21. März 2000

Eine Harmonie, parallel zur Natur

Der heute in Essen ansässige siebenbürgisch-deutsche Maler Helmut Arz von Straußenburg erfüllte am 12. April 2000 sein 70. Lebensjahr. Arz hat sich bereits in Rumänien und seit 1965 auch in Deutschland vor allem als Grafiker und Illustrator einen Namen gemacht. Dabei macht er nicht so sehr die Physiognomie oder den persönlichen Charakter der von ihm dargestellten literarischen Helden deutlich, sondern eher „die Bewegung, die Geste, das Verhalten, die handelnde Komponente“.
Helmut Arz von Straußenburg wurde am 12. April 1930 in Hermannstadt geboren. Dort besuchte er das Brukenthal-Gymnasium und erhielt ersten Malunterricht bei Hans Hermann. Nach dem Abitur 1949 studierte er am Institut für Bildende Kunst in Klausenburg. In den Jahren bis zu seiner Ausreise in die Bundesrepublik (1965) verdiente er seinen Unterhalt als Lehrer an der Hermannstädter Volkshochschule und als freier Künstler, dazu als begehrter Illustrator bei verschiedenen Verlagen und Zeitschriften. In Deutschland war er zunächst an einem Gymnasium, dann an der Pädagogischen Hochschule und schließlich an der Gesamthochschule Essen tätig, wo er zuletzt dem Fachbereich Kunst als Dekan vorstand. Helmut Arz von Straußenburg lebt heute als Rentner in Essen.

