12. Juni 2020

Rigorose Ausgangssperren und Isolierungsmaßnahmen des Arztes Johannes Salzmann retteten die Hermannstädter 1510 vor der "bösen Pestilenz"

Die als Corona-Krise subsumierte SARS CoV-2 verursachte Pandemie wird von mehreren Generationen als eine noch nie dagewesene bedrohliche Situation wahrgenommen und die evidenten wie auch die noch zu befürchtenden sozialen, ökonomischen und kulturellen Folgen erfüllen die Seelen mit Angst und Zweifel. Soziale Distanzierung widerspricht der Werteordnung und dem Lebensstil des Bürgertums zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wie wir die Coronavirus-bedingte Stilllegung (Shutdown) derzeit erleben müssen. In der Grauzone zwischen rationaler Akzeptanz sinnvoller Einschränkungen und innerer Rebellion gegen die Limitierung der Freiheit als der großen Errungenschaft moderner Gesellschaften und der Selbstkontrolle über das eigene Los keimt in den Seelen die Hoffnung auf baldige Besserung und sogar Normalisierung des Lebens.
Johannes Salzmanns lateinische Pestordnung ...
Johannes Salzmanns lateinische Pestordnung (Wien,1510)
Nicht anders war es zu Seuchenzeiten längst vergangener Zeiten, etwa vor fünf Jahrhunderten in Hermannstadt. Die Stadt am Zibin, eine florierende siebenbürgisch-sächsische Handwerks- und Handelsstadt im Südosten des Königreichs Ungarn, war in der besonders glücklichen Ausnahmesituation, 1510 eine „böse Pestilenz“ ohne Verluste überstanden zu haben. Dieser außerordentliche Sieg über die verheerende Seuche geht auf den weisen und fürsorglichen Stadtrat zurück, der rechtzeitig einen Medicus, den gelehrten und überaus fähigen Arzt Johannes Salzmann, als „geschworenen“ Stadtphysikus angestellt hatte. Auch wenn solche Epidemien, wie der Schwarze Tod, wie die Pest oft bezeichnet wurde, meist als Prüfung oder gar Strafe Gottes angesehen wurden, nicht ursächlich bekämpft werden konnten, wehrte sich die Bevölkerung durch ausgeklügelte Vorbeugungsmaßnahmen, ähnlich wie heute. Dazu zählten Abschottung der befestigten Städte, streng kontrollierte Ausgangs- und Kontaktsperren, Aufhebung des Handels und des Schulbetriebes, viel Beten, Räuchern und große öffentliche Feuer zur Bekämpfung von Miasmen, den vermuteten Ursachen des Übels. Salzmanns Verdienste für die Bewohner von Hermannstadt und des Umlandes bleiben bis heute unvergessen, denn er hat ja nicht weniger bewirkt, als seine Stadt vor der grausam wütenden Pestilenz bewahrt zu haben, wie er selbst berichtet: „Im jar 1510 gelebet nach solchem meynem rad dye vermertest Stat in Sybenbürgen genant die Hermanstat ward ganz behuet, dass khain mensch in diesem lauff siech ward. So doch all ander umbliegend Stett und Märkt, die solcher Ordnung nit pflegten, mit der pestilentz grausamblich beschwaert worden.“

Am 31. Juli 1510 widmete der aus dem oberösterreichischen Steyr stammende Doktor Johannes Salzmann (auch Salius genannt), Stadtarzt von Hermannstadt, sein Pestbüchlein „De praeservatione a pestilentia et ipsius cura opusculum non minus utile quam necessarium utilitatem accuratissime elucubratum“ als Zeichen seiner Verbundenheit und Hilfsbereitschaft der Stadtobrigkeit, dem Hermannstädter Königsrichter und Kammergraf Johannes Lulay (gest. 1521) sowie den Senatoren der Stadt und den Vertretern der Sieben Stühle. Der Titel des Büchleins lautet auf Deutsch: „Kleines Werk über die Vorbeugung und Behandlung der Pestilenz, nicht minder nützlich als notwendig und akkurat dargelegt für den Gebrauch durch den gemeinen Menschen“. Der Autor hielt es – im Vorwort – für außerordentlich wichtig, dass Siebenbürgen von der Pest verschont bleibe, weil diese Provinz ein unverzichtbares Schutzschild Europas gegen die Türken, Tataren, Skythen und Sonstige sei. Er lobt das standhafte Hermannstadt, das von den Türken, zu Ehren des ganzen Christentums, uneinnehmbar blieb.

