23. Oktober 2025
Frauen in Wissenschaft und Kunst: 57. Jahrestagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde in Bad Kissingen
Die Ankündigung in der Siebenbürgischen Zeitung zum lange überfälligen Thema der siebenbürgisch-sächsischen Frauengeschichte war nicht nur für die Mitglieder des Arbeitskreises von Interesse, sondern erregte auch die Aufmerksamkeit vieler, die sich mit der Frauengeschichte in Siebenbürgen beschäftigen. Die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft blickt auf eine bewegte Vergangenheit voller kultureller Vielfalt, einem ausgeprägten Bildungsinteresse und starkem Gemeinschaftsgefühl zurück. In diesem Rahmen haben Frauen über Generationen hinweg bedeutende, oft jedoch wenig gewürdigte Beiträge in Kunst, Literatur, Wissenschaft, Volkskunde und Bildung geleistet.


Der Überblick zeigt, wie sich die Rolle der Frauen in Siebenbürgen über die Jahrhunderte hinweg unter dem Einfluss gesellschaftlicher, politischer und kultureller Umbrüche verändert hat. Frauen verschiedener Herkunft trugen trotz oft widriger Umstände als Bewahrerinnen von Traditionen, Gestalterinnen des sozialen und kulturellen Lebens sowie als Pionierinnen in Bildung und Emanzipation wesentlich zur Entwicklung der Region bei.
Lange Zeit prägten Religion, ethnische Zugehörigkeit und das soziale Umfeld das Frauenbild und den Alltag. Während im Mittelalter und in der frühen Neuzeit vor allem traditionelle Geschlechterrollen dominierten, boten das 19. und 20. Jahrhundert durch Bildung und gesellschaftliches Engagement neue Perspektiven. Der Kommunismus brachte einerseits Gleichstellungsideale, führte aber auch zu neuen anders gelagerten Herausforderungen. Seit dem Ende des Kommunismus ist ein tiefgreifender Wandel erkennbar: Frauen setzen sich verstärkt für Gleichberechtigung ein, bewahren ihre kulturelle Identität und gestalten Politik und Zivilgesellschaft aktiver mit. Gleichzeitig bestehen Herausforderungen wie Abwanderung, traditionelle Rollenbilder und soziale Ungleichheiten fort.
Der Vortrag „Von Dichtern und Dilettantinnen. Frauen in Wissenschaft und Kunst im 20. Jahrhundert“ von Prof. Angelika Schaser (Hamburg), emeritierte Hochschulprofessorin, zog die volle Aufmerksamkeit des Publikums auf sich. In ihrem Referat schilderte sie sehr persönlich die literarischen Versuche ihrer Großmutter Ella Schaser-Brandsch (1902-1998) und die Möglichkeiten, deren Gedichte einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Im Nachlass fanden sich Gedichte wie „Weidenzweige“ (vertont von Karl Fisi), „Es singt die Einsamkeit ein Lied“ und „Liebe“, von denen einige 1945 im Donaukurier veröffentlicht wurden. Der Versuch, des Öfteren Gedichte in der damaligen Siebenbürgischen Zeitung zu publizieren, scheiterte wohl an Differenzen mit dem Chefredakteur. Korrespondenz mit bekannten Persönlichkeiten belegen ihre Vernetzung und die erfahrene Wertschätzung. In den Jahren 1974 und 1979 publizierte sie im Eigenverlag die Gedichtbände „Gedichte“ und „Wie war dein Weg so weit“. Ella Schaser-Brandsch verdient es, erwähnt und bekannt gemacht zu werden – ihr kultureller Beitrag zur siebenbürgischen Literatur wurde zu Lebzeiten nicht ausreichend gewürdigt. Ein besonderer Dank gilt ihrer Enkelin, Prof. Schaser, für die Vermittlung der Lebensgeschichte und des Schaffenswerks ihrer Großmutter.
Dr. Réka Jakabházi (Klausenburg), Germanistin, Lektorin an der Babeş-Bolyai-Universität Cluj-Klausenburg, Department für Germanistik, untersuchte in ihrem Vortrag „Themen, Motive, Sichtbarkeiten: Autorinnen in siebenbürgisch-deutschen Anthologien der Zwischenkriegszeit“, inwieweit Autorinnen in dieser von gesellschaftlichen Umbrüchen und politischen Spannungen geprägten Epoche sichtbar wurden und welche Themen, Motive und Ausdrucksformen sie in ihren Texten in dieser von Männern dominierten Zeit wählten. In den von männlichen Autoren zusammengestellten Anthologien wurden sie anfangs ausschließlich auf „wesentliche Mütterlichkeit“ reduziert und entsprechende Gedichte dem Leserkreis vorgestellt. Erst allmählich löste sich dieses geprägte Bild und Autorinnen durften weitere ihnen zugewiesenen Bereichen repräsentieren. Insgesamt bot der Vortrag einen differenzierten Einblick in das literarische Schaffen siebenbürgisch-deutscher Autorinnen der Zwischenkriegszeit und regte zur weiteren Erforschung der oft übersehenen weiblichen Stimmen und ihrer Bedeutung für die kulturelle Entwicklung der Region an.