Wer zu guter Stunde die Essener Vorwahl und dazu die entsprechende Nummer wählt, dem stehen zwei Möglichkeiten offen: Entweder es meldet sich eine freundliche Frauenstimme mit einem leicht fragenden, einsilbigen „Arz“ oder, ebenfalls freundlich, aber jetzt dreisilbig, eine Männerstimme mit „Helmut Arz“. Der Anrufer ist also entweder mit der Ärztin Dr. Traaute Arz von Straußenburg oder mit dem Maler, Graphiker und Dozenten Hemut Arz von Straußenburg verbunden.
Es war in Siebenbürgen kein Geheimnis, dass der Name, der hier so knapp ein Telefongespräch eröffnet, in seiner vollständige Form mehr Silben beansprucht als das knappe „Arz“. Man wusste, dass es sie gab, die Arz von Straußenburg, die Pilder von Steinburg, die Tschech von Sternheim, die Bömches von Bohr, Schuller von Rosenthal und Sachs von Harteneck, um nur einige zu nennen. Ihren Adel österreichischer Herkunft aber nahm man unter Siebenbürger Sachsen nicht zur Kenntnis, und die Träger solcher Namen bestanden auch nicht auf deren voller Nennung. Die sächsische Gesellschaft Siebenbürgens war zwar de facto ständisch gegliedert, gerade deswegen aber hielt sie, de jure, umso mehr auf demokratische Gleichheit. Hochnotpeinliche Verfahren, wie sie ein Sachs von Harteneck oder Schuller von Rosenthal über sich ergehen lassen mussten, waren unter den Siebenbürger Sachsen unseres „gesitteten“ Jahrhunderts zwar nicht mehr zu befürchten, aber eine Gesellschaftsschicht, die durch Geburt, Namen und längst verblasste kaiserliche Gnade (man übersah geflissentlich, dass dem österreichischen Amtsadel ja auch Verdienste zu Grunde lagen) eine Sonderstellung beanspruchte, war ungern gesehen. Bestanden ihre Träger auf ihre Hervorgehobenheit, gerieten sie besonders vor 1918 unweigerlich in den Verdacht der Liebedienerei dem Kaiserhaus gegenüber, was weniger schlimm war, denn die Sachsen waren erstaunlicher Weise auch nach Joseph II. gut kaiserlich, oder sie kamen in den Ruch versteckter Sympathie zur Katholischen Kirche, was im stockevangelischen Siebenbürgen, so weit es sächsisch war, als Verirrung und Treulosigkeit erster Güte galt. So kam es, dass der österreichische Amtsadel in Siebenbürgen fast ausnahmslos davon absah, auf dem „Von“ im Namen zu bestehen.
Die Arz von Straußenburg etwa waren in Hermannstadt schlicht die Familie Arz. Eine Ausnahme machte nur der Generalfeldmarschall Arz von Straußenburg, der Großonkel von Helmut Arz. Aber auch er, der letzte Generalstabschef der k.u.k. österreichisch-ungarischen Streitkräfte, machte von seinem Adelsprädikat nicht in Siebenbürgen, sondern nur in Österreich und Ungarn Gebrauch, wo er damit keinen Anstoß erregte.
Helmut Arz von Straußenburg also meldet sich am Telefon schlicht und bürgerlich mit „Helmut Arz“. Die Studenten und Kollegen des Fachbereichs Kunst an der Gesamthochschule Essen, den er zuletzt als Dekan geleitet hat, nennen ihn „Herr von Arz“. Wie gesagt, in Siebenbürgen konnte man mit einem „Von“ vor dem Namen in allerlei Verdacht geraten. Im linken Essen jedoch und an der dortigen Gesamthochschule im Besonderen wäre der Verdacht auf Liebedienerei begründet gewesen, wenn Arz das „Von“ ostentativ oder auch nur stillschweigend abgelegt hätte.
Als Künstler, aber auch als Pädagoge und Mensch ist Helmut Arz, so wollen wir ihn auf gut siebenbürgische Art weiter nennen, immer nur seiner eigenen Berufung und seinem Gewissen gefolgt. Nie hat er um eines Vorteils willen Zugeständnisse, welchen Machthabern gegenüber auch immer, gemacht und damit auf mancherlei verzichtet, was ihm aufgrund seiner Begabung und Leistung zugestanden hätte.
Bei Gelegenheit einer persönlichen Ausstellung am 25. Juni letzten Jahres in Gundelsheim, schrieb Helmut Arz über seine Vorstellungen und Bestrebungen als Maler: „Auf meinen Bildern sieht man nur Gegenstände der realen Welt, die ich auf besondere Art ernst nehme, was heute nicht ganz der üblichen Kunstpraxix entspricht. Zwei Gruppen meiner Arbeiten lassen sich leicht unterscheiden: solche, auf denen bewegliche Figuren, Tiere und Menschen zu sehen sind, ...und solche, auf denen es still und ruhig zugeht oder auch öde und verlassen aussieht. Letztere sind Sillleben, Landschaften oder auch beides zugleich. Immer ist dabei die Wirkung des Lichtes maßgebend für eine Illusion von Raum, den die Figuren für ihre Bewegung oder die Dinge für ihr Stillsein brauchen. Doch Licht und Beleuchtung sind im Bild nur indirekt zu erreichen, mit Hilfe der Schatten. Daher beschäftigt mich die Frage, ob in den Bildern eine indirekte Aussage möglich ist, ein Umweg also und eine Denk- und Kunstfigur, wie sie die Literatur als Ironie kennt.
