31. Mai 2007

Regina van Dinther: "Ein Vorbild für Europa"

Die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen leistet einen wertvollen Beitrag für die europäische Völkerverständigung, stellte Regina van Dinther, die Präsidentin des Landtags von Nordrhein-Westfalen, beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl anerkennend fest. Als erste nordrhein-westfälische Landtagspräsidentin, die der Nachkriegsgeneration angehört, rückte die CDU-Politikerin den Frieden und Freiheit verpflichteten Gedanken der europäischen Einigung in den Mittelpunkt ihrer Festrede. So einzigartig wie der Heimattag, so einzigartig sei auch das gesellschaftliche Engagement der Siebenbürger Sachsen im Zeichen von Freiheit, Vielfalt und Verantwortung in ganz Deutschland und besonders in Nordrhein-Westfalen. Durch die Aufbauleistung, die Kultur- und Jugendarbeit habe man bewiesen, wie gut Integration funktionieren könne, mehr noch, dazu beigetragen „Toleranz und Solidarität in der gesamten Bundesrepublik fest zu verankern“. Die Patenschaft des Landes NRW für die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen habe „auch für die europäische Einigung einen vorbildhaften Charakter“. Von dem jahrzehntelangen Wirken der Landsmannschaft als Brückenbauer zwischen Ost und West profitiere die europäische Einigung bis heute, bekräftigte die Landtagspräsidentin. Ihre Ansprache wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr verehrter Herr Dürr, liebe Frau Steinbach, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Ich freue mich sehr, hier bei Ihnen im schönen fränkischen Dinkelsbühl zu sein und möchte Ihnen für die Einladung zu Ihrem Heimattag von Herzen danken. Zugleich darf ich Ihnen die besten Wünsche des Landtags Nordrhein-Westfalen überbringen – des Parlaments, das die 18 Millionen Menschen des größten deutschen Bundeslandes vertritt. Erst vor zwei Wochen haben wir zusammen im Parlament die Patenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen für die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen gefeiert. Viele von Ihnen waren dabei, und ich freue mich, dass wir uns heute wiedersehen.

Die nordrhein-westfälische Landtagspräsidentin Regina van Dinther auf der Festkundgebung in Dinkelsbühl. Foto: Lukas Geddert
Die nordrhein-westfälische Landtagspräsidentin Regina van Dinther auf der Festkundgebung in Dinkelsbühl. Foto: Lukas Geddert
Meine Damen und Herren, gestern vor 50 Jahren hat das Kabinett Steinhoff die Patenschaft mit der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen beschlossen. Ich darf Ihnen daher auch die herzlichen Grüße des Ministerpräsidenten unseres Bundeslandes, Jürgen Rüttgers, übermitteln. Dass diese Verträge auch weiterhin von Nordrhein-Westfalen aus mit Leben erfüllt werden sollen, das zeigt schon, dass ich heute mit einer so großen Delegation aus Nordrhein-Westfalen hier nach Dinkelsbühl angereist bin.

Einzigartiges soziales Engagement

Meine Damen und Herren, ich muss gestehen: Ich bin beeindruckt! Was Sie hier in Dinkelsbühl zum Heimattag auf die Beine stellen, das ist wirklich einzigartig. Wo begegnen sich so viele Tausend Siebenbürger Sachsen aus der ganzen Welt? Wo sonst kommen so viele Menschen aller Generationen zusammen, um ihre Traditionen derart liebevoll zu pflegen? So einzigartig wie der Heimattag, so einzigartig ist auch das gesellschaftliche Engagement der Siebenbürger Sachsen in ganz Deutschland und speziell in meinem Heimatland, in Nordrhein-Westfalen. Deshalb können wir alle miteinander stolz darauf sein, dass unsere Beziehung heute noch dieselbe, außergewöhnliche Bedeutung besitzt wie am ersten Tag.