Die Pestinstruktion des gelehrten Medicus war ein praktischer, in elf Kapiteln gegliederter, übersichtlicher Ratgeber und beinhaltete nicht nur Verhaltensregeln und Anweisungen zur Vermeidung der Pest, sondern auch zahllose Verbote. Er stellt seine eigenen Erfahrungen in der Bekämpfung der Seuche dar, insbesondere die beharrliche, strenge und – deshalb erfolgreiche – Anwendung von Isolationsregeln (Schule, Kirche), Verzicht auf Zusammenkünfte (Feste, Märkte, Baden), Enthaltsamkeit, aber auch die ganze Palette der damaligen, meist nur wenig wirksamen Maßnahmen, dar: Öffentliche Feuer, Räucherung, esoterische Anwendungen, Theriak (Mischung aus Opiaten und Schlangengiften, getrocknetem Krötenpulver und vielem anderen) sowie das Aufschneiden bzw. Kauterisieren von Pestbeulen und natürlich die Aderlässe. Der Autor fordert – wie es der deutschsprachigen Auflage seines Büchleins (1521) zu entnehmen ist – konsequente Anwendung von Hygienemaßnahmen, die teils heute noch Gültigkeit haben: „Soll ein fuersichtige weyse öbrikaidt ordnen und verschaffen, das man all gassen, heyser unnd kämer vor aller unraynikait, gestanck unlust und faulikait, auff das reynigest halt und aussauber, den myst und kath aussuer, die sumpfen, pfitzen, steund wasser und stinckend lackhen auslass oder zweschütt mit kalch, sannd oder guettem erdrich. (…) Auch soll mann ordnung machen das sich nit vill leut zwenander versammeln, als geschieht in den jarmärckten, auf den hochzeyten, in den bädern, in engen kirchen, in den schuelen der knaben; wann, wo will leut versamlet seindt und in sonderhaidt in engen stetten und beschlossenen lufft, do ertzun sich gar die liederlich dise suecht, und beschedigt vill menschen. (…) Auch die inboner die auff die Märckt oder in das sterblich Land zyechen, oder mit den aus gifftigem lufft gemaynschafft haben, sollen nicht wider eingelassen werden, doch ein zeyt lang, wan sy bringen ynselbst und den andern offt pöse ware heym. Auch soll man mit vleyss scheuchen klayder, petgewant, speiss und alles, das aus gifftigem luff khümbt.“

Johannes Salzmann: Ein nutzliche Ordnung … (Wien, ...
Johannes Salzmann: Ein nutzliche Ordnung … (Wien, 1521)
Dank seiner rigorosen Isolierungsmaßnahmen blieb die Bevölkerung von Hermannstadt während der schweren Epidemie von 1510 von der Pest verschont, während außerhalb der befestigten Stadt am Zibin die Seuche ungehindert wütete und zahlreiche Opfer forderte. Der Autor verrät leider nicht mehr über die näheren Umstände, die Dauer der Pestilenz, die Zahl der Todesopfer oder die unmittelbaren Folgen der Seuche in den Ortschaften außerhalb des ungeschoren davongekommenen Hermannstadts, zum Beispiel im Burzenland. Im Salzmanns Pestschrift vermischen sich die beiden dominierenden Theorien zur Entstehung von Pestepidemien: Die sogenannte Miasmen- mit der Kontagiositätslehre, nicht zuletzt, weil die Krankheitserreger sich der Wahrnehmung entzogen.

Die verbesserten Hygienevorgaben und die strengen Isolationsmaßnahmen, ebenso wie jene Vorschriften, die in den von der Pest stark gebeuteten italienischen Städten Venedig, Florenz, Pisa (z. B. Ordinamenta Sanitatis in Pistoia) Anwendung fanden, haben sich auch in Hermannstadt als wirksam und erfolgreich erwiesen. Daher bot es sich dringend an, seine bewährte Methode mithilfe des Buchdrucks schnell bekannt zu machen und zu verbreiten. Obwohl es 1510 in Europa bereits mehr als 250 Druckorte gab, lag keiner davon in Siebenbürgen. Daher ließ Salzmann sein Büchlein in Wien drucken. Bedingt durch die große Nachfrage nach solchen medizinisch-regulatorischen Schriften sowohl in gelehrten Kreisen, Stadträten als auch bei nichtärztlichen Heilkundigen und Bürgern, wurde seine Pestordnung auf Aufforderung des Erzherzogs Ferdinand II. auch in deutscher Sprache mit dem Titel: „Ein nutzliche ordnung und regiment wider die Pestilentz (…)“ 1521 in Wien veröffentlicht.

