1. Dezember 2002

Ein Toter, der die Forscher nicht ruhen lässt

Vor 150 Jahren, am 25. November1852, starb in Palermo der große rumänische Historiker, Schriftsteller und Patriot Nicolae Balcescu (1819-1852). Über seine Massengrab-Bestattung im dortigen Kapuzinerkloster ist nur wenig bekannt. Ein Dokumentarfilm des WDR veranlasste den Historiker Dr. Michael Kroner 1976, die Frage nach dem Verbleib seiner Gebeine neu aufzurollen. Der Artikel blieb nicht ohne Nebenwirkungen für den Verfasser.
Im April des Jahres 1976 strahlten die Dritten Programme des Hessischen und Süddeutschen Rundfunks eine TV-Dokumentation über die Katakomben des Kapuzinerklosters im sizilianischen Palermo aus. Das Kloster ist berühmt für seine rund 8 000 mumifizierten Leichen, die in den unterirdischen Gängen besichtigt werden können. Die meisten sind an den Wänden aufgestellt, einige sind auch in offenen Särgen aufgebahrt. Die seit 1599 praktizierte Mumifizierung der Toten erfolgt in einem eigens hier praktizierten Trockenverfahren. In der Sendung wurde auch ein mumifizierter Leichnam gezeigt, von dem es im Kommentar hieß, dass es sich um den Rumänen Nicolae Balcescu handele.

Der bekannte siebenbürgische Architekt Robert Kisch, der die Sendung gesehen hatte, schrieb dem damals noch in Kronstadt lebenden Historiker Dr. Michael Kroner davon. Dieser fand die Mitteilung so sensationell, dass er – nachdem ihm auch der WDR in Köln die Richtigkeit der Informationen bestätigt hatte - in der Karpatenrundschau vom 3. Dezember 1976 einen ausführlichen Bericht über den damaligen Wissensstand bezüglich der sterblichen Überreste von Balcescu veröffentlichte. Dabei warf er auch die Frage auf, ob dessen Leichnam tatsächlich zu den gezeigten Mumien gehören könne. Der Artikel, der auch im Klausenburger Kulturblatt Tribuna erschien, erregte die Gemüter bis hinauf ins Zentralkomitee und führte sogar zu einem Publikationsverbot in Sachen „Balcescu-Mumie“. Insbesondere der Umstand, dass ein Sachse den von Monarchisten und Hardcore-Kommunisten gleichermaßen verehrten Nationalhelden wiederentdeckt haben sollte, brachte die Historikerzunft in Verlegenheit. Ein Fachkollege brachte es auf den Punkt: Pacat ca-i neamt – „Schade, dass es ein Deutscher ist.“

Rund 8 000 nach Geschlecht und Stand getrennte Mumien erwarten den unerschrockenen Besucher im Kapuzinerkloster (Catacombe dei Cappuccini) von Palermo. Balcescus Gebeinen blieb diese Spezialität des Hauses
Rund 8 000 nach Geschlecht und Stand getrennte Mumien erwarten den unerschrockenen Besucher im Kapuzinerkloster (Catacombe dei Cappuccini) von Palermo. Balcescus Gebeinen blieb diese Spezialität des Hauses" offensichtlich erspart. Foto: Konrad Klein

Dr. Kroners Veröffentlichung zu dem Verbleib der „Reliquien“ des rumänischen Revolutionsführers wurde von Anfang an große Aufmerksamkeit geschenkt. Bereits einige Monate später war ein Forscherteam – die Historiker Dr. Dan Berindei, der Balcescu-Forscher Horia Nestorescu-Balcesti und der Anthropologe Dr. Cantemir Riscutia – auf dem Weg nach Palermo. Seine Recherchen ergaben, dass die im Fernsehbericht gezeigte Mumie nicht Balcescu gehören konnte. Stattdessen hatte man Hinweise gefunden, dass Balcescu zunächst in einem Einzelgrab bestattet worden sei. Erst einige Jahre später, wohl nicht vor 1859, sei er „aus Raummangel“ in ein Massengrab verlegt worden. Von den Forschungsergebnissen berichtete Dr. Kroner in Form eines Interviews mit Horia Nestorescu-Balcesti in der Karpatenrundschau vom 25. November 1977. Diesmal blieb dem Publizisten ein Nachspiel erspart. Gleichwohl vermutet er bis heute, dass es vor allem seine missliebigen Recherchen zum Verbleib der Gebeine des unglücklichen Balcescu gewesen sind, die seine Auswanderung nach Deutschland 1979 in Rekordzeit bewirkt hatten.

