „Europäischen Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen“ ausgerufen worden. Das Europäische Jahr soll die Schaffung einer Kultur des aktiven Alterns in Europa erleichtern, deren Grundlage eine Gesellschaft für alle Altersgruppen bildet. Auf deutscher Seite obliegt die Umsetzung des Europäischen Jahres der nationalen Koordinierungsstelle in dem von Dr. Kristina Schröder geleiteten Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Die Zahl der pflegebedürftigen Deutschen wächst kontinuierlich. Waren im Dezember 2007 noch 2,25 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes, so werden es 2030 nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts schon 3,4 Millionen sein. Und ein immer größerer Anteil der Alten wird professionelle Pflege benötigen. Zu dem hochaktuellen Thema „Pflegebedürftigkeit“ fand vom 12. bis 14. Oktober 2012 ein Seminar in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen in Zusammenarbeit mit dem Bundesfrauenreferat des Verbandes des Siebenbürger Sachsen statt.

„Im besten Alter. Immer.“ ist das Motto der Antidiskriminierungsstelle des Bundes für das Jahr 2012, um Zuschreibungen wie „zu jung“ oder „zu alt“ in Frage zu stellen. Unser Lebensbild wird oft von Vorurteilen bestimmt, dass junge Menschen zu wenig Erfahrung hätten oder ältere nicht mehr flexibel seien. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat das Jahr 2012 auch zum Themenjahr gegen Altersdiskriminierung erklärt. Dies ist ein guter Anlass, die Kultursensibilität in der Pflege sowie die damit einhergehenden Chancen und Herausforderungen in den Blick zu nehmen. Mehr als 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben in der Bundesrepublik. Unter ihnen wächst die Zahl der pflegebedürftigen Menschen. Daher besteht eine große Herausforderung in der Pflegelandschaft der Bundesrepublik auch darin, kulturell auf die gesellschaftliche Vielfalt einzugehen und Angebote umfassend auszugestalten. Kultur beschränkt sich nicht allein auf den Aspekt der Herkunft, sondern umfasst viele Dimensionen, wie Sprache, Weltanschauung, Religion. Es gilt, jeden Menschen als Individuum zu begreifen und jedem eine würdevolle Pflege unter Berücksichtigung seiner kulturellen Prägungen und Bedürfnisse zu ermöglichen. Mit diesen und weiteren Fragen haben sich ehrenamtliche und hauptamtliche Pflegende, Wissenschaft, Politik und die interessierte Öffentlichkeit vertieft auseinanderzusetzen. Das geschah auch im Rahmen des dreitägigen Seminars in Bad Kissingen, dessen Teilnehmer sich gemeinsam informierten, Zielvorgaben erörterten und nach Lösungen suchten.

Pflegende und zu Pflegende brauchen Verständnis füreinander

Dass das Thema „Herausforderung Pflege­bedürftigkeit“ tatsächlich eine Herausforderung war, sollte sich im Laufe des Seminars ­herausstellen. Die sehr anspruchsvolle Problematik erforderte vollste Konzentration, das gehörte und erworbene Wissen musste zunächst einmal verdaut werden. Die Teilnehmerinnen kamen mit unterschiedlichsten Erwartungen und Fragestellungen in dieses Seminar. Fragen zum Pflegesystem, zum Umgang mit pflegebedürftigen Angehörigen, aber auch persönliche Erfahrungen und Schicksalsschläge standen im Vordergrund.