Vom Autor Johannes Salzmann ist überliefert, dass er 1497 seine Studien in Wien begann, 1504 dort Medizin studierte und in Ferrara zum Doktor der Medizin promovierte. 1506-1507 hielt er sich in Böhmen und Mähren auf, wo er als junger Arzt mit der Pestilenz in Berührung kam. Im Jahr 1507 widmete er ein Gedicht über Annaberg Kaiser Maximilian I., der ihm die Dichterkrone (Poeta laureatus) verlieh. Die genaue Dauer seines Aufenthaltes in Siebenbürgen ist unklar. Er selbst berichtete, dass er 1510 in Hermannstadt als Stadtphysikus wirkte. Fakt ist, dass er 1513 bereits Mitglied der Medizinischen Fakultät zu Wien war und 1522 sogar zum Rektor der Universität gewählt wurde. Ein Jahr früher war Johannes Salzmann – dank seines hervorragenden Rufes – zum Leibarzt des Erzherzogs Ferdinand II. berufen und wirkte als solcher bis zu seinem Tode 1530.

Salzmanns praxisbewährte Pestschrift gilt als erste gedruckte Pestordnung im habsburgischen Herrschaftsgebiet, die auch in Ungarn und Siebenbürgen Geltung erlangte. Dieser Pestschrift von 1510 folgten bald weitere Auflagen und Werke anderer Autoren, z. B. 1530 die deutschsprachige Pestordnung des Hermannstädter Stadtarztes Sebastian Pauschner. Sogenannte „Büchlein der Ordnung wider die Pestilenz“ sind bereits im letzten Quartal des 15. Jahrhunderts im Druck erschienen (Gentile da Foligno, Giovanni Dondi, Marsilio Ficino, Heinrich Steinhöwel). Die Erstellung sogenannter „nützlicher Ordnungen und Regimenten wider die Pestilentz“ dienten dazu, verheerende Seuchen einzugrenzen und zu bekämpfen, allen voran den Schwarzen Tod, wie die Pest später bezeichnet wurde, aber auch die französische Krankheit (Syphilis), die Cholera und anderer Epidemien.

Obwohl die Pest bereits in der Antike und im Frühmittelalter (Justinianische Pest im 6. Jh.) bekannt war, überrollte sie von 1347 bis 1352, von der Krim-Stadt Kaffa (Feodossija) ausgehend, fast ganz Europa. Sie traf die Bevölkerung unvermittelt in einer Krisenzeit der Feudalgesellschaft (Kälte, Hungersnöte, Kriege) als göttliche Strafe im Gewand einer „neuen“ Krankheit und grassierte auf eine – auch heute noch – unvorstellbar heftige Art und Weise. Diese Epidemie gilt als größte Katastrophe im zweiten Jahrtausend n. Chr. Schätzungen zufolge forderte das „Große Sterben“ durchschnittlich 30 Prozent der europäischen Bevölkerung, also etwa 18 Millionen Menschenleben von den damals insgesamt nur ca. 60 Millionen Einwohnern des alten Kontinents. Die Bevölkerung Europas schrumpfte infolge weiterer sechs Pestepidemien bis 1400 auf nur noch die Hälfte! Manche Regionen verloren sogar 70 bis 80 Prozent ihrer Einwohner; allein in Florenz starben über 50.000 Menschen.

