10. Juni 2014

Bernd Fabritius für eine Kultur des Mitmachens und der Offenheit

Unter dem Motto „Heimat ohne Grenzen“ haben rund 20.000 Siebenbürger Sachsen ihren 64. Heimattag bei herrlichem Wetter vom 6. bis 9. Juni in Dinkelsbühl gefeiert. Eine positive Bilanz der 25 Jahre seit Zusammenbruch des Ostblocks zog Dr. Bernd Fabritius, MdB, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. „Wir feiern ein Vierteljahrhundert ohne todbringende Grenzzäune. Wir leben in Wohlstand und Sicherheit – es geht uns gut“, so fasste es Fabritius in seiner Festansprache am Pfingstsonntag zusammen. Er wehrte sich vehement gegen die Preisgabe des siebenbürgisch-sächsischen Kulturerbes und rief die Siebenbürger Sachsen auf, ihre reiche Kultur zu pflegen und sich gewinnbringend in die Gemeinschaft einzubringen. Den Rahmen fürs Mitmachen biete der Verband, der sich vielseitig für die Anliegen der Mitglieder engagiere. Die Rede wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Liebe Ehrengäste und Landsleute,
2014 ist für uns Siebenbürger Sachsen ein Jubiläumsjahr, das vielleicht nicht jeder sofort in seiner Tragweite präsent hat: Wir feiern ein Vierteljahrhundert Freiheit ohne todbringende Grenzzäune. Vor 25 Jahren brach der sozialistische Ostblock in sich zusammen. Die künstlich geschaffene Fassade der kommunistischen Idealgesellschaft war zu schwer geworden für das magere, entbehrungsreiche Leben in den Staaten des Ostblocks.

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Diejenigen unter uns, die jene gerade für uns Siebenbürger Sachsen so geschichtsträchtigen Tage im Dezember 1989 erlebt haben, werden heute vielleicht ein Fazit ziehen wollen.

Was hat uns das Vierteljahrhundert seit jenen denkwürdigen Dezembertagen gebracht? Es ist uns unbenommen, die persönlichen Erfolge – ja die Gewinne! – zu bilanzieren: Wir leben in Wohlstand und Sicherheit.

Wir haben die Freiheit gewonnen, selbst über unser Leben zu entscheiden. Wir haben gute Zukunftsperspektiven, für uns und folgende Generationen. Wir sind hier in Deutschland Bürger einer Bundesrepublik, die auf der ganzen Welt einen hervorragenden Ruf genießt. Anlass zur Traurigkeit oder zum Nörgeln besteht bei klarer Betrachtung auch in den eigenen Reihen nicht. Es geht uns gut!

Es ist heute ein besonders guter Zeitpunkt, einmal Danke zu sagen: Danke, Deutschland, für deine Willkommenskultur! Wir haben hier eine Heimat gefunden, um die uns die halbe Welt beneidet.
Festredner bei der Festkundgebung des Heimattages ...
Festredner bei der Festkundgebung des Heimattages am Pfingstsonntag 2014 in Dinkelsbühl, von links: Hartmut Koschyk, MdB, Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung, Dr. Bernd Fabritius, MdB, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Reinhold Gall, MdL, Innenminister von Baden-Württemberg, und Klaus Johannis, Oberbürgermeister von Hermannstadt, mit Gattin Carmen. Foto: Siegbert Bruss
Liebe Landsleute, Heimat ist jedoch weitaus mehr als nur ein geographischer Ort. Genauso, wie zu einer Gewinn-und-Verlust-Rechnung auch der Verlust gehört, genauso gehört zur Heimat auch die innere „Landschaft“ in uns selbst, die „Topographie des Herzens“.

Haben wir nach 25 Jahren Leben in Freiheit den Mut, unser Heimatverständnis ehrlich und auch selbstkritisch zu überprüfen?

Sind wir jetzt bereit, den Gewinnen auch die Verluste gegenüberzustellen, ohne weiterhin auf ausgetretenen Pfaden des Ressentiments und des Wehleidens zu schreiten?

Ja, selbstverständlich haben viele unter uns so viel aufgegeben und verloren – und ich spreche bewusst auch von Werten und Schätzen jenseits des Materiellen – dass selbst ein Vierteljahrhundert nicht ausreicht, um den Schmerz zu kompensieren.