Dr. phil. Elfriede Csallner, die als Direktorin des Mädchengymnasiums in Bistritz maßgeblich die Entwicklung der Mädchenbildung in Siebenbürgen prägte. Sie setzte sich für die schulische und gesellschaftliche Förderung von Mädchen ein und eröffnete ihnen durch ihren Einsatz Zugang zu höherer Bildung sowie bessere berufliche und gesellschaftliche Perspektiven.
Silva Stein von Spieß zeichnete sich als international renommierte Vogelkundlerin aus. Ihr „Catalogus ornithologicus“ und etwa 80 weitere wissenschaftliche Veröffentlichungen sind bis heute essenzielle Quellen für Ornithologen, Ethnografen und Naturschützer zur Erforschung der Vogelwelt im Südostkarpatenraum. Luise Gottschling war eine bedeutende Meteorologin in Siebenbürgen, die sich als eine der wenigen Frauen intensiv der Erforschung und Berechnung von Wetterphänomenen widmete. Ihre wissenschaftliche Arbeit trug dazu bei, das meteorologische Verständnis in der Region zu vertiefen und steht beispielhaft für den oft übersehenen Beitrag von Frauen in den Naturwissenschaften.
Dr. med. Emilie Schwab aus Sächsisch-Regen gehörte zu den ersten Frauen in Siebenbürgen mit medizinischer Ausbildung und etablierte sich als Ärztin. Ihr Engagement förderte die medizinische Versorgung und die Frauenbildung und machte sie zu einer Pionierin, die nachfolgenden Generationen von Wissenschaftlerinnen den Weg ebnete. Insgesamt verdeutlichen diese Persönlichkeiten den nicht zu unterschätzenden Einfluss von Frauen in Wissenschaft, Bildung und gesellschaftlichem Fortschritt in Siebenbürgen.
Ein besonders spannender Aspekt war die Würdigung jener Bereiche, in denen Frauen häufig im Hintergrund tätig waren – zum Beispiel in den Naturwissenschaften oder in der Volkskunde.


Mit einem besonderen Thema, „Rettungswiderstand von Frauen in Bukarest und Siebenbürgen während des Zweiten Weltkriegs“ zeigte PD Dr. Mariana Hausleitner (Berlin), Historikerin und Hochschullehrerin, wie Frauen über sich selbst hinauswuchsen, sich vorbildlich organisierten, große persönliche Gefahren auf sich nahmen und aktiv gegen Unrecht vorgingen. Mithilfe des Roten Kreuzes, verschiedener zu diesem Zweck gegründeter Frauenvereine, aber oft auch im privaten Umfeld wurden jüdische Kinder aus den Gebieten, die sich zwischen 1940-1944 unter rumänischer Oberhoheit befanden, nach Palästina gebracht. Das oft im Verborgenen gebliebene Engagement verdient besondere Beachtung – nicht nur als historisches Ereignis, sondern auch als Beispiel für Zivilcourage und ethische Verantwortung.
Mit dem Fokus auf das Wirken von Frauen in Kultur, Wissenschaft und Kunst in Siebenbürgen wurde auf dieser Tagung ein Schritt zur vertieften Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Themenfeld gemacht. Zwei zentrale Ziele standen dabei im Mittelpunkt: Zum einen sollte mithilfe von Überblicks- und Grundlagenbeiträgen ermittelt werden, welche Forschungsdesiderate in der Frauengeschichte Siebenbürgens allgemein und speziell hinsichtlich der Deutschen dieser Region bestehen. Zum anderen dienen die Beiträge als Ausgangspunkt für die Arbeit an einem langfristigen Projekt des Landeskundevereins – dem „Frauenband“ des Schriftsteller-Lexikons der Siebenbürger Deutschen. Bis zur diesjährigen Jahrestagung lag der vermeintlich letzte Band des Lexikons vor, der bis zum Buchstaben Z reicht, jedoch (fast) ausschließlich männliche Autoren bis zum Geburtsjahrgang 1915 umfasst. Autorinnen wurden bislang in den Nachtragsbänden überraschenderweise nicht berücksichtigt, weshalb ein eigener Band – Band zwölf dieses Jahrhundertwerks – für sie erarbeitet werden muss. Die Vorträge, Diskussionen und die fachliche Expertise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten hierzu Anregungen liefern.
Die Jahrestagung hat eindrucksvoll gezeigt, wie vielfältig und bedeutend die Beiträge von Frauen in Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft in Siebenbürgen waren und sind. Trotz zahlreicher Herausforderungen und struktureller Hindernisse gelang es ihnen, Akzente zu setzen und die Entwicklung der Region maßgeblich zu prägen. Die Sichtbarmachung dieser Leistungen und die kritische Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte sind zentrale Aufgaben künftiger Forschung und gesellschaftlicher Debatte. Die Tagung bot wertvolle Impulse für weitere Initiativen und Projekte zur Frauen- und Geschlechtergeschichte in Siebenbürgen. Sie endete am Folgetag mit angeregten Gesprächen und einer kurzweiligen Führung durch Bad Kissingen.
Christa Wandschneider
Schlagwörter: AKSL, Jahrestagung, Frauen, Bad Kissingen, Irmgard Sedler
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