10. Juni 2022

Natalie Pawlik: "Die Siebenbürger Sachsen sind wahre Europäer"

Es sei ein Markenzeichen der Siebenbürger Sachsen, wahre Europäer zu sein, betonte Natalie Pawlik, MdB, Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, bei der Eröffnung des Heimattages der Siebenbürger Sachsen am 4. Juni in Dinkelsbühl. In ihrer Festansprache zeigte sich die 29-jährige SPD-Politikerin beeindruckt von dem kulturellen und gesellschaftlichen Einsatz der Siebenbürger Sachsen. Sie würdigte ihre Rolle als europäische Brückenbauer und bedankte sich für ihre offene, solidarische Haltung gegenüber Flüchtlingen. Die neue Bundesbeauftragte kündigte an, sich für Anliegen der Aussiedler in der Politik und Öffentlichkeit persönlich stark zu engagieren. Die Ansprache wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Natalie Pawlik, MdB, Beauftragte der ...
Natalie Pawlik, MdB, Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, sprache bei der Eröffnung des Heimattages der Siebenbürger Sachsen am 4. Juni in der Schranne in Dinkelsbühl. Foto: Siegbert Bruss
Sehr geehrter Herr Landsmannschaftsvorsitzender Lehni,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Hammer,
sehr geehrter Herr Beauftragter Hendriks,
sehr geehrter Herr Konnerth!

Es freut mich sehr, Sie heute alle persönlich hier sehen zu dürfen. Es ist schön, dass wir alle wieder zusammenkommen dürfen und miteinander ins Gespräch kommen. Ich muss sagen, Herr Oberbürgermeister Hammer, wir haben unheimlich viele Gemeinsamkeiten. Ich bin in der Kommunalpolitik groß geworden in meiner Heimatstadt Bad Nauheim, mit 18 Jahren ins Stadtparlament gewählt worden und brenne für diese Heimat genauso wie Sie für die Stadt Dinkelsbühl brennen. Ich finde Dinkelsbühl sehr schön, ich denke aber, ich werde zurückkehren in meine Heimatstadt, lade Sie aber herzlich ein, wenn Sie mal Erholung von Dinkelsbühl brauchen: Besuchen Sie mich doch in Bad Nauheim.

Ich freue mich sehr, heute vor Ihnen erstmals sprechen zu dürfen. Ich danke Ihnen herzlich für die Einladung. Zuallererst möchte ich die herzlichen Grüße und guten Wünsche seitens der Bundesregierung, insbesondere von unserem Bundeskanzler Olaf Scholz, sowie von der für die Vertriebenen- und Aussiedlerpolitik zuständige Bundesinnenministerin des Innern und für Heimat Frau Nancy Faeser überbringen.

Der Heimattag ist für mich die erste Gelegenheit, Sie zu begrüßen und mich auch kurz vorzustellen. Ich wurde Mitte April zur Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ernannt. Ich hoffe auf viele weitere Gelegenheiten, um mit Ihnen ins Gespräch zu kommen.

Es ist schön, dass Sie die Tradition Ihres Heimattages nach der coronabedingten Zwangspause wieder am gewohnten Ort in Mittelfranken, im wunderschönen Dinkelsbühl, fortsetzen können. Herzlichen Dank an die Stadt und den Herrn Oberbürgermeister für die langjährige Partnerschaft, die Sie hier pflegen – das ist bis ins Bundesministerium bekannt.

„Wurzeln suchen – Wege finden“ – unter diesem Motto haben zahlreiche engagierte Hauptamtliche und vor allem auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer den diesjährigen Heimattag mit großem Einsatz organisiert und inhaltlich gestaltet. Ihnen allen möchte ich meinen Dank und meinen Respekt für dieses Engagement aussprechen. Das ist nicht selbstverständlich!

Von digitalen Formaten zum persönlichen Miteinander

Besonders hervorheben möchte ich das Engagement der Regionalgruppe Hermannstadt-Harbachtal des Verbandes der Heimatortsgemeinschaften in ihrer Rolle als Mitausrichter. Große Wertschätzung verdienen aber auch diejenigen von Ihnen, die im letzten Jahr dafür gesorgt haben, dass die Arbeit nicht brachliegt, sondern digitale Wege und Räume gesucht haben, um zum Miteinander zu kommen und den persönlichen Kontakt trotz aller Widrigkeiten zu suchen. Ich habe auch im Bundesministerium gehört, dass die digitalen Veranstaltungen Ihrerseits ebenfalls ein großer Erfolg waren. Vielen Dank dafür!

Es ist natürlich auch schön, dass wir wieder vom digitalen Weg ins Persönliche zurückgehen können. Wenn ich mir das Programm der Heimattage zu Pfingsten anschaue, verspricht es Großes, es sind reichhaltige, unterschiedliche, interessante Veranstaltungen und besonders ansprechende Formate mit kulturellen Angeboten. Das ist ein Stück gelebter Heimat, das ist ein Fest, das für viele Menschen fest in die Jahresplanung gehört und für Sie ebenfalls einen wichtigen Raum für die Auseinandersetzung und das Zusammenkommen darstellt.