Aber, meine Damen und Herren, wir haben längst die Möglichkeit, diese diffusen Sehnsüchte, die ich gerne mit „siebenbürgische Heimat im Herzen“ umschreiben möchte, ebenfalls zu befriedigen.

Als ich mich hingesetzt habe, um alle siebenbürgischen Institutionen, Gruppen, Vereine und Gremien, in denen sich der Einzelne einbringen kann, aufzuschreiben – da habe ich selbst gemerkt, dass eine Aufzählung hier und heute vor der Schranne in Dinkelsbühl für Sie eine Zumutung wäre:

Denn es sind so viele, dass ich sie nicht alle einzeln benennen kann! Was für eine schöne, Mut machende Feststellung! Und was für eine Freude und Genugtuung – wenn ich das als Verbandsvorsitzender sagen darf.

Die Siebenbürger Sachsen sind stärker, als sie selbst denken. Sie sind aktiver, als sie es selbst wahrnehmen. Aber sie sind auch selbstkritischer, als es manchmal notwendig ist.

Kulturelles Erbe und Identität

Siebenbürger Sachse zu sein und diese durch Geburt gegebene Identität anzunehmen, ist keine Last, meine Damen und Herren! Das kulturelle Erbe, das uns unsere Vorfahren hinterlassen haben – es mag schwer wiegen. Aber es darf uns nicht zu lästigem Ballast werden. Für den Einzelnen mag es unstemmbar sein, das Erbe angemessen zu pflegen und zu erhalten.

Für unsere Gemeinschaft hingegen sollte es pure Lust und Freude sein – und das hat uns der heutige Heimattag deutlich gezeigt – , diesen Schatz zu pflegen.

Wer sind wir denn, dass wir es wagen könnten, jahrhundertealte Zeugnisse – ob nun in Stein gemauert oder in Liedgut vertont oder in Leinen gewebt – wer sind wir denn, dass wir es wagten, diese Schätze dem Untergang preiszugeben? Was in diesem letzten Vierteljahrhundert von unserer Gemeinschaft dem Verfall preisgegeben wurde – und Gott sei Dank an vielen Stellen bereits wieder renoviert und restauriert wird – ist vielleicht schon mehr, als wir verantworten können. Aber es gibt auf der anderen Seite unsere Gemeinschaft, die immer noch viel stärker ist, als wir Siebenbürger Sachsen in unserer Bescheidenheit erkennen wollen! Ich bin fest überzeugt: Wir können gemeinsam noch viel bewegen (…)

Liebe Landsleute, Erbe ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Nur das, was unsere Generation als Erbe weitergeben kann, wird in Zukunft als Erbe für unsere Kinder zur Verfügung stehen.

Uns ist ein Erbe hinterlassen worden, und es ist auch an UNS dieses Erbe zu gegebener Zeit weiterzureichen. Dafür muss sich jeder von uns einsetzen, der Schwächste und der Stärkste. Jeder mit seinen Möglichkeiten.

Mitmachen in der Gemeinschaft

Lassen Sie mich ein paar Worte zu Aktivitäten und Mitmachmöglichkeiten sagen: sei es mit Siebenbürger Sachsen, sei es für Siebenbürger Sachsen, sei es – in Siebenbürgen selbst.

Das Mitmachen, also die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben einer Gruppe oder eines Volkes, kann für jeden Einzelnen von uns Lebensinhalt sein. Sie werden heute Nachmittag siebenbürgische Tanzgruppen aus ganz Deutschland erleben; hier vor der Schranne, mit viel Freude an diesem Auftritt vor großem Publikum.

Auf dem Sportplatz um die Ecke spielten gestern siebenbürgische Fußball- und Volleyballmannschaften um den prestigeträchtigen Sieg. Die Mannschaften, die in Dinkelsbühl Erste werden, zehren von diesem Triumpf ein ganzes Jahr lang. Viele unserer Landsleute singen in Chören und Kantoreien, viele spielen in Blaskapellen und Theatergruppen mit.

Die Carl-Wolff-Gesellschaft entwickelt sich mehr und mehr zu einem veritablen siebenbürgischen Wirtschaftsclub mit guten Kontakten und hervorragendem Sachverstand, der gefragt ist.

Die Heimatortsgemeinschaften spiegeln in ihrem Aufbau die räumlichen Siedlungsstrukturen aus Siebenbürgen und bieten auch unter dem jetzigen Vorsitzenden, Hans Gärtner, eine sinnvolle Ergänzung zu dem Netz aus Kreis- und Landesgruppen unseres landsmannschaftlichen Verbandes.