Im vergangenen Jahr gab es für die Menschen meines Bundeslandes einen großen Grund zur Freude: Denn unser Land und der Landtag haben den 60. Geburtstag gefeiert. Die Bürgerinnen und Bürger haben aus diesem Anlass deutlich gemacht: Freiheit, Vielfalt und Verantwortung bilden die unersetzliche Grundlage unseres Zusammenlebens. Zu diesen Errungenschaften unserer Demokratie haben Sie, liebe Siebenbürger Sachsen, einen bedeutenden Beitrag geleistet. Nach Flucht und Vertreibung haben Sie im Herzen unseres Landes eine alte Heimat neu entdeckt. Mit vereinten Kräften haben Sie, Ihre Familien und Vorfahren am Aufbau mitgewirkt und schnell bewiesen, wie gut Integration funktionieren kann. Durch ihr vielfältiges kulturelles Engagement haben sie geholfen, Toleranz und Solidarität in der gesamten Bundesrepublik fest zu verankern. Nach schrecklichen Jahren der Unmenschlichkeit haben Sie unsere Gesellschaft ein großes Stück menschlicher gemacht.

Es freut mich daher umso mehr, hier in Dinkelsbühl Ihr Engagement auch so hautnah und so farbenprächtig miterleben zu dürfen. Mit einem bunten Programm – von Tanz bis Tennis, von Fußball bis Folklore – zeigen Sie schwungvoll, was Ihre Landsmannschaft ausmacht und wie beispielgebend das für unser Land sein könnte: Es ist nämlich die kulturelle Kreativität und der gesellschaftliche Gestaltungswille, die das Miteinander der Menschen prägen.

Außerdem beweist der Heimattag 2007 einmal mehr: Die Kultur der Siebenbürger Sachsen ist eine quicklebendige. Eine Kultur, die auf Verständigung und auf Gegenseitigkeit beruht. Und eine Kultur, die unser Zusammenleben auch über die Ländergrenzen hinweg spürbar bereichert. Ich bin deshalb der festen Überzeugung: Unsere Patenschaft hat auch für die europäische Einigung einen vorbildhaften Charakter, und das Motto Ihres Heimattages spricht dabei Bände: „Wir in Europa“! Genau darum geht es. Meine Damen und Herren, ich bin die erste nordrhein-westfälische Präsidentin, die der Nachkriegsgeneration angehört, und ich frage mich manchmal, ob unsere Generation es sich eigentlich stets bewusst gemacht hat, in welcher glücklichen Zeit wir leben. Wir haben das Glück, 60 Jahre in Frieden und Freiheit zu leben. Wir haben das Wunder der deutschen Wiedervereinigung miterlebt. Wir haben das Wunder erlebt, dass die osteuropäischen Grenzen fielen, und wir erleben grade das Wunder, wie Europa sich bildet, wie in diesem Jahr 27 Nationen Europa bilden, und meine Damen und Herren, ich glaube, das muss man jeden Tag sagen, welch’ großes Glück das für uns ist. Und ich bin auch davon überzeugt, dass dieses neue Europa die Grundlage für ein Zusammenleben der Völker in der Welt geben wird. Ich glaube, dieses europäische Modell wird auch importfähig für die Welt werden, und wir werden eine wichtige Rolle spielen.

Wertvoll für europäische Völkerverständigung

Meine Damen und Herren, denn die furchtbaren Kriege der vergangenen Jahrzehnte haben uns das vor Augen geführt: Die Herausforderungen auf unserem Kontinent können wir nicht im Gegeneinander, sondern können wir nur im Miteinander lösen. Das wusste auch Konrad Adenauer, der schon vor Jahrzehnten betonte: „Die Einheit Europas war ein Traum weniger. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für alle.“

Zu Europa gehören alle Menschen, die sich für den Grundgedanken der Gemeinschaft einsetzen. Und, meine Damen und Herren, die Bundeskanzlerin und EU-Ratsvorsitzende Angela Merkel hat Recht, als sie jüngst in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament sagte: „Europas Seele ist die Toleranz.“ Ich bin überzeugt: Diese Seele finden wir auch hier beim Heimattag in Dinkelsbühl. Dass nun Rumänien und andere Staaten Osteuropas zur Europäischen Union gehören, das ist eine historische Chance. Diese müssen wir nützen, um das einmalige Projekt des europäischen Friedens weiter voranzubringen.

Jetzt kommt es darauf an, den ständigen Austausch der Kulturen auch weiter zu stärken. Nur durch den Abbau von Vorurteilen und den Aufbau von Vertrauen entsteht die einmalige und großartige Freundschaft der Völker. Und meine Damen und Herren, die Menschen sind die Architekten dieser neuen Freundschaft.