Ich zeichne gern nach der Natur, so habe ich sie immer im Blick und im Bild. Ich kenne sie schon lang, doch nur oberflächlich und eigentlich auch nur vom Sehen. Ich sehe sie noch oft, sie hat sich nicht sehr verändert.“
Das Werk von Helmut Arz ist in seiner Quantität beeindruckend, in seinen Inhalten und Ausdrucksformen vielgestaltig und noch längst nicht abgeschlossen, denn Helmut Arz ist mit seinen 70 Jahren quicklebendig und von ungebrochenem Schaffensdrang. Schwerpunktmäßig lassen sich im Werk drei Themenbereiche ausmachen: das Stillleben, die Landschaft und die Illustration.
Die Stillleben scheinen auf den ersten Blick das Übliche zu sein: Blumen in Krügen meist mit volkstümlicher Dekoration, Früchte und Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Symbole der Vergänglichkeit, wie sie beispielsweise in den niederländischen Stillleben üblich waren, etwa ein toter Käfer oder eine tote Maus, Accessoires, die den Ausdruck „nature morte“ rechtfertigen, fehlen. Aber als „einfache Nachahmung der Natur“, die übrigens Goethe als durchaus respektabel bezeichnet, sind diese Stillleben nicht zu sehen. Sie sind überdeutlich in ihrer Plastizität. Licht und Schatten sind überraffiniert verteilt. Sie bilden nicht einfach natürliche Harmonie ab, zumal die Natur im Sinne künstlerischer Schau ohnehin nicht harmonisch ist. Ihre Harmonie ist künstlich, eine Harmonie parallel zur Natur.
Zu seinen Landschaften hat Helmut Arz selber bemerkt, dass es auf ihnen „oft öde und verlassen aussieht“. Arz selbst benutzt für diese Bilder den Ausdruck „Landschaften“. Die gibt es natürlich auch, aber die, von denen hier die Rede ist, könnte man eher Stadtschaften nennen. Ein verlassener Fabrikshof, ein Stauwehr, eine Rampe bei Nacht, aber auch ein klassizistisches Hausportal oder eine Fensternische mit Stuhl und dann Autos, Autos, Autos – „und Menschen gab es keine“. Ein wenig gespenstisch ist das mitunter schon. Nicht wie bei de Chirico, wo es um reine Traumgebilde geht, in der Realität nicht denkbar. Ob den Bildern von Helmut Arz eine Realität entspricht? Es ist denkbar, aber nicht zwingend notwendig. Es gilt für sie, was schon über die Stillleben gesagt wurde: „Es sind Kunstgebilde, geschaffen nicht nach den Gesetzen der Natur, sondern nach den Gesetzen der Kunst.“
Zum Illustrator Helmut Arz lesen wir in einem 1986 unter dem Titel „Les artistes roumain en occident“ in Paris erschienenen Handbuch über die aus Rumänien emigrierten Künstler: „Nicht die Physiognomie oder der persönliche Charakter interessieren ihn, sondern die Bewegung, die Geste, das Verhalten, die handelnde Komponente.“ So sehr der zweite Teil dieser Feststellung zutrifft, so unzutreffend ist der erste. Natürlich interessieren ihn die Physiognomie und der persönliche Charakter, geht es doch um die Geste, das Verhalten, die Bewegung nicht von irgendwem, sondern von ganz bestimmten literarischen Personen. Sie wurden vom jeweiligen Autor, es mag nun Cervantes gewesen sein oder Dumas, Immermann oder Fontane, Joseph Haltrich oder Kleist, genau konturiert und charakterisiert. So hat Helmut Arz seine Illustrationsarbeit häufig damit begonnen, die Hauptpersonen nach den Angaben der Autoren zu porträtieren, nicht nur die menschlichen Romanhelden, sondern auch Wölfe, Füchse und Bären in Haltrichs Tiermärchen und Goethes „Reineke Fuchs“. Und gerade darauf beruht der Zauber Arzischer Illustrationen, dass wir die Helden, die unser Mitgefühl oder gar unsere Liebe geweckt haben, im Bild wieder erkennen, gerade so, „als ob es nur eine Mutter gäbe“. Was dies betrifft steht Helmut Arz in der Tradition großer Illustratoren wie Dore, Dulac, Fronius oder Hegenbarth u.a.
Originelle Lösungen findet er, wo es darum geht, nicht Handlungen oder Personen zu illustrieren, sondern Gedanken, insbesondere ironische Gedankengänge und Aussprüche, wie sie sich beispielsweise in den „Sudelbüchern“ eines seiner Lieblingsautoren, nämlich bei Lichtenberg finden. Seine Methode ist die Methode Eulenspiegels. Arz nimmt die Aussprüche wörtlich und überträgt sie in menschliche Handlungen. Die Typen, die solche Handlungen ausführen, z. B. einen Faustkampf auf dem Rücken eines Pferdes, entsprechen der absurden Handlung. Die Ironie der zeichnerischen Darstellung entspricht der Ironie der literarischen Voralge.
„Meine Skizzen“, notiert Helmut Arz bescheiden, „enthalten nur den Plunder und die Klamotten des Fundus, dazu etwas Beleuchtung und Choreographie, ohne Anspruch auf Regie und Schauspielkunst. Den Konjunktiv kriegen wir später.“

Walter Schuller

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