4. Juli 2002

Kosten der EU-Erweiterung sind gestaltbar

"Der Zeitplan (der EU-Osterweiterung) kann nur gehalten werden, wenn sich die EU-Mitgliedsländer nicht in eine politisch schädliche und ökonomisch kurzsichtige Diskussion über Kosten und Nutzen der Erweiterung verrennen. Die Kosten der Erweiterung sind nicht fix, sondern in großem Maße gestaltbar". So die Deutsche Bank Research in ihrer neuesten Untersuchung über die EU-Erweiterung in Mittel- und Osteuropa.
Hintergrund ist, dass nach dem EU-Fahrplan die Beitrittsverhandlungen mit den fortgeschrittensten Kandidaten bis Jahresende abgeschlossen sein sollen. Die Diskussion über Kosten und Nutzen trage nicht dazu bei, eine EU-Bevölkerung, die dem Projekt der Erweiterung um bis zu 13 Nationen ohnehin skeptisch gegenüber stehe, von der Bedeutung dieses Vorhabens zu überzeugen.

Die Erweiterung mache politisch Sinn, weil sie den historischen Wurf eines großen gemeinsamen europäischen politischen Raums verwirkliche. Die Erweiterung macht auch ökonomisch Sinn, weil Mittel- und Osteuropa bereits in der Produktion wie dem Handel eng mit der EU verflochten sind. Dennoch ist das Risiko des Scheiterns gegeben, denn die in den meisten Beitrittsländern vorgesehenen Referenden sind in ihrem Ausgang nicht absehbar. Ein etwaiges Scheitern führt zu hohen Kosten.

Die Wirtschaftsdynamik in den Beitrittsländern hat im letzten Jahre einen Rückschritt erlitten. Verantwortlich hierfür war nicht nur die abgeschwächte wirtschaftliche Konjunktur in der EU, sondern ebenso nationale Fehler in der politischen Umsetzung. Musterbeispiel ist Polen. Dennoch ist der gemeinsame Beitritt von zehn Kandidaten die einzig sinnvolle Lösung. Die Zölle der EU gegenüber den Beitrittskandidaten sind bereits weitgehend abgebaut. Die Kandidaten werden im Laufe dieses Jahre nachziehen. Die Beitrittsländer wickeln bereits bis zu zwei Dritteln ihres Handels der EU ab. Der Anteil ausländischer Direktinvestitionen reicht bis zu 40 Prozent in Ungarn. ER liegt damit höher als in Portugal und Griechenland. Bis auf Rumänien und Bulgarien haben alle Kandidaten einen Stand ihres Bruttoinlandproduktes erreicht, der über 60 Prozent im Vergleich zum EU-Durchschnitt liegt.

Für den Beitritt müssen die Kandidaten einen hohen politischen Preis bezahlen. Die Anpassung ist zum Teil schmerzhafter als die Altmitglieder zu ertragen bereit sind. Als Beispiel nennt die Studie den tschechischen Bankensektor verglichen mit dem deutschen. Die Brutto-Kosten der Erweiterung sind für 2004 bis 2006 mit 40 Milliarden Euro veranschlagt worden. Bis 2013 werden weitere 30 bis 38 Milliarden Euro anfallen.

Die Studie empfiehlt, die Regionalpolitik neu zu orientieren. Sie sollte sich auf die rückständigsten Regionen konzentrieren. Viele Fördergebiete müssten aufgegeben werden. Die Empfänger müssten sich stärker als bisher beteiligen, und an die Stelle der Zuschüsse sollten vermehrt Kredite treten. Wenn in wohlhabenderen Mitgliedstaaten ärmere Regionen nicht mehr gefördert würden, könnten die nationalen Beitrage zum EU-Haushalt sinken.

Besonderes Gewicht legt die Studie auf die Gestaltung der Arbeitsmärkte. Eine vorübergehende Abschottung verschiebe, aber vermeide keine Anpassungsprozesse. Weitaus bedenklicher als die Zuwanderung "billiger" Arbeitskräfte sei die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte aus den Beitrittsländern. Deutschland - so die Studie - tue gut daran, schnellstens die volle Freizügigkeit herzustellen. Es würden kaum mehr als 200 000 Zuwanderer pro Jahr kommen, wobei eigentlich 300 000 benötigt werden. Die Sozialleistungen müssten für einen bestimmten Zeitraum auf das Niveau des Heimatstaates beschränkt werden.

Nachdrücklich warnt die Studie vor einem sofortigen Beitritt der Kandidatenländer zur Währungsunion. Die Anpassungsschwierigkeiten wären zu groß. Noch überschreiten die Inflationsraten häufig die Maastricht-Kriterien. Da die meisten Länder ihre Staatshaushalte gut im Griff haben, plädiert die Untersuchung für einen Beitritt ab 2007/08. Eine schrittweise Aufnahme wäre vorteilhaft.

Für äußerst wichtig hält die Studie die Beteiligung der Beitrittsländer an der Fortentwicklung der Institutionen der Union. Das führe zu stärkerer politischer Integration. Die Akzeptanz der lntegration sei besser gewährleistet. Bezüglich der Sitzzahl im Europäischen Parlament gebe es Nachbesserungsbedarf. Die Beitrittsländer müssten in den Verfassungskovent eingebunden werden. Ohnehin würden bei Einhaltung des Fahrplans die meisten Beitrittskanddiaten an der Entscheidung über die Verfasung mitwirken. Ein halbes Jahr vor der entscheidenden Sitzung des Europäischen Rates in Kopenhagen stellt eine weitere Untersuchung der Deutschen Bank Research fest, dass die zehn entwickeltsten Länder die Konvergenzkriterien von 1993 (Kopenhagener Kriterien") einhalten. An der Spitze liegen Slowenien, Ungarn und Tschechien, im vorderen Mittelfeld Estland und Polen, im hinteren Mittelfeld die Slowakei, Lettland und Litauen. Abgeschlagen sind Bulgarien und Rumänien. Immerhin bescheinigt die Studie diesen beiden Ländern für die letzten Jahre deutliche Fortschritte. Bei den realwirtschaftlichen Strukturdaten (Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Anteil der Landwirtschaft am BIP) lässt sich der Abstand zur EU nur auf mittlere Sicht verringern. Der Abstand zur "Big-Bang-Gruppe" der Zehn hat sich seit 1998 jedoch noch vergrößert. Die Zehn haben die Fährnisse der letzten vier Jahre vergleichsweise gut überstanden. Bulgarien und Rumänien haben beachtliche Fortschritte gemacht. Das gibt Anlass zur Annahme, dass die Aufnahme dieser Länder nach 2005 möglich sein wird.

Horst Schinzel

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