Bekenntnis zu den siebenbürgischen Wurzeln und zur einzigartigen Identität

„Wurzeln suchen – Wege finden“ beschreibt sehr treffend ein wichtiges Anliegen der Siebenbürger Sachsen und ein zentrales Merkmal Ihres Verbandes. Die starke Verbindung zum ursprünglichen Siedlungsgebiet – meistens über die Heimatortsgemeinschaften, und das nicht nachlassende Interesse an den eigenen Wurzeln, prägen die siebenbürgische Gemeinschaft nachhaltig. Sie suchen nach den eigenen Wurzeln, stiften eine gemeinsame Identität, fördern das Zusammengehörigkeitsgefühl. Das heutige Pfingsttreffen ist ein deutliches Bekenntnis zur eigenen Geschichte, zur Tradition und eben zu dieser einzigartigen Identität.

Was macht diese siebenbürgische Identität aus? Wo liegen ihre Wurzeln? Das ist die gemeinsame, fast 900 Jahre alte Vergangenheit, es sind die Kirchenburgen, die im frühen Mittelalter gebaut wurden, und die bis heute einzigartig in der Welt sind. Es ist die eigene Sprache und ihr charakteristischer Dialekt, auch wenn sich die Mundarten von Ort zu Ort unterscheiden, es sind Ihre Sitten und Bräuche, die Sie über die Jahrhunderte bewahrt und an die Nachfolgegeneration weitergegeben haben.

Die Pflege dieses Erbes ist nicht nur Ihnen wichtig, sondern auch für die gesamte Gesellschaft wichtig.

Ich bin deshalb so überzeugt von dem Leitwort Ihres Heimattages, weil es mich auch persönlich betrifft. In Sibirien geboren, als Urenkelin von Wolgadeutschen, die deportiert und zwangsumgesiedelt wurden, kam ich mit sechs Jahren gemeinsam mit meinen Eltern als Spätaussiedlerin nach Deutschland. Ich weiß, wie Sie auch, was es heißt, neue Wege zu gehen und dabei stets die eigenen Wurzeln zu suchen, zu finden und mit dem Bewusstsein der eigenen Wurzeln auf neue Wege zu machen.

Das kulturelle Erbe der Aussiedler als Aufgabe der Politik

Die Pflege von Traditionen und die Sorge dafür zu tragen, dass die eigene Geschichte und die meiner Vorfahren nicht verloren geht, ist mir stets eine Aufgabe. Ich sehe es als Aufgabe von Politik an und ganz besonders auch als meine Aufgabe als Beauftragte, dafür zu sorgen, dass das Erbe der Aussiedler- und Spätaussiedlergenerationen nicht verloren geht. Dieses klare Bekenntnis ist mir als Beauftragte der Bundesregierung, die für die Vertriebenenpolitik zuständig ist, ein wichtiges persönliches Anliegen.

Ich freue mich, lieber Herr Lehni, dass wir vor wenigen Tagen im Bundesinnenministerium die Gelegenheit hatten, uns kennen zu lernen. Vielen Dank für Ihren Besuch und den Besuch von Frau Hutter in Berlin, der wertvolle Austausch hat mir sehr gut gefallen und ist auch sehr wichtig für meine persönliche Arbeit gewesen.

30 Jahre deutsch-rumänischer Freundschaftsvertrag

Ich habe in den letzten beiden Tagen die deutsch-rumänische Regierungskommission für Angelegenheiten der deutschen Minderheit in Rumänien, gemeinsam mit meiner Ko-Vorsitzenden Frau Staatssekretärin Gîtman, die ich an dieser Stelle nochmals begrüßen darf, in Berlin geleitet. Es freut mich, so viele Gesichter, die viel für die Fortschritte der deutschen Minderheit in Rumänien gemacht haben, heute auch hier zu begrüßen. Im Rahmen der Regierungskommission konnten wir einen runden Geburtstag feiern: 30 Jahre Deutsch-Rumänische Freundschaft! Das ist ein Grund zur Freude und zeigt, wie eng die beiden Länder miteinander verbunden sind. Aber es ist auch ein gemeinsamer Auftrag. Die deutsche Bundesregierung unterstützt die Angehörigen der deutschen Minderheit in vielen kulturellen und sozialen Projekten. Besonders beeindruckend sind für mich die Altenpflegeeinrichtungen, um den Angehörigen der deutschen Minderheit einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen. Diese wichtigen Projekte und die gemeinsame Arbeit fortzusetzen, liegt mir persönlich sehr am Herzen.

Gleichzeitig haben wir uns als neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag klar zu den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern sowie den Angehörigen der nationalen Minderheiten bekannt: „Die nationalen Minderheiten […] sind selbstverständlicher Teil unserer vielfältigen Gesellschaft. Das gleiche gilt für das kulturelle Erbe der Vertriebenen, Aussiedlerinnen und Aussiedler sowie den Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler.“ Ich sehe es als meine Aufgabe, dieses Bekenntnis mit Leben zu füllen und dieses Versprechung und Ihre Anliegen in die Politik zu tragen und Ihnen dabei zur Seite zu stehen, dass Ihre Arbeit auch in Zukunft wichtig bleibt und auch in Zukunft an die Geschichte und an Identität erinnert. „Wurzeln suchen – Wege finden“ wird eben auch bei meiner Arbeit ein Motto bleiben.

