27. August 2019

Ein Franke in der Harghita: Besuch bei Jürgen Fink in Dealu/Oroszhegy

Viele Siebenbürger Sachsen haben ihre Auswanderung als Chance für ein besseres Leben gewählt, weil sie mit den damaligen politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in ihrem Leben nicht mehr zurechtgekommen sind. Hoffnung war der Motor und die Tragkraft ihres Handelns. Leider machten einige auch die Erfahrung, dass nicht jeder „Tellerwäscher“ im Auswanderungsland „zum Millionär“ wird. Diese Erfahrung machte auch Jürgen Fink sechs Jahre nach seiner Auswanderung nach Rumänien. Die Perspektivlosigkeit, die er in Deutschland zurückgelassen hatte, holte ihn im Auswanderungsland ein. Woran liegt das?
Wohin ist Jürgen Fink ausgewandert? Das Kerngebiet der Harghita liegt bei Odorheiu Secuiesc/Székely Undvárhely/Odorhellen. Hier ist auch das Dorf Dealu, wo Jürgen Fink „sein neues Zelt“ aufgeschlagen hat. Man muss aber wissen, dass es in den Orten der Harghita außer den Polizisten keine Rumänen, aber auch keine Deutschen gibt.

Folglich stellt sich die Frage: Was macht ein Mann in den besten Jahren, Akademiker, Wirtschaftswissenschaftler, Englischlehrer, Buchhändler mit 25-jähriger Erfahrung, deutscher Franke in Dealu? Laut Wikipedia ist Dealu eine aus sieben Dörfern bestehende Gemeinde mit 3 900 Einwohnern, die zu 99 % ungarisch und katholisch oder reformiert-unitarisch sind. Ich entschloss mich ihn zu besuchen. Groß war die Spannung, als ich in Begleitung von Gerlinde Schuller am Mittwoch vor Ostern von Korund aus nach Dealu fuhr. Dealu ist ein stattliches Dorf mit schönen und großen Häusern entlang der Hauptstraße und einer stattlichen Dorfkirche. Als wir pünktlich vor dem Haus hielten, stand ein hochgewachsener, schlanker Mann mit kurzem Haarschnitt und sportlicher Figur bei offenem Tor im Hof und empfing uns freudig auf seinem Grundstück. Es war Jürgen Fink. Sein Haus ist nicht, wie im Ort üblich, an der Straße gebaut, sondern zurückgezogen, so dass davor und dahinter noch Garten ist. Das Haus ist auch kein Stein- oder Ziegelhaus, wie die anderen Häuser im Dorf, sondern ganz aus Holz und nicht verputzt. Es ist auf seinen Eigentümer „zugeschnitten“.
Jürgen Fink am Schaltpult der Modelleisenbahnen. ...
Jürgen Fink am Schaltpult der Modelleisenbahnen. Fotos: Johannes Kravatzky
Wir wurden hineingebeten und staunten nicht schlecht, als Herr Fink uns als erstes seinen „Hobbyraum“ zeigte. Dort war auf einem großen Tisch eine Modelleisenbahn aufgebaut. An den Steckdosen am Fußboden und am Tisch, an der Kabelführung und dem Schaltpult konnte man erkennen, dass dieser Raum für diese Modelleisenbahn bzw. -bahnen konzipiert und gebaut wurde. Beeindruckend! Auch an den Nebentischen und in den Wandvitrinen, überall Eisenbahnen, Waggons, Lokomotiven, Schalt- und Gleiselemente und viel, viel Leidenschaft. Freilich musste ich nachhaken und fragen, wie er zu dieser Anlage gekommen ist. Nachdem Herr Fink seine Berufs- und Familienplanung abgeschlossen hatte, erwachte bei ihm das Interesse an den Eisenbahnen seiner Kindheit. In Dealu steht nun die dritte, in ihren Ausmaßen größte Anlage (ca. 2 x 7 m). Von der ersten deutschen Eisenbahn („Adler“) bis zum ICE ist ein repräsentativer Querschnitt durch die deutsche, insbesondere die bayerische Eisenbahngeschichte vorhanden. Der Aufbau zog sich über drei Jahre hin, am Ende sind an die tausend Arbeitsstunden zusammengekommen.

Andere Hobbys sind Musik, Kochen und Literatur. Herr Fink spielt Geige, Cello und Querflöte, Beschäftigungen und Fähigkeiten, die in der frühen Schulzeit ermöglicht und gefördert wurden. Kochen ist freilich erst etwas später dazugekommen, da war der Lebensweg auch Lehrmeister. Bei der Musik hingegen war das Gymnasium die Förderstätte, wo er es im Schulorchester bis zum Konzertmeister gebracht hatte. Während des Studiums gab er Geigenunterricht an einer Schule. Heute ist das Musizieren eine seiner Leidenschaften. Täglich wird mindestens zwei Stunden an den verschiedenen Instrumenten gespielt.

Beeindruckend! Unsere Hochachtung! Und wieder stellt sich uns die Frage: Was macht ein Mann mit derartigen Fähigkeiten in Dealu? Alle seine Bemühungen, sein Wissen und Können sowie Erfahrungen an andere Menschen zu vermitteln und damit Geld zu verdienen, sind bisher nur von kurzer Dauer gewesen. Er hat auch nicht den Weg nach Gheorgheni/Gyergyószentmiklós/Niklasmarkt gescheut und unterrichtet dort Deutsch für Erwachsene. Ebenso an seinem Wohnort Dealu, aber die Nachfrage war schnell erschöpft und der Frust darüber „nicht gebraucht zu werden“ gewachsen. Auch die umliegenden Orte mit Odorhellen als Hauptort hat er erkundet. Sein Können hat er auch dort angeboten, doch leider keine Interessenten gefunden. Als guter Gastgeber hatte uns Herr Fink im Nachbarort Sâncrai/Székelyszentkirály in die Gastwirtschaft „Sziklakert“ eingeladen, weil hier die mit Marillenmus gefüllten Pfannkuchen (palacsinta) authentisch ungarisch und von hoher Qualität sind.

Wir haben uns lange über allerhand unterhalten, nur die Frage, wieso sich Herr Fink den Ort Dealu als zweite Heimat ausgewählt hat, wurde nicht abschließend geklärt. Jürgen Fink ist für Siebenbürgen und für die Gesellschaft eine Bereicherung, wenn man es versteht, seine Fähigkeiten abzurufen und zu nutzen.

Johannes Kravatzky

Schlagwörter: Auswanderung, Szekler

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