Am Freitagabend las Johann Lippet aus seinem Buch „Der Altenpfleger“. Er gehörte zur Aktionsgruppe Banat, die 1972 als kritische und solidarische literarische Gruppe in Rumänien gegründet worden war. Die Erzählung „Der Altenpfleger“ berichtet von einem jungen Mann, der einen an Demenz erkrankten älteren Mann pflegt, wie er in seine Rolle hineinwächst, sein Pflegeverständnis sich ändert, eine Beziehung zu dem Mann und der gesamten häuslichen Umgebung aufgebaut wird, um dann ein überraschendes Ende zu finden. Interessante Gespräche zum Kennenlernen und Informationen des Autors rundeten den Abend ab.
Frauenreferententagung 2012 in Bad Kissingen. ...
Frauenreferententagung 2012 in Bad Kissingen. Foto: Melitta Zakel
Am folgenden Tag begrüßte der Studienleiter des „Heiligenhof“, Gustav Binder, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und wies auf die besondere Bedeutung der Tagung hin. Markus Staubach, Pflegedienstleitung der Rehaklinik „Am Kurpark“ in Bad Kissingen, referierte zum Thema „Was ist Pflege? Wie sieht die Gesellschaft Pflege? Wie definieren beruflich Pflegende diesen Begriff?“. Er erklärte den Begriff Pflege und warb um Verständnis für beruflich Pflegende, die oft einem enormen Druck ausgesetzt seien. Das Verständnis von beiden Seiten – Pflegende und zu Pflegende sowie deren Angehörige – ist Staubach zufolge besonders wichtig. Im Laufe der Jahrzehnte habe sich der Pflegebegriff gegenüber früher verändert. Heute ständen Begriffe wie Ganzheitlichkeit, Personenorientierung und Professionalität immer mehr im Vordergrund. Es gehe stets darum, Einstellungen, Haltungen und Verhaltensweisen im Sinne eines allgemein gültigen Pflegeverständnisses zu fördern: „Eine Institution muss ein gemeinsames Pflegeverständnis haben und jeder, der in dieser Institution arbeitet, muss versuchen mit beizutragen, dieses Verständnis von Pflegearbeit zu verwirklichen“, forderte Staubach. Ein persönlich gefestigtes Pflegeverständnis könne helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen und „schwierige“ oder belastende Situationen zu bewältigen“.

Horst Machullik referierte über „Krankenversicherung/Pflegeversicherung in der Zukunft“, wobei der Krankenkassenbetriebswirt die Voraussetzungen zur Vergabe bzw. auch die Inhalte der Pflegestufen erläuterte. Anhand der bekannten Alterspyramide erklärte der Referent den demografischen Wandel in der Bundesrepublik sowie die Zunahme der Anzahl von älteren Menschen im Verhältnis zur Geburtenrate und die sich daraus ergebenden, immer schneller verlaufenden Veränderungen. Die wesentlichen Herausforderungen des demografischen Wandels lägen noch vor uns, so Machullik, denn die Gesundheitskosten würden künftig noch weiter ansteigen.

Holger Korb, Heimleiter zweier Altenpflegeeinrichtungen in Schweinfurt, sprach zum Thema: „Wie finanziert sich ein Altenheim? Woran erkenne ich eine gute Einrichtung? Wie wird sich die Altenpflege entwickeln?“. Korb berichtete aus der Praxis über die Situationen der Altenheime, die Bewertung mit Pflegenoten, der sie ausgesetzt seien. 52 Prozent der Arbeit des Pflegepersonals sei Büroarbeit, wertvolle Zeit, die für die Pflege verloren gehe. Angesprochen wurde auch der der sich deutlich bemerkbar machende Fachkräftemangel in Deutschland. Es gebe verschiedene Wohnmodelle für ältere Menschen, wie zum Beispiel das Bilden von Wohngemeinschaften, um möglichst lange selbstbestimmt leben zu können. Korb empfahl, bei Notwendigkeit und Interesse Alten- und Pflegheime aufzusuchen, sich zu informieren und nicht nur anhand von Werbematerial eine Auswahl zu treffen.