Jeder, der sich für sein Heimatdorf oder seine Heimatstadt in Siebenbürgen einbringen möchte, ist sowohl in der jeweiligen HOG als auch in der Kreisgruppe des Verbandes, zu der sein Wohnort heute gehört, herzlich willkommen.

Es wird schon bald nicht mehr ausreichen, darauf zu vertrauen, dass sich „schon irgendjemand finden“ wird, der den Kathreinenball organisiert, die Tracht anzieht, der sich in den Vorstand wählen lässt, der sich, --- nun ja, „schon kümmern“ wird!

Wer an Siebenbürgen denkt, wer die Heimat im Herzen fühlt und führt, der sollte nicht erst morgen, sondern am besten sofort selbst mitmachen! Zumindest könnte man sich das jetzt gleich fest vornehmen! ;-)

Den Rahmen fürs Mitmachen bietet unser Verband, der von und für seine Mitglieder lebt. Hier, liebe Landsleute, können Sie ansetzen: Werden Sie Mitglied des Verbandes bzw. unterstützen Sie uns beim Werben um neue Mitglieder!

Wir können uns nur deshalb jedes Jahr hier in Dinkelsbühl treffen, weil wir einen Verband und fleißige Hände haben, die diesen Heimattag möglich machen. Danksagen ist eines, selbst Mitmachen ist besser!

Der Siebenbürgisch-Sächsische Kulturrat als koordinierenden Dachverband bündelt unter anderen die bundesweit tätigen Kulturgut erhaltenden siebenbürgischen Institutionen. Museum, Stiftung, Bibliothek, Gemeinschaft Evangelischer Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD – ich will nur einige nennen. Auch hier kann jeder seine Freude und seine freie Zeit, aber vor allem sein Wissen um Siebenbürgen und seine Sehnsüchte nach Altvertrautem gewinnbringend in unser Gemeinschaftsleben einbringen.

Die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland (SJD) als Jugendverband sucht ständig neuen Nachwuchs: Wenn keine Jugendlichen nachrücken, steigt der Altersdurchschnitt.

Die Arbeit, die unsere SJD leistet, sehen Sie auch heute hier in Dinkelsbühl: „Unser Nachwuchs präsentiert sich“, ein beliebter Programmpunkt am Heimattag – um nur einen zu nennen – wird von aktiven SJD-Mitgliedern betreut. Auch die Organisation des Zeltplatzes vor den Toren der Stadt und des riesigen Festzeltes, das übrigens auch heute Abend wieder rappelvoll sein wird, obliegt unserer siebenbürgischen Jugend.

Genug des bei Weitem unvollständigen Aufzählens. Worauf will ich hinaus?

Öffentliche Wahrnehmung

Ich möchte Ihnen aufzeigen, dass dieses Mitmachen eines jeden Einzelnen noch einen weiteren Aspekt hat, an den keiner von uns gleich denkt, wenn er sich zum Mitmachen entschließt.

Lassen Sie mich den Gedankengang anhand eines Bildes, das gut zum gestrigen Tag passt, entwickeln:

Warum singen Menschen in einem Chor? Weil ein Chor als Korpus, als Ganzes noch weit mehr ist als die Summe seiner Einzelstimmen. Weil ein Chor eine Kirche füllen und erfüllen kann, weil ein Chor einer Zeitung einen Artikel wert ist, weil ein Chor ein Podium bekommt. Weil ein Chor unübersehbar und unüberhörbar ist.

Wer in einem Chor singt, trägt mit seinem Einsatz dazu bei, dass aus unterschiedlichen Einzelstimmen ein einstimmiges Klangwunder entsteht.

Jetzt wissen Sie, liebe Siebenbürger Sachsen, worauf ich heute hinauswollte.

Jeder Einzelne von uns kann durch sein Mitmachen und Mitwirken einen Kraftanteil spenden, der für unsere Gemeinschaft elementar ist, weil er die bereits Mitmachenden unterstützt und selbst zu einem Teil des großen Chors wird. Es ist der Chor, der die einzelnen Stimmen bündelt!

