29. Juni 2002
Siebenbürgische "Wahlprüfsteine": mehr Akzeptanz und Solidarität erforderlich
Angesichts der Bundstagswahl am 22. September 2002 fragen sich die Siebenbürger Sachsen: Wie stehen die politischen Parteien in Deutschland zu ihren berechtigten Anliegen? Erwartungen an die bundesdeutsche Politik hat Volker Dürr, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, beim diesjährigen Heimattag in Dinkelsbühl treffend zur Sprache gebracht. Weitere Ideen ergeben sich aus dem landsmannnschaftlichen Grundsatzpapier, das 1998 von Horst Göbbel, Hannes Schuster u.a. erarbeitet wurde. Die Vorstände der Kreis- und Landesgruppen sowie andere politisch engagierte Mitglieder der Landsmannschaft sind aufgerufen, auf die Bundestagskandidaten und andere Politiker zuzugehen und unsere siebenbürgischen Anliegen bewusst zu machen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist verfassungsmäßig (Artikel 116 des Grundgesetzes) und aufgrund ihrer Schutz- und Obhutspflicht gegenüber den Opfern des von deutschem Boden ausgegangenen Zweiten Weltkrieges zur Aufnahme von aussiedlungswilligen Deutschen weiterhin verpflichtet. Härten wie Familientrennung und Abschiebung müssen dabei vermieden werden. Zudem dürfen keine neuen gesetzlichen Regelungen die Zuwanderung aussiedlungswilliger Deutscher aus Osteuropa und den GUS-Staaten eingrenzen. Bei Zuwanderungsregelungen, etwa dem Zuwanderungsgesetz, das kürzlich von Bundespräsident Johannes Rau gegengezeichnet wurde, wäre es sachlich falsch und rechtlich anfechtbar, deutsche Aussiedler mit anderen Zuwanderungsgruppen zu vermengen oder gar gleichzusetzen.
Von einer auf ein gemeinsames Europa ausgerichteten, zukunftsorientierten Politik erwarten wir vermehrte und vielfältige Integrationsmaßnahmen. Der von den Siebenbürger Sachsen in Deutschland seit fünf Jahrzehnten auch über die Grenzen Europa hinaus geleistete Brückenschlag könne nur dann erfolgreich sein, „wenn unsere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Eingliederung und Verankerung in Deutschland – insbesondere für unsere Jugendlichen – weiter ausgebaut und langfristig gesichert wird“, betonte Dürr in seiner Festrede in Dinkelsbühl (siehe Siebenbürgische Zeitung-Online vom 21. Mai 2002).
Aussiedler waren, sind und bleiben für die Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich, politisch und kulturell ein großer Gewinn, für ein geeintes Europa ein Integrationsfaktor ersten Ranges. Dank ihrer günstigen Altersstruktur, ihres Arbeitswillens, ihrer Einsatzbereitschaft, ihres großen materiellen Nachholbedarfs sowie ihrer natürlichen inneren Bindung an Deutschland und das deutsche Volk bereichern sie unser Land in besonderem Maße. Vor allem im Bereich der jungen Generation stellen sie ein gewichtiges zukunftsträchtiges Potenzial dar, das nur durch besondere Integrationsanstrengungen in der Anfangsphase gesichert werden kann.
Die 40-prozentige Kürzung der Fremdrentenansprüche für alle ins Rentenalter nach dem 1. Oktober 1996 eintretenden Aussiedler aus Rumänien und den Staaten der früheren UdSSR missachtet den Gleichheitsgrundsatz und den Vertrauensschutz für rentennahe Jahrgänge. Zahlreiche juristische Argumente sprechen gegen diese Kürzungen; das Bundessozialgericht in Kassel hat den von den Siebenbürger Sachsen gewählten Rechtsweg bekräftigt. Daher forderte Dürr kürzlich die Rücknahme der Kürzungen noch vor „der zu erwartenden, hoffentlich für uns positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes“.