Erik Dörnemann, Dozent für Fort- und Weiterbildung im Pflegewesen, informierte uns über den „Pflegebedürftigkeitsbegriff und Demenz – Einblicke in eine ver-rückte Welt“. „Eine Demenz“, erklärte der Referent, „ist ein Defizit in kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten, das zu einer Beeinträchtigung sozialer und beruflicher Funktionen führt und meist mit einer diagnostizierten Erkrankung des Gehirns einhergeht. Vor allem ist das Kurzzeitgedächtnis, ferner das Denkvermögen, die Sprache und die Motorik, bei einigen Formen auch die Persönlichkeitsstruktur betroffen.“ In der Bundesrepublik gebe es ca. 1,2 Millionen Demenz-Kranke, so Dörnemann. Die Diagnose erfolge oft zu spät und die Kranken würden nicht angemessen behandelt. Hilfen zur Abmilderung der Folgen und zur Verzögerung des Fortschreitens der Krankheit seien zu wenig bekannt. Demenz-Kranke würden oft noch zu Hause gepflegt, es sei immer noch eine gesellschaftlich verdrängte Krankheit, beklagte Dörnemann. Es gebe verschiedenste Formen von Demenzerkrankungen. Stadien der Krankheit, Folgen der Demenz. Der Referent ging auch darauf ein, was diese Diagnose für die Familie bedeutet, wie man der Erkrankung vorbeugen oder sie zumindest verlangsamen kann.

Die Teilnehmerinnen empfanden es als sehr positiv, dass sich die Referenten grundsätzlich gut ergänzten und nicht wiederholten. Trotzdem war die Zeit, Fragen zu stellen und das Gehörte zu vertiefen, viel zu kurz. Die Fülle an Informationen hätte noch vertieft werden müssen.

Die ehemalige Bundesfrauenreferentin Enni Janesch, Vorstandsmitglied des „Adele-Zay-Vereins“, des Trägervereins des Altenheimes in Drabenderhöhe, veranschaulichte in einer beeindruckenden Dia-Schau mit dem Titel „Werte in der Pflege“ das aktive Leben im Altenheim. Die Anfänge des Alten- und Pflegeheimes in Drabenderhöhe stehen im Kontext der Einweihung der Siedlung im Jahre 1966. Für die Gründer der Siedlung war es ein wichtiges Anliegen, auch für alte Menschen aus Siebenbürgen, die als Folge des Krieges ihre Heimat verloren hatten, einen Platz zu schaffen, wo sie eine neue Heimat fanden. In weiser Voraussicht hatten die Gründungsväter das siebenbürgische Zentrum als Mittelpunkt in der Gemeinschaft auch geografisch im Ortszentrum von Drabenderhöhe errichtet. Heuer feierte der Hilfsverein der Siebenbürger Sachsen „Adele Zay“ sein 50-jähriges Jubiläum. Weitere siebenbürgische Alten- und Pflegeheime befinden sich in Lechbruck und Rimsting am Chiemsee (Bayern), in Osterode am Harz (Niedersachsen) und in Gundelsheim am Neckar (Baden-Württemberg). Alte und pflegebedürftige Menschen (nicht nur) aus Siebenbürgen finden hier eine Heimstatt und einen Platz, an dem sie ihr Leben in Würde leben können.

Wie können wir „ein gutes Ende“ finden?

Es war ein wohltuender Einstieg in den letzten Tag des Seminars, als Christa Andree, Ehrenmitglied des baden-württembergischen Landesfrauenreferates, am Sonntagmorgen eine kleine Ansprache zum Thema „Danke zu sagen ist nicht bloß eine Frage der Höflichkeit. Dankbarkeit macht glücklich“ hielt. Dankbarkeit in allen Lebenslagen, auch in schweren Zeiten, sei wichtig und sollte nicht vergessen werden, betonte Andree.