Jugendarbeit als wichtige Aufgabe

Auch zu Herrn Lehni habe ich eine besondere Verbindung, muss ich feststellen. Sie haben nämlich, bevor Sie den Verbandsvorsitz übernommen haben, ganz lange Jahre Jugendarbeit für diesen Verband geleistet. Sie haben die Jugendarbeit beherzt vorangetrieben.

Auch ich komme aus der Jugendarbeit. Dank meiner Erfahrung, die ich zum Beispiel innerhalb der politischen Bildungsarbeit für die Deutsche Jugend aus Russland in Hessen geleistet habe, ist es mir eine wichtige Aufgabe, die Jugendarbeit weiter voranzubringen, die Jugend zu stärken und dafür zu sorgen, dass die Anliegen, die wir alle haben, als Betroffene, als Nachfolgegeneration, dass diese Geschichte auch in Zukunft bewahrt bleibt. Und dafür ist die Jugend unheimlich wichtig, um die Teilhabe, die Partizipation der jungen Menschen zu stärken – das will ich gerne auch als Aufgabe weitertun.

Der Zusammenhalt, den wir, meine Damen und Herren, auch heute hier spüren, und all unsere Werte werden derzeit mit einer Wucht und Aggressivität durch einen Krieg herausgefordert. Seit mehr als hundert Tagen tobt Krieg auf europäischem Boden. Das Leid der Menschen und die Kriegsverbrechen machen uns alle fassungslos. Sie, Herr Bundesvorsitzender Lehni, haben eine sehr deutliche, sehr früh verfasste Stellung zu diesem Krieg bezogen, sich sehr klar gegen diesen Krieg geäußert und damit ein wichtiges Zeichen der Solidarität für all die Menschen gegeben. Dafür danke ich Ihnen sehr.

„Nothilfe für Deutsche aus der Ukraine“

Aber es ist nicht nur bei Worten geblieben. Sie haben sich auch als Verband tatkräftig dafür engagiert, dass Hilfsgüter in die Ukraine transportiert wurden. Ihre aktive Beteiligung an der Aktion „Nothilfe für Deutsche aus der Ukraine“, die der Bund der Vertriebenen initiiert hat, hat mehr als einen Symbolcharakter. Sie war relevant für die Menschen vor Ort, vielen Dank dafür! Solidarität mit den Menschen, die mit Gewalt gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen, spürt man in Ihrem Verband sehr deutlich.

Die Ukraine, heute Kriegsgebiet, ist nicht nur ein unmittelbarer Nachbar Rumäniens, also des ursprünglichen Siedlungsgebiets der Siebenbürger Sachsen, sondern auch ein Erinnerungsort für viele Siebenbürger, deren Eltern und Großeltern durch die Sowjetunion deportiert wurden und gerade in der Ostukraine, im Donbas, Zwangsarbeit leisten mussten.

Gerade in diesen Zeiten kann die wahre Tragweite der dringenden Notwendigkeit von Aussöhnung und Völkerverständigung nicht hoch genug geschätzt werden. Die Brückenbaufunktion zu Südosteuropa und vor allem zu Rumänien als dem Land Ihrer Wurzeln ist heute wieder wichtiger denn je.

Aus diesem Grund ist es ein sehr starkes Zeichen, dass der ehemalige Bürgermeister von Hermannstadt und heutige Staatspräsident Rumäniens Klaus Johannis nicht nur den Internationalen Karlspreis zu Aachen erhalten hat. Er wird heute in Hof, auf dem Sudetendeutschen Tag, auch mit dem Europäischen Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft geehrt.

Markenzeichen der Siebenbürger Sachsen: wahre Europäer zu sein

Die Verleihung des Preises ist ein eindeutiges Zeichen: Sie bauen Brücken, Sie schaffen und verstetigen Verbindungen und Beziehungen. Das ist ein Markenzeichen der Siebenbürger Sachsen, die immer – auch bereits im Aussiedlungsgebiet – wahre Europäer waren und auch heute noch sind. Die verständigungspolitischen Maßnahmen der Heimatvertriebenen und ihrer Partner werden von den Siebenbürger Sachsen intensiv mitgestaltet. Vielen Dank dafür!

Gut, dass diese Anstrengungen auch schon seit über 25 Jahren durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat gefördert werden. Ich hoffe auf weiterhin gute Zusammenarbeit!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, „Wurzeln suchen – Wege finden“ – das ist in erster Linie auch ein Auftrag und gleichzeitig ein Anspruch an uns selbst, Vertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler. Lassen Sie uns alles tun, um dem gerecht zu werden, das Erbe zu bewahren, zu erinnern und in einer friedlichen Zukunft gemeinsam zu leben. Ich wünsche Ihnen schöne Pfingsttage. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Schlagwörter: Heimattag 2022, Aussiedlerbeauftragte, Pawlik

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