Die Förderung der siebenbürgisch-sächsischen Kulturarbeit ist gesetzlich verankert: Bund und Länder sind gemäß Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) verpflichtet, „das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge und des gesamten deutschen Volkes zu erhalten“. Durch Kürzungen im Bereich der Vertriebenen- und Aussiedlerkulturarbeit hat die rot-grüne Bundesregierung allerdings die kulturelle Breitenarbeit sowie die verständigungspolitische Arbeit, die Brücken- und Vermittlerfunktion der Landsmannschaften in den letzten Jahren erheblich geschwächt. So wurde die Stelle eines bei der siebenbürgischen Landsmannschaft angesiedelten Kulturreferenten zum 30. Juni 2001 ganz gestrichen. Von der Politik erwarten die Siebenbürger Sachsen zudem Verständnis und Unterstützung beim Erhalt des historisch gewachsenen Kulturzentrums in Gundelsheim am Neckar. Bundesvorsitzender Dürr erklärte kürzlich in Dinkelsbühl, dass alle im Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat zusammengeschlossenen Vereine und Institutionen bereit seien, mit unserem als Brückenkopf nach Osteuropa wirkenden siebenbürgischen Kulturzentrum in Gundelsheim und dem Kulturbeauftragten der Bundesregierung ein gemeinsames Umsetzungskonzept zur Kulturförderung gemäß § 96 BVFG zu entwickeln.
Ferner erhoffen sich die Siebenbürger weiterhin Unterstützung bei der Stabilisierung der deutschen Minderheit in Rumänien, deren Überleben nur durch einen gesicherten Minderheitenschutz und die Wiederherstellung ihrer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen möglich sein dürfte.
Summa summarum erwarten die Landsmannschaft und ihre Mitglieder von der bundesdeutschen Politik ein Klima der Akzeptanz und der Solidarität gegenüber den Aussiedlern zu fördern. Politiker müssten eine differenzierte Betrachtungsweise in der Öffentlichkeit durchsetzen und jene „Stammtischkultur“ ablehnen, die Aussiedler pauschalierend als „Verbrecher“ oder „Mafiosi“ abgestempelt oder Vorurteile gegen sie schürt.
Schließlich sei auf die vom Bund der Vertriebenen (BdV) erarbeiteten "Wahlprüfsteine" verwiesen, der allen im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien zugesandt wurden. Wie in der Siebenbürgischen Zeitung-Online vom 21. Februar 2002 berichtet, enthält der Katalog Fragen zu den Themenkomplexen: Zentrum gegen Vertreibungen, EU-Osterweiterung, Aufnahme und Integration von Aussiedlern, Deutsche Zwangsarbeiter, Erhalt des kulturellen Erbes der Ost-, Sudeten- und Südostdeutschen sowie Nationaler Gedenktag für Opfer der Vertreibung. Das Schicksal der deutschen Zwangsarbeiter sei im Sinne der Menschenrechte zu behandeln, fordert der BdV. Bei Zwangsarbeit über fünf Jahre sollte beispielsweise eine monatliche Rechte von 150 DM, in Anlehnung an das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz bzw. Häftlingshilfegesetz, gezahlt werden. Dies sei ein "symbolischer Anerkennungsbeitrag" für die Leiden, die Millionen Zivilisten nach dem Zweiten Weltkrieg wegen ihrer deutschen Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit ertragen hätten.
Diese Übersicht, die freilich nicht vollständig ist, soll zum Nachdenken und politischen Handeln anregen. Den diesjährigen Wahlkampf sollten die Siebenbürger Sachsen also nicht passiv aufnehmen, sondern die eigenen Interessen im Gespräch mit den Kandidaten der verschiedenen Parteien artikulieren.
(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 30. Juni 2002, Seite 1)
Von einer auf ein gemeinsames Europa ausgerichteten, zukunftsorientierten Politik erwarten wir vermehrte und vielfältige Integrationsmaßnahmen. Der von den Siebenbürger Sachsen in Deutschland seit fünf Jahrzehnten auch über die Grenzen Europa hinaus geleistete Brückenschlag könne nur dann erfolgreich sein, „wenn unsere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Eingliederung und Verankerung in Deutschland – insbesondere für unsere Jugendlichen – weiter ausgebaut und langfristig gesichert wird“, betonte Dürr in seiner Festrede in Dinkelsbühl (siehe Siebenbürgische Zeitung-Online vom 21. Mai 2002).
Aussiedler waren, sind und bleiben für die Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich, politisch und kulturell ein großer Gewinn, für ein geeintes Europa ein Integrationsfaktor ersten Ranges. Dank ihrer günstigen Altersstruktur, ihres Arbeitswillens, ihrer Einsatzbereitschaft, ihres großen materiellen Nachholbedarfs sowie ihrer natürlichen inneren Bindung an Deutschland und das deutsche Volk bereichern sie unser Land in besonderem Maße. Vor allem im Bereich der jungen Generation stellen sie ein gewichtiges zukunftsträchtiges Potenzial dar, das nur durch besondere Integrationsanstrengungen in der Anfangsphase gesichert werden kann.