„Ein gutes Ende – Wege zu einem würdevollen Sterben“ hieß das Thema von Christa Joedt, Pflegeleitung des Hospizes in Kassel, einer Siebenbürgerin in zweiter Generation. „Was versteht man unter einem ,guten Ende‘ und einem ,würdevollen Sterben‘“, fragte Joedt. Durch eine Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht könne man seine Wünsche und Überlegungen für die letzte Lebenszeit formulieren. Was „ein gutes Ende“ oder ein „würdevolles Sterben“ anbelangt, habe jeder Mensch eine eigene Vorstellung. Häufige Wünsche sind: In Sicherheit leben, Geborgenheit erfahren, sich in einer angenehmen Umgebung befinden und Zeit geschenkt bekommen durch die Pflegenden und Begleitenden. Die Gäste, so werden im Hospiz die Bewohner genannt, sollen sich möglichst wohl fühlen und in ihren letzten Tagen Frieden finden. Ebenso wichtig sei die menschliche Nähe, meinte Joedt. Wer Angst vor den Folgen der Krankheit habe, vielleicht auch vor dem Tod, vor dem Ende jeder Möglichkeit, noch etwas zu klären auf Erden, der brauche das Gespräch genauso wie das Medikament, das ihm wache Lebenszeit ermögliche. Frau Joedt wies darauf hin, dass nicht nur alte Menschen auf Hospize oder Pflegeeinrichtungen angewiesen seien. Auch junge Menschen, oftmals durch Unfall oder Krankheit plötzlich aus der gewohnten Lebensform gerissen, seien Gäste dieser Einrichtungen. Pflege und Hinwendung bräuchten alle. Die Krankenschwestern und -pfleger des Hospizes würden, unterstützt von zahlreichen Ehrenamtlichen, so gut sie können helfen und sich um die seelischen Bedürfnisse der Gäste kümmern.

Bundesfrauenreferentin Christa Wandschneider dankte allen Teilnehmerinnen, besonders Gustav Binder vom „Heiligenhof“, der die Tagung intensiv begleitete, interessante Referenten ausgewählt hatte und stets für alle Belange präsent war. Sie stellte das Buch von Arno Geiger „Der alte König in seinem Exil“ vor, worin der Autor sehr persönlich erzählt, wie er den Vater auf seinem Wege in die Demenz erlebt, die Krankheit lange nicht als solche erkennt, schließlich annimmt und den Vater mit viel Verständnis begleitet.

Die Frauen der Landes- und Kreisgruppen, die an dem Seminar teilnahmen, sehen sich als Multiplikatoren des Gehörten, Erlebten und Gelernten und wollen versuchen, dieses Wissen in ihren ehrenamtlichen Bereichen weiterzugeben und umzusetzen. Heidrun Șindilariu, eine Siebenbürgerin und ausgebildete Diplom-Psychogerontologin, bietet an, in die Frauengruppen zu kommen und über das Thema Demenz zu sprechen. Sie kann Tipps geben und Wege zeigen, wie Angehörige mit an Demenz erkrankten Menschen umgehen sollten, wo und ab wann es sinnvoll ist, sich professionelle Hilfe zu holen. Da das Thema auch viel Fachwissen erfordert, ist es ratsam, sich vor Ort auch Hilfe von den verschiedenen Trägervereinen wie Caritas, Rotes Kreuz, Diakone etc. zu holen.

Aus unserem kulturellen und traditionellen Werteverständnis heraus war die Pflege von Angehörigen immer schon selbstverständlich. In Siebenbürgen, in der Großfamilie und Verwandtschaft aufgewachsen, ist es für viele hier lebende Siebenbürger Sachsen schwierig, Angehörige in Pflegeheime zu geben. Das „schlechte Gewissen“, die „Angst vor Gerede“ bedrückt und verunsichert Betroffene zusätzlich. Deshalb ist es besonders wichtig, sich Hilfe zu holen und auch zu lernen, Hilfe anzunehmen. Hilfreich ist auch, sich kleine Netzwerke aufzubauen, um die/den Angehörige(n) kurz zu besuchen, etwas vorzulesen, vor Vereinsamung zu schützen. Fragen, die aufgeworfen werden, sind: Wo kann man sich professionelle Hilfe holen, wie die Scheu vor diesem Schritt verlieren und immer im Sinne des zu Pflegenden handeln, seine Würde bis ins hohe Alter und bis zu einem „guten Ende“ zu bewahren? Wir stehen als schon oder künftig Betroffene vor einer großen Herausforderung, der wir uns zu stellen haben.

Christa Wandschneider, Bundesfrauenreferentin

Schlagwörter: Frauen, Pflege, Bad Kissingen, Seminar

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