31. Juli 2002

"Der Instanz der Realität dienen"

Die Papiergeschichten der Denissa Serban Maschek
1976 absolvierte die heute in Schönberg bei Stuttgart lebende Denissa Serban Maschek die Bukarester Kunstakademie. Ihr Lehrer war Vasile Kazar, ein Altmeister des virtuosen Zeichnens und gleichzeitig ein rigoroser Verfechter synthetischer Umrisse, ein Minimalist des Zeichnens, dem im höchsten Maße daran lag, dem Trägermaterial seiner Werke die Rolle eines gleichberechtigten raum- und sinnfüllenden Kommentators zu überlassen.
Die Künstlerin Denissa Serban Maschek in ihrem Stuttgarter Atelier.
Die Künstlerin Denissa Serban Maschek in ihrem Stuttgarter Atelier.


Die frühere Studentin pflegt über viele Jahre - und oft auch über viele Grenzen hinweg - den Kontakt zum alten Meister, ohne dass dabei der unmittelbare Einfluss des Lehrers in irgendeiner Phase ihrer künstlerischen Entwicklung erkennbar wird. Es sei denn, dass gerade die für sie typische, untergründige Ehrfurcht gegenüber den Materialien, derer sie sich bedient, vor allem der vertraute Bezug zum Medium Papier, den Berührungspunkt bildet, an dem sie sich der Kunstauffassung des Bukarester Meisters nähert. Und wo sie auch anknüpft.

Denissa Serban Maschek gehört zu der etwas unbequemen Sorte von Künstlern, die die Entwicklung von universal gültigen Sehweisen und scheinbar neutralen Standpunkten einer kritischen Neueinschätzung unterziehen. Unterschiedliche Ansätze eines Experimentierens zwischen Konstruktion und Spontaneität, zwischen bestimmt und unbestimmt definierter Form hatten sich in ihren Arbeiten zum Teil schon Anfang der 80er Jahre ausgebildet und zeigen, dass es der Künstlerin zu keinem Zeitpunkt allein um die Bewältigung formaler Probleme ging und auch nicht darum, sich in einer der bestehenden Ausdruckssprachen lediglich einzuüben.

„Der Instanz der Realität dienen“, ist Denissa Serban Mascheks knapp formuliertes Credo. Dieser Instanz gegenüber hat sie sich als Künstlerin zu bewähren, weg von übermäßig subjektiven Empfindungen und gestischer Formsuche hin zu konkreten Bedingungen der Materialien. Jegliche Flucht ins Irrationale wird somit ausgeschlossen, genauso wie vordergründiges, ostentativ zur Schau gestelltes Hantieren mit realistischen Vorbildern der Gegenwart.

Im April 2002 zeigte Denissa Serban Maschek in der Städtischen Galerie in Filderstadt eine Auswahl ihrer Werke aus den letzten Jahren. Nach einer langen, relativen Ruhepause, während der sie sich vornehmlich an kollektiven Kunstprojekten beteiligt hatte, wagte sie es wieder, sich dem Publikum in einer Einzelausstellung zu „öffnen“. Sie hat all diese Zeit der (beinahen) Absenz genutzt, um - so sagt sie – einen langwierigen, gleichzeitig aber auch bereinigenden Prozess der Selbstbefreiung durchzumachen. Auf ihrer Suche nach Reduktion und inhaltlicher Klarheit stellte sie fest, dass das Zeichnen, das Graphische, das ihr einst den Weg zur Kunst geebnet hatte, sie irgendwann gnadenlos in eine Sackgasse führen würde. Nicht das, was sie dem Material, dem Papier durch ihren „Kunstgriff“ hinzufügt, und auch nicht das Material allein sollten entscheidend sein, sondern der Zusammenhang, der daraus entsteht. Das Kunstwerk definiert sich neu, es wird nicht mehr als bloßes Medium, als Träger einer Botschaft verstanden, sondern fällt mit dieser zusammen; es gewinnt eine ziemlich souveräne Objekthaftigkeit. In den Anfängen dürfte dieser Prozess vielleicht etwas beunruhigend auf ihr künstlerisches Dasein gewirkt haben, drängt er schließlich die Künstlerin in den Hintergrund, während das Kunstwerk sich im Sinn einer autonomen Wirklichkeit scheinbar selbst zum Aussagenden entwickelt.
Filderstadt, April 2002: Blick in die Ausstellung
Filderstadt, April 2002: Blick in die Ausstellung