Es ist für mich mehr als ein schöner Zufall, dass Hermannstadt ausgerechnet jetzt – zum Jubiläum unserer Patenschaft – den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt trägt. Jetzt können die Menschen dort und hier im Einklang zeigen: „Wir sind ein Teil Europas. Wir sind dazu bereit, die europäische Gesellschaft durch unsere Fähigkeiten aktiv mit zu gestalten.“ Dieses Zugehörigkeitsgefühl ist wegweisend für das Zusammenwachsen unseres Kontinents. Und es ist auch eine der Grundlagen für unsere Patenschaft.

Wer einmal hier in Dinkelsbühl oder in den Siedlungen der Siebenbürger Sachsen gewesen ist, der weiß, was den Umgang Ihrer Landsmannschaft mit den eigenen Traditionen so wertvoll auch für die europäische Völkerverständigung macht. Sie, die Siebenbürger Sachsen, begreifen Ihr gemeinschaftliches Erbe nicht als eine Festung mit verriegelten Toren. Ganz im Gegenteil: Sie halten das Haus Ihrer Gemeinschaft offen für neue kulturelle Einflüsse und Erkenntnisse. Durch eine hervorragende Jugendarbeit, wie wir das heute Morgen wieder bewiesen bekamen, machen Sie die nachfolgenden Generationen mit ihren kulturellen Wurzeln vertraut. Und zugleich bringen Sie den jungen Menschen das notwendige Vertrauen entgegen, die gemeinsame Kultur immer wieder neu zu beleben. Das ist schließlich eine allgemeine Voraussetzung zur Begegnung der Kulturen: Wir schauen auf das, was uns verbindet, nicht auf das, was uns trennt. Wir schauen auf gemeinsame Traditionen und auf eine gemeinsame Zukunft.

Patenschaft – Partnerschaft

Schon Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat einst betont: „Nicht ein Europa der Mauern kann sich versöhnen, sondern ein Kontinent, der seinen Grenzen das Trennende nimmt.“ Sie haben früh verstanden: Die Grenzen zwischen Staaten und Kulturen müssen durchlässig sein, denn sonst bedeuten Grenzen immer auch wieder Ausgrenzung. Schon lange, bevor der Eiserne Vorhang fiel, hat Ihre Landsmannschaft Brücken zwischen Ost und West, zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn gebaut. Davon profitiert die europäische Einigung bis heute.

Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger! Das Motto dieses Heimattages „Wir in Europa!“ gibt es vor: Europa muss wortwörtlich „von Grund auf“ gelingen. Und das geht nur, wenn es die Herzen und die Köpfe der Menschen erreicht. Europa muss für die Menschen vor den eigenen Haustüren beginnen. Wir alle müssen die Chancen der Freundschaft zwischen Völkern im Alltag spüren und erleben können. Ich bin mir sicher, dass wir hierzu viel beitragen können. Denn den gleichen Weg, den wir auf europäischer Ebene noch gehen müssen, den haben wir in unserem Land bereits gemeinsam mit Erfolg beschritten.

Die, die vor einem halben Jahrhundert die Patenschaftsurkunde unterzeichnet haben, haben uns diesen Weg geebnet. Hier in Dinkelsbühl, meine Damen und Herren, hat Johannes Rau schon beim Heimattag vor zehn Jahren betont, dass aus der Patenschaft längst eine Partnerschaft geworden ist. Damit setzen wir zusammen ein unübersichtliches Zeichen der Verständigung. Und wir zeigen ganz praktisch, dass sich Einheit und Vielfalt keineswegs ausschließen, sondern sich gegenseitig positiv bedingen.

Keine Frage: Neben der kulturellen Vielfalt müssen auch die eigenen Traditionen weiter bestehen. Das leben Sie, liebe Siebenbürger Sachsen, jeden Tag aufs Neue vorbildlich vor. Sie wissen: Traditionen sind Heimat. Lassen Sie uns an diesem Ziel der europäischen Einigung auch zukünftig so konstruktiv mitwirken, wie es uns in den vergangenen 50 Jahren erfolgreich gelungen ist! Ich wünsche Ihrer Landsmannschaft und unserer Patenschaft weiterhin alles erdenklich Gute und Gottes reichen Segen. Schön, dass wir heute zusammen feiern können.

Schlagwörter: Heimattag, Patenschaft, Nordrhein-Westfalen

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