2. November 2002

Zeugnis für Verstand und Herz

Mit dem soeben erschienenen Band des nun "Wort + Welt + Bild" genannten Verlags "Hermannstadt und das Alte Land. Eine europäische Kulturlandschaft in Siebenbürgen" legt der Herausgeber Martin Rill anhand der Farbfotos von Martin Eichler und Georg Gerster bereits die dritte Dokumentation des ehemaligen deutschen Kulturbeitrags zum Georaum Siebenbürgen vor.
Als die "Edition Wort und Welt" 1997 mit dem Bildband "Siebenbürgen im Flug" von Georg Gerster und Martin Rill vor die Öffentlichkeit trat, war für den Leser und Betrachter noch nicht abzusehen, dass sich daraus nach Idee, Konzeption, Format und Aufmachung eine Dokumentationsreihe entwickeln würde. War Siebenbürgen dank der Luftbilder als grandiose Kulturlandschaft der Architekturen im Ganzen zum Dokument von einmaliger Anschaulichkeit und Einprägsamkeit geworden, so stellte sich der 1999 veröffentlichte Band "Das Burzenland" als Bilddokument einer siebenbürgischen Teillandschaft heraus. Neben Gerster und Rill waren hier als weitere Foto- wie Textautoren Martin Eichler, Hans Bergel und Heinrich Lamping hinzugekommen. Die Eindringlichkeit auch dieses Bandes ließ nichts zu wünschen übrig. Über den Blick auf die Einheit von Landschaft und Architektur hinaus lenkte dieser Band die Aufmerksamkeit auch auf einzelne Kunst- und Kulturzeugnisse.

Titelfoto des neuen Bildbandes „Hermannstadt und das Alte Land‘
Titelfoto des neuen Bildbandes „Hermannstadt und das Alte Land‘

Mit dem soeben erschienenen neuen Band des nun "Wort + Welt + Bild" genannten Verlags "Hermannstadt und das Alte Land. Eine europäische Kulturlandschaft in Siebenbürgen" legt der Herausgeber Martin Rill anhand der Farbfotos von Martin Eichler und - zum geringeren Teil - Georg Gerster, mit der Einführung von Heinrich Lamping, eigenen sowie Erläuterungstexten von Thomas Nägler die dritte Dokumentation des ehemaligen deutschen Kulturbeitrags zum Georaum Siebenbürgen vor. Das gleiche Format, die gleiche Seitenanzahl, die gleiche äußere Aufmachung. Kein Zweifel, die Bände verstehen sich im Zeichen desselben Dokumentations- und Präsentationswillens.

Auf den ersten Blick besticht die technische Qualität der Martin-Eichler-Bilder. Dem seit Jahren Siebenbürgen durchstreifenden Fotografen glückten Aufnahmen nicht nur von makelloser Präzision, sondern immer wieder auch von bewegender Schönheit. Ob das Pfarrhaus in Neppendorf sein Gemäuer im Licht- und Schattenspiel des Sommertags zur Schau stellt, die Karyatiden rechts und links des Eingangs ins Kleine Palais Hermannstadts dem Betrachter in der vollen Plastik ihrer Frauengestalten entgegentreten, das herrliche romanische Westportal der Michelsberger Burgbasilika sich den Auge als steinernes Juwel darbietet oder die Talheimer Kirchenburg beim Anblick der weißen Südkarpatenkette in Ehrfurcht erstarrt zu sein scheint: Eichler schuf auch emotional unvergessliche Siebenbürgenimpressionen. Wie nur, ist man geneigt zu fragen, wie nur schafft es der Farbfilm, selbst das bröckelnde Gemäuer und den löcherigen Gehsteig, die wenig gepflegte Rasenfläche und die Ärmlichkeit des Straßenbildes mit soviel Eleganz der Wiedergabe zu "verschweigen"? Alles, was auf den Fotos dieses Bandes zu sehen ist, sieht aus, als habe es erst gestern die letzte Vollendung erfahren; es schmeichelt dem Auge.

Die zweiundzwanzig vorgestellten Ortschaften aus dem Umkreis Hermannstadts sind nach einem einheitlichen, übersichtlichen Muster behandelt. Zum Lageplan kommt die allgemeine Ortsübersicht, Burg und Kirche, Orgel, Altarbild, repräsentative Hausfassaden, Kostbarkeiten aus Kirchenschätzen, Kunstgegenstände etc.

Wieso sich so vieles an mittelalterlichem Bauwerk und an barocker Orgelgestaltung, an Kirchenkelchen und -pokalen "trotz der Zeiten Ungunst" bis heute erhielt? "In der Bestandsaufnahme", hält der Historiker Lamping fest, "zeigt sich einerseits ein kulturelles Erbe, wie es nur leistungsfähige wirtschaftliche Strukturen hervorbringen können. Doch dass es bis in unsere Gegenwart erhalten blieb und so in diesem Band vorgestellt werden kann, hat andererseits seine Ursachen in einer langen Stagnationsphase. Ihr ist es zuzuschreiben, dass überkommene Strukturen erhalten blieben, die sonst überall im Zuge wirtschaftlichen Fortschritts verändert und über Bord geworfen wurden." Über das dingliche Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen hinaus ließe sich dazu bis in deren Mentalitätsgeschichte hinein manches sagen.

Hier auf Details der Bildunterschriften, der Ortschroniken, des umfangreichen Klappentextes einzugehen, erübrigt sich: Der Band stellt sich in summa als eine Buchleistung dar, in der Sachdokumentation und ästhetischer Anspruch zu einer Synthese wurden, an deren Komplexität herumzufingern Kleingeisterei bedeutete. Nicht unterdrückt werden soll hingegen, dass Bild und Wort dieses Bandes, sofern sich einer näher auf sie einlässt, auch dem Nichtsiebenbürger mit Schmerzen eine Welt vor Augen führen, die als Heimat rund einer Viertelmillion deutschsprechender Menschen aufhörte zu existieren. Der schier unfassbare Kulturreichtum, den diese dort zurückließen, geht - trotz der "neuen Chancen für diese Region", die der Klappentexter "nach der politischen Wende in Europa" sieht - einer ungewissen Zukunft entgegen. Denn ohne die Präsenz des Tag für Tag treuhänderisch pflegenden Geistes verkommt und verfällt alles Erbe. Auch dieser Band, "Hermannstadt und das Alte Land", legt für Verstand und Herz ein glänzendes Zeugnis seiner einstigen Lebendigkeit ab. Dem Herausgeber, den Wort- und Bildautoren gebührt dafür unser Dank.

Hans Bergel


Martin Rill (Herausgeber): "Hermannstadt und das Alte Land. Eine europäische Kulturlandschaft in Siebenbürgen" - Texte von Thomas Nägler, Martin Rill, Fotos von Martin Eichler, Georg Gerster; Verlag Wort + Welt + Bild Dresden 2002; 300 Seiten; Harteinband mit Schutzumschlag; Großformat 30 mal 30 cm; ISBN 3-9807949-4-6; 69 Euro.

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