In seiner bekannten Novellensammlung „Decamerone“ schildert der Florentiner Humanist Giovanni Boccaccio (1313-1375) eindrucksvoll das bislang beispiellose Massensterben, dessen sozial-ökonomische und moralisch-kulturelle Folgen das mittelalterliche Europa zutiefst erschüt-terten. Vertrauensverlust an christlichen Grundwerten, Sektenbildung, Geißlerzüge, Fanatismus und Fremdenhass, Judenpogrome und nachhaltige soziale Umschichtungen zählten zu den Folgen der Seuche: „Die fürchterliche Heimsuchung hatte eine solche Verwirrung in den Herzen der Männer und Frauen gestiftet, dass ein Bruder den anderen, der Onkel den Neffen, die Schwester den Bruder und oft die Frau den Ehemann verließ; ja, was noch merkwürdiger und schier unglaublich scheint: Vater und Mutter scheuten sich, nach ihren Kindern zu sehen und sie zu pflegen – als ob sie nicht die ihren wären. (…) Aber wegen des Fehlens an ordentlicher, für den Kranken nötiger Pflege und wegen der Macht der Pest war die Zahl derer, die Tag und Nacht starben, so groß, dass es Schaudern erregte, davon zu hören, geschweige denn es mitzuerleben. (…) Das ehrwürdige Ansehen der göttlichen und menschlichen Gesetze war fast ganz gesunken und zerstört.“

„Medizinalinstruktionen“, wie die von Salzmann, und die darauffolgende „Policeyordnung“ (Politia sanitaria) Ferdinands II. von 1552, galten als obrigkeitliche Fürsorgevorschriften über die Vorbeugung und Eindämmung der Ausbreitung der Pest sowie die zweckmäßige Behandlung von Kranken als sehr wichtige Neuerungen im mitteleuropäischen Raum. Sie zählen zu den Anfängen eines staatlich reglementierten öffentlichen Gesundheitswesens. Das Büchlein war also nicht nur ein „nützliches“, sondern äußerst notwendiges Regelwerk in einer den Seuchen gegenüber zum Teil machtlosen und von Todesangst, Trauer und oft von Elend geprägten Welt am Ende des Mittelalters. Dieses Büchlein kann als ein früher Vertreter frühneuzeitlicher Pestordnungen in Mitteleuropa und späterer Gesundheitsreglementierungen (Generale Normativum in Re Sanitatis, Wien 1770), letztlich sogar als Keimzelle von Gesetzen, Direktiven, Richt- und Leitlinien, Standards und Normen in der Medizin und Pharmazie unserer Ära betrachtet werden.

Die große Angst vor Seuchen (Epidemien und Pandemien) ist völlig nachvollziehbar, denn bis 1890, als Alexandre Yersin die Pestbakterien (Yersinia Pestis) entdeckte und die Übertragung der Krankheit von Ratten über Flöhe auf den Menschen geklärt wurde, herrschte die Annahme, dass die Ursache der „sterbenden Leuffen“ – außer in Gottes Zorn und ungünstigen Gestirnkonstellationen – in der Luft bzw. in den faul riechenden Winden und üblen Dämpfen (sog. Miasmen) liege. Verständlich also, dass die Bezeichnung „verpestete Luft“ für Gestank selbst Ende des 20. Jahrhunderts im siebenbürgisch-sächsischen Sprachgebrauch noch nicht ganz verschwunden war. In Siebenbürgen sind aus dem 16. sieben, aus dem 17. zehn und aus dem 18. Jahrhundert sechs Pestilenzen bekannt, die unzählige Opfer forderten. Somit ist die damals landläufige (aus der arabischen Medizin stammende) Meinung: „Diese drei Worte vertreiben die mörderische Pest: Entweiche sofort, gehe weit, kehre spät zurück“ absolut nachvollziehbar. Nicht nur Kriege, Feuerbrünste, Erdbeben, Dürren, kleine Eiszeiten, Hungersnöte, Heuschreckenplagen und sonstige Naturkatastrophen, sondern die Infektionskrankheiten beeinträchtigten den Lauf der Geschichte erheblich, so auch in Siebenbürgen, und führten zu dramatischen regionalen Bevölkerungsverlusten, gefolgt von Aus- und Zuwanderungen (oft aus Ländern südlich der Karpaten), gesellschaftlichen Umschichtungen, die nicht nur herbe Verluste, sondern auch neue sozio-ökonomische Chancen für das Land darstellten. Die Welt war nach großen Seuchen stets anders als vorher, erfahrener und teils sorgfältiger als davor. Diese Hoffnung ist heute, mitten in der weltweiten Corona-Krise (SARS-CoV-2-Pandemie), aktueller denn je.

Priv.-Doz. Dr. Robert Offner

Schlagwörter: Corona, Pandemie, Pest, Hermannstadt, Arzt

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