Die 40-prozentige Kürzung der Fremdrentenansprüche für alle ins Rentenalter nach dem 1. Oktober 1996 eintretenden Aussiedler aus Rumänien und den Staaten der früheren UdSSR missachtet den Gleichheitsgrundsatz und den Vertrauensschutz für rentennahe Jahrgänge. Zahlreiche juristische Argumente sprechen gegen diese Kürzungen; das Bundessozialgericht in Kassel hat den von den Siebenbürger Sachsen gewählten Rechtsweg bekräftigt. Daher forderte Dürr kürzlich die Rücknahme der Kürzungen noch vor „der zu erwartenden, hoffentlich für uns positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes“.
Die Förderung der siebenbürgisch-sächsischen Kulturarbeit ist gesetzlich verankert: Bund und Länder sind gemäß Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) verpflichtet, „das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge und des gesamten deutschen Volkes zu erhalten“. Durch Kürzungen im Bereich der Vertriebenen- und Aussiedlerkulturarbeit hat die rot-grüne Bundesregierung allerdings die kulturelle Breitenarbeit sowie die verständigungspolitische Arbeit, die Brücken- und Vermittlerfunktion der Landsmannschaften in den letzten Jahren erheblich geschwächt. So wurde die Stelle eines bei der siebenbürgischen Landsmannschaft angesiedelten Kulturreferenten zum 30. Juni 2001 ganz gestrichen. Von der Politik erwarten die Siebenbürger Sachsen zudem Verständnis und Unterstützung beim Erhalt des historisch gewachsenen Kulturzentrums in Gundelsheim am Neckar. Bundesvorsitzender Dürr erklärte kürzlich in Dinkelsbühl, dass alle im Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat zusammengeschlossenen Vereine und Institutionen bereit seien, mit unserem als Brückenkopf nach Osteuropa wirkenden siebenbürgischen Kulturzentrum in Gundelsheim und dem Kulturbeauftragten der Bundesregierung ein gemeinsames Umsetzungskonzept zur Kulturförderung gemäß § 96 BVFG zu entwickeln.
Ferner erhoffen sich die Siebenbürger weiterhin Unterstützung bei der Stabilisierung der deutschen Minderheit in Rumänien, deren Überleben nur durch einen gesicherten Minderheitenschutz und die Wiederherstellung ihrer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen möglich sein dürfte.
Summa summarum erwarten die Landsmannschaft und ihre Mitglieder von der bundesdeutschen Politik ein Klima der Akzeptanz und der Solidarität gegenüber den Aussiedlern zu fördern. Politiker müssten eine differenzierte Betrachtungsweise in der Öffentlichkeit durchsetzen und jene „Stammtischkultur“ ablehnen, die Aussiedler pauschalierend als „Verbrecher“ oder „Mafiosi“ abgestempelt oder Vorurteile gegen sie schürt.
Schließlich sei auf die vom Bund der Vertriebenen (BdV) erarbeiteten "Wahlprüfsteine" verwiesen, der allen im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien zugesandt wurden. Wie in der Siebenbürgischen Zeitung-Online vom 21. Februar 2002 berichtet, enthält der Katalog Fragen zu den Themenkomplexen: Zentrum gegen Vertreibungen, EU-Osterweiterung, Aufnahme und Integration von Aussiedlern, Deutsche Zwangsarbeiter, Erhalt des kulturellen Erbes der Ost-, Sudeten- und Südostdeutschen sowie Nationaler Gedenktag für Opfer der Vertreibung. Das Schicksal der deutschen Zwangsarbeiter sei im Sinne der Menschenrechte zu behandeln, fordert der BdV. Bei Zwangsarbeit über fünf Jahre sollte beispielsweise eine monatliche Rechte von 150 DM, in Anlehnung an das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz bzw. Häftlingshilfegesetz, gezahlt werden. Dies sei ein "symbolischer Anerkennungsbeitrag" für die Leiden, die Millionen Zivilisten nach dem Zweiten Weltkrieg wegen ihrer deutschen Staatsangehörigkeit oder Volkszugehörigkeit ertragen hätten.
Diese Übersicht, die freilich nicht vollständig ist, soll zum Nachdenken und politischen Handeln anregen. Den diesjährigen Wahlkampf sollten die Siebenbürger Sachsen also nicht passiv aufnehmen, sondern die eigenen Interessen im Gespräch mit den Kandidaten der verschiedenen Parteien artikulieren.
Siegbert Bruss
(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 30. Juni 2002, Seite 1)
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