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir nur dann wahrgenommen werden, wenn wir sichtbar sind. Erst wenn wir sichtbar sind, haben wir eine Stimme, die gehört wird. Dieser in sich geschlossene Kreis gilt sowohl für jeden Einzelnen unter uns als auch für unsere Gemeinschaft im Verband.

Liebe Landsleute, unser Verband ist notwendigerweise darauf angewiesen, in der bundesdeutschen Öffentlichkeit Gehör zu finden.

Gewiss, nicht alle Wünsche unserer Landsleute konnten erfüllt werden. Aber wir haben mehr erreicht, als viele uns jemals zugetraut hätten. Unser Verband ist stark und bekannt. Wir sprechen mit lauter Stimme, die gerne gehört wird, wegen der Kraft unserer Argumente und wegen der besonnenen Sprache. In Politik und Gesellschaft sind die Ohren für unsere Anliegen weit geöffnet. Niemals zuvor waren unsere Anliegen willkommener. Unsere Gedanken finden Zugang zu den Herzen der Menschen.

Verbandspolitik als kontinuierlicher Dialog

Verbandspolitik ist und bleibt ein kontinuierlicher Prozess, der einerseits auf treibende Kräfte aus dem Verband heraus, andererseits auf interessierte und, ja, wohlgesinnte Gesprächspartner in der bundesdeutschen und zunehmend der europäischen Politik angewiesen ist.

Mit der rumänischen Regierung steht der Verband in einem kontinuierlichen Dialog. Wir werden als Gesprächspartner ernst genommen, unsere Anliegen werden gehört, auch wenn Lösungen oft mühsam erkämpft werden müssen und sich nicht über Nacht und schon gar nicht von alleine einstellen!

Wir werden bald wieder eine noch intensivere eigene kulturelle Breitenarbeit leisten können, man redet wieder über uns betreffende Unzulänglichkeiten im Rentenrecht. Wir haben in Rumänien die Entschädigung für die Russlandverschleppung durchgesetzt, alles mit Erfolg!

Über 80 Prozent der Anträge wurden bereits positiv entschieden und die noch offenen Fälle werden wir auch noch durchbekommen. Es ist nicht einfach und oft ein Kampf, aber dieser bringt irgendwann auch Erfolg, das hat sich gerade in den letzten Wochen und Monaten gezeigt. Ich danke gerade auch unseren Landsleuten in Siebenbürgen für ihren Einsatz und bitte Dich, lieber Klaus Johannis, diesen Dank mitzunehmen. Eure Unterstützung zeigt: Wir haben euch nicht vergessen, aber ihr habt uns auch nicht vergessen!

In der deutschen Öffentlichkeit ist unser Verband trotz sinkender Mitgliederzahl präsenter geworden. Spätaussiedler und Vertriebene hatten selten so viele Mitstreiter in der Politik.

Aber glauben Sie mir, dass der Verband der Siebenbürger Sachsen auch den Vergleich mit den anderen Landsmannschaften, die zum Teil größer sind, nicht scheuen muss. Ich erlebe im Bundestag immer wieder, dass mal die Siebenbürgische Zeitung, dann unser Internetauftritt siebenbuerger.de, dann unsere aktiven Kreis- und Landesgruppen lobend erwähnt werden. Wir müssen uns nicht verstecken, meine Damen und Herren!

Zum Ende meiner Rede möchte ich eins noch ansprechen: Wir haben in diesem Jahr eine Entwicklung zum erfolgreichen Abschluss geführt, die unseren Landsleuten die Möglichkeit eröffnet, nunmehr wieder Mitglied der Evangelischen Landeskirche in Rumänien zu werden, zusätzlich zu der Mitgliedschaft in der Kirchengemeinde hier in Deutschland.

Das, liebe Landsleute, sehe ich als spätes, aber aufrichtiges Dankeschön an die Kirche in Siebenbürgen, die uns neben den nachbarschaftlichen Strukturen über Jahrhunderte Halt und Zusammenhalt geboten hat.

Das, liebe Landsleute, ist eine der vielen Möglichkeiten von denen ich zu Beginn sprach, um die siebenbürgische Heimat im Herzen zu nähren und zu pflegen.

Das, liebe Landsleute, ist wahrlich „Heimat ohne Grenzen“.

Und nun genießen Sie diesen Heimattag und zeigen Sie sich. Nur gemeinsam bleiben wir Siebenbürger Sachsen!

Schlagwörter: Heimattag 2014, Fabritius

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