Seitdem ist es wieder ruhig geworden um die angebliche Balcescu-Mumie. Dessen ungeachtet wird der berühmte Rumäne, der auf seiner Reise von Paris nach Konstantinopel während eines Zwischenaufenthaltes in Palermo an der Schwindsucht gestorben war – die ersten Tbc-Symptome waren bereits 1846 aufgetreten -, in jeder touristischen Veröffentlichung des Kapuzinerklosters erwähnt. Der 1982 erschienenen Klosterführer von Pater Flaviano D. Farella – er hatte auch die erwähnte rumänische Forschergruppe begleitet - widmet dem Schicksal von Balcescus sterblichen Überresten sogar ein eigenes Kapitel (Il caso ‚Nicola Balcescu’).

Aktenkundig ist, dass Balcescu am 25. November 1852 (fälschlicherweise wird meist der 29. November genannt, an dem lediglich die Begräbnis-Quittung/bolletta di seppellimento ausgestellt worden ist) in der Nobelherberge „Trinacria“ in Palermo starb. Um die „letzten Dinge“ kümmerten sich die Mönche des dortigen Kapuzinerklosters. Wahrscheinlich wurde Balcescu in einem der fünf damals existierenden Massengräber (fosse comuni) ihres Klosters zur letzten Ruhe gelegt. Möglich ist aber auch, dass er auf dem Friedhof (cimitero) des Kapuzinerklosters in einem Einzelgrab bestattet und erst später in ein Massengrab umgebettet wurde. 1863 jedenfalls wurde dem rumänischen Regierungsbeauftragten Nicolae Ionescu ein Massengrab gezeigt, das auch die Gebeine Balcescus enthalte. Eine Öffnung des Grabes im Hinblick auf eine Überführung seiner sterblichen Überreste nach Rumänien wurde aus seuchenhygienischen Gründen freilich abgelehnt, so dass Ionescu unverrichteter Dinge abreisen musste. 1866 wurden Bestattungen in Massengräbern verboten. Das Gelände der klösterlichen Massengräber verkam schnell und bald war auch die genaue Stelle von Balcescus letzter Ruhestätte in Vergessenheit geraten.

Für die Historie der Siebenbürger Sachsen ist Nicolae Balcescu eine Randfigur. Allenfalls 1849 dürften sie aufgehorcht haben, als Balcescu den Schulterschluss mit den aufständischen Ungarn um Kossuth und Bem gesucht hatte, aber mit seinem Vorschlag abgeblitzt war, die Rumänen als gleichberechtigte Nation in Siebenbürgen anzuerkennen. Mit Fug und Recht wird Balcescu als der bedeutendste Vordenker und Begründer des modernen rumänischen Nationalstaates verehrt.

Interessant wäre mal, die freimaurerische Komponente seines Wirkens zu untersuchen, zumal fast alle führenden Köpfe der Revolution von 1848/49 – einschließlich Balcescu, Ion Ghica, C. A. Rosetti, Kossuth und der Italiener G. Mazzini (Balcescu, der „rumänische Mazzini“) – Freimauer waren, die bereits damals auf die Errichtung der „Vereinigten Staaten von Europa“ hinarbeiteten. Nachzulesen im Buch Ordinul Masonic Român (Der rumänische Freimaurerorden) des auch als Freimaurer-Forscher in Erscheinung getretenen Horia Nestorescu-Balcesti, S. 63.

Ein Besuch der Kapuzinerkatakomben ist für Palermo-Besucher ein Muss. Etwas Mumm muss man natürlich schon mitbringen, wenn man sich den arg verschrumpelten Damen und Herren mit Biedermeierhaube, Gehrock und Dreispitz auf Tuchfühlung nähern will. Neben den mumifizierten Leichen der Kapuzinermönche sind Menschen aus allen Schichten zu sehen -: vom Arzt, Offizier und Rechtsanwalt bis zum einfachen Soldaten und Bürgermädchen. Besonders anrührend die zahlreichen Kindermumien und die alten Jungfern in Weiß.

Ach ja: Unter den vielen Mumien müssten sich doch auch bekannte Gesichter entdecken lassen. Meint zumindest das launig getextete Sizilien-Faltblatt des ADAC.

Konrad Klein


Mein Dank gilt Frau Dr. Sanda Sora, die mir bei der Übersetzung aus dem Italienischen hilfreich zur Seite stand. - Der Verfasser

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 19 vom 30. November 2002, Seite 9)

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