1. Dezember 2002

Ratgeber zum richtigen Kartoffelanbau

Schätze der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim am Neckar
Wer heute eine Buchhandlung betritt, findet neben Belletristik und Fachliteratur die so genannte Ratgeberliteratur. Fast alle Taschenbuchverlage haben eigene Reihen entwickelt. Diese Ratgeber decken fast alle denkbaren Probleme unserer Zeit ab: Wie man Steuererklärungen ausfüllt, richtig vererbt, Marmelade kocht, Kinder erzieht oder ein Fahrrad repariert. Die Wissensgesellschaft zeichnet sich durch eine Vielzahl von Informationen aus, die jedermann gegen geringes Entgelt zugänglich sind. Diese Dinge sind nützlich und erleichtern es den Menschen, sich in einer immer komplizierteren Welt zurechtzufinden.

In der Siebenbürgischen Bibliothek Gundelsheim wurde kürzlich unter der Zugangsnummer 62 742 eine im Jahr des Wiener Kongresses (1815) gedruckte Schrift aufgenommen, die man heutzutage auch zur Ratgeberliteratur zählen dürfte: Anweisung die Erdäpfel anzubauen. Sie diente dazu, den Kartoffelanbau in Siebenbürgen zu popularisieren und die Bauern von den Vorteilen des Kartoffelanbaus zu überzeugen. Die Kartoffel ist ein Nachtschattengewächs aus der Neuen Welt. Aus Preußen ist bekannt, dass Friedrich der Große eine List anwandte, um den Kartoffelanbau flächendeckend einzuführen, nachdem sich die Bauern zunächst sehr verhalten gegenüber dieser Neuerung gezeigt hatten. Er ließ die Kartoffelfelder bewachen und verleitete gerade dadurch die Bauern zum Diebstahl. Er hatte genug Menschenkenntnis um zu wissen, dass die verbotenen Dinge besonders reizen. Diese Strategie ging auf und seither sind die Deutschen ein Volk von Knollenessern. Seit die Kartoffel in Europa weitflächig angebaut wird, hat es aufgrund schlechter Witterung und ungünstiger klimatischer Einflüsse und der dadurch bedingten verminderten Ernten keine Hungersnot mehr gegeben.

In Siebenbürgen wurde, soweit bekannt, keine List angewandt, den Kartoffelanbau durchzusetzen. Wohl gab es unter Maria Theresia um 1772 Verordnungen, den Kartoffelanbau zu betreiben, aber dies schien zunächst nicht zu funktionieren. So vertraute man auf die Wirkung des geschriebenen Wortes und fasste in einer schmalen Schrift (14 großformatige Seiten, in neun Paragraphen unterteilt) die Vorteile der Kartoffel als menschliches Nahrungsmittel und als Viehfutter zusammen. Übrigens: Der Name Kartoffel taucht in der Schrift noch nicht auf; es wird überwiegend von „Erdäpfeln“, „Erdbiren“ oder „Grundbiren“ geschrieben, Ausdrücke, die sich bis zum heutigen Tage in zahlreichen Abwandlungen in den siebenbürgisch-sächsischen Dorfmundarten gehalten haben. Das schriftdeutsche „Kartoffel“ ist nicht in die Mundart eingegangen. Wen es übrigens interessiert, wie die Kartoffel in den einzelnen sächsischen Mundarten genannt wurde, der kann die Artikelserie von Werner Sedler aus Die Woche - 1983/84 - in der Siebenbürgischen Bibliothek einsehen. Auch im Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuch ist dem Wort „Grundbirne“ eine ganze Spalte mit zahlreichen Belegen gewidmet.

Der Autor des Ratgebers zum richtigen Kartoffelanbau heißt Samuel Kováts, Prof. für Oekonomie. Der Druckort der vorliegenden Schrift ist nicht bekannt. Es ist davon auszugehen, dass es sich dennoch um ein „Transylvanicum“ handelt. Erstens aufgrund des Überlieferungszusammenhanges (die Schrift wurde uns von Landsleuten aus den Beständen einer Nachbarschaftslade übereignet). Zweitens ist es aufgrund einiger sprachlicher Besonderheiten sicher, dass es sich um einen siebenbürgischen Autor handelt. So kommt im Text das Wort „Palukes“ vor und das ist eindeutig ein sächsisches Spezifikum mit ungeklärter Etymologie (laut Siebenbürgisch-Sächsischem Wörterbuch).

Zu den Vorteilen des Kartoffelanbaus gegenüber den „Brotfrüchten“ wird gezählt, dass trotz widriger Witterung immer mit einem gewissen Ernteerfolg gerechnet werden kann. Der Aufwand beim Kartoffelanbau ist relativ mäßig. Der Kartoffelanbau dient der Kompensation schlechter Getreideernten, die in früheren Zeiten zum Verkauf von Vieh und Werkzeug führten, was wiederum die Verarmung der Hauswirte zur Folge hatte.

Offenbar wurden die Ratschläge dieses Büchleins beachtet, denn die Kartoffel hat einen festen Platz in der siebenbürgisch-sächsischen Landwirtschaft und in der Küche gefunden. Das Burzenland gilt bis heute als das wichtigste Kartoffelanbaugebiet Rumäniens, und die Sachsen gelten – so ein vielfach gepflegtes Stereotyp - wie alle Deutschen auf der Welt als große Kartoffelesser. Für den Laien ist aus vorliegender Schrift zu entnehmen, dass auch der Blütensamen der Kartoffel zur Vermehrung und Züchtung verwendet werden kann.

Bücher verändern die Welt. Nicht nur die Schriften Martin Luthers und Hermann Oberths, sondern auch ein Ratgeber zum richtigen Kartoffelanbau. Diese kleine Schrift hat den Bauern Siebenbürgens nützliche Ratschläge erteilt, so dass es dort seither ebenfalls keine Hungersnot mehr gegeben hat. Was kann den Wahrheitsgehalt dieser Schrift besser beweisen?

Das dünne Buch war in Vergessenheit geraten, aber sein Inhalt ist in das Alltagswissen eingegangen. Nun ist ein Exemplar dieser wichtigen Schrift in den Besitz der Siebenbürgischen Bibliothek gelangt. Es steht den in- und ausländischen Forschern zur Verfügung, welche es als authentische Quelle für zahlreiche Fragestellungen benutzen können. Es ist einer von zahlreichen Schätzen der Siebenbürgischen Bibliothek.

Gustav Binder


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 18 vom 15. November 2002, Seite 7)

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