Die Lösung dieses Dilemmas erfordert ein konzeptionelles Umdenken, ein allgemeines „Aufweichen“ von festgefahrenen Ausdrucksformen, von akademischen Gewohnheiten. Im Grunde genommen geht es in erster Linie um das Reduzieren und Präzisieren, um das Sichtbarmachen einer unbezweifelbaren, rational fassbaren Gewissheit: Es gibt einen wunderbar einfachen Weg, der es ermöglicht, das Wirkliche und das Wahre in einem Atemzug zu nennen.

Denissa Serban Maschek akzeptiert diese Herausforderung, indem sie den Schwerpunkt von der reinen Formbehandlung auf die umzusetzenden Inhalte und schließlich auf ihr eigenes Inneres verlagert. An diesen Scheitelpunkt gelangt, tastet sie sich sorgfältig vor, wachsam werden Begleiterscheinungen wahrgenommen, abgewogen, bisweilen einbezogen, öfters jedoch verworfen. Freude und Enttäuschung wechseln sich ab, dennoch sind all die Abbrüche, Rückschläge, die Umwege und Kompromisse nur Modifikationen der ursprünglichen und absoluten Zielsetzungen.

Es sollte nicht lange dauern, bis die Künstlerin in ihren oft sequentiell angelegten Werken, nach wiederholten Formexperimenten, eine hohe Sicherheit und Beständigkeit erreicht hat. Und als sie den eigenen Reiz, die vielfältige Ausstrahlung unterschiedlicher Materialien entdeckt, die sie freilich intensiv und experimentierfreudig einsetzt, lässt sie sich nicht von formalistischen Vortäuschungen ablenken, sondern beschränkt ihre Auswahl auf primäre Elemente wie Holz, Stein, Metall und Papier, immer wieder Papier. Es war zunehmend klar, dass weder der genormte Papierbogen noch der logisch aufgebaute (Hand)Schriftzug die Form als Umsetzungselement der künstlerischen Idee unbelastet und im weitesten Sinne unabhängig hervorbringen kann. In kalligraphischen Bilderschriftreihen fügt Denissa Serban Maschek feinnervige zeichnerische Strukturen auf kleinformatige, handgeschöpfte Papierstücke, pinnt sie in einer „zusammenhängenden Zusammenhangslosigkeit“ – so die Definition eines ihrer Kritiker – auf farbige, am Computer generierte Hintergründe, in einfachen, verglasten Rahmen oder legt sie auf Quadersteine auf. Licht und Farbe werden mehr und mehr frei verfügbare, doch sparsam eingesetzte Ausdrucksmittel, die sich von der dienenden Funktion in einem strengem Bildaufbau emanzipieren. Im Grunde wirkt alles geheimnisvoll und dennoch unbedrohlich, menschennah und irgendwie bekannt. Die kleinen Papierbilder lesen sich wie die Seiten eines Buches, in dem sich archetypische Symbole des kollektiven Unbewusstseins verbergen und nun ans Licht gebracht werden, um sich zu Geschichten persönlicher Erinnerungen eines jeden von uns zu verwandeln.

Die Künstlerin, die sich jetzt frei den Inhalten ihres Werke widmen kann, ist sich wohl bewusst, dass das Unsichtbare, das Verborgene zur Wahrheit dieser Inhalte geworden ist. Und es ist davon auszugehen, dass Denissa Serban Maschek mit ihren Werken wesentlich weniger auf den Symbolcharakter hinweist, als zu einer direkten Empfindung hinführen will, die uns tiefer als Denken und Bewusstsein eingebildet ist, und das im wörtlichen Sinne.

Marius Joachim Tataru


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 12 vom 31. Juli 2002, Seite 6)

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