14. Dezember 2002

Meister der experimentellen Lyrik

Der 75-jährige Dichter Oskar Pastior wurde in Wien mit dem Erich Fried Preis ausgezeichnet / Kulturstaatsministerin Dr. Christina Weiss würdigte den siebenbürgischen Sprachkünstler
Der siebenbürgische Dichter Oskar Pastior (75) hat am 24. November in der Kunsthalle zu Wien den Erich Fried Preis entgegengenommen. Österreichs Kunststaatssekretär Franz Morak überreichte die von der Republik Österreich gestiftete und mit 14 500 Euro dotierte Auszeichnung. In ihrer Laudatio hob die deutsche Kulturstaatsministerin Christina Weiss - sie war von der Erich Fried Gesellschaft als alleinige Jurorin eingesetzt worden - die Fähigkeit des aus Hermannstadt stammenden Lyrikers hervor, Erkenntnismöglichkeit und Sinnlichkeit der Sprache zusammenzuführen.

Kulturstaatsministerin Christina Weiss im Gespräch mit Oskar Pastior, der mit dem Erich Fried Preis in Wien ausgezeichnet wurde.
Kulturstaatsministerin Christina Weiss im Gespräch mit Oskar Pastior, der mit dem Erich Fried Preis in Wien ausgezeichnet wurde.

Die Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, Christina Weiss, begründete ihr Votum für Pastior: „Ich möchte denjenigen ehren, dessen Worte mir die deutsche Sprache neu entdeckt haben.“ Die Begegnung mit der Sprache Pastiors erzeuge „lustvolles Erstaunen vor der eigenen Unkenntnis und Ungenauigkeit im Umgang mit der Sprache“.

In ihrer Laudatio stellte die Ministerin fest, dass Pastior Sprachspiele gegen die ideologische Besetzung der Sprache setze. „Eine bewusst erfahrene Mehrsprachigkeit, das Augenmerk immer auf den anderen Ausdruck, den Ausdruck des Anderen gerichtet, schärft Oskar Pastiors Bewusstsein für die eigenen Sprachmöglichkeiten, für den Klang und die Zwischentöne der eigenen Wörter, aber auch für die diversen Vernutzungen der Sprache. Der ideologisch belasteten, ästhetisch wie politisch kontrollierten Sprache setzt Oskar Pastior ein Sprachspiel entgegen, das nach allen Regeln der Kunst Subversion betreibt. Er redet mittels Sprache über etwas, er redet nicht erklärend, botschaftend, abbildend, vermittelnd. Er vollzieht alles, was er zu sagen hat, direkt am und mit dem sprachlichen Material.“ Und weiter: „Anteilige Existenz an der Geschichte verschiebt die Verantwortung, die Sprachpflegeverantwortung, in den Bereich des Einzelnen, ins Private, in einen Bewusstseinsprozess, der in Oskar Pastiors Dichtung wirksam ist.“

„Der Text ist ein unablässiger, unabschließbarer Austauschprozess zwischen seinen Lesearten. Dieses Phänomen führt Oskar Pastior musterhaft vor – bestaunenswerte Exempel der Poetik der Moderne, die der französische Sprachphilosoph Roland Barthes als Lust-Texte definierte“, so Christina Weiss. Mit zahlreichen Zitaten aus seiner Lyrik belegte die Ministerin: „Was Pastior mit dem sprachlichen Material treibt, sein unablässiges Sich-in-den-Text-Verlieren, wie er den Sprachleib befühlt und reizt, sind erotische Zuneigungen zur Sprache. Der Text bannt durch seine Sinnlichkeit. Klangkörper, die Emotionen erregen, Kopfsprünge im abenteuerlichen Labyrinth des eigenen Denkens. Der Leser verliert immer wieder den Sinnboden unter seinen Verstandesfüßen. Das, womit wir am undenklichsten umgehen, das alltägliche Sprechen, reißt auf zu Abgründen. Pastiors Texte lassen aber ihrem abstürzenden Leser sogleich Flügel wachsen. Die Erotik der Wörter ist ihre Sogkraft, die Spannung ihre Bedeutungsfacetten; ihre Sinnlichkeit entlädt sich mitten in der Tabuzone des begrifflichen, abstrakten Denkens. Geisteslust und Fleischeslust sind eins geworden.“

Seine als Danksagung konzipierte Lesung begann Pastior mit den Gedichtzeilen „Kein Grund zum Aufhören / Kein Grund zum Weitermachen. Das Schlimmste kommt noch, die Hoffnung dauert“ aus Francesco Petrarcas 134. Sonett Pace non trovo..., das Pastior in einer genialen Übersetzung 1983 im Hanser Verlag München veröffentlicht hatte. Die Lesung in Wien führte querbeet durch sein gesamtes Werk mit Texten aus den Bänden GedichtGedichte, Fleischeslust, Wechselbalg, Oskar Pastior / Francesco Petrarca: 33 Gedichte, Sonettburger, Anagrammgedichte, Das Hören des Genitivs u.a. Die Auswahl der Texte demonstrierte, dass Pastiors Werk keine „Spielerei“ oder „verbale Trapezkunst“ ist, wie manche Kritiker vermuten.

Einen besonderen Akzent setzte der Geehrte mit dem Gedicht tacho eschnapur, das wie folgt beginnt: „mach ernst mach mach / mach überschall“. Diese späte Ode an den Erkenntistheoretiker und Physiker Ernst Mach (1838-1916) ist Ausdruck einer einschneidenden Episode im Leben des Dichters. Am 20. Oktober 1927 in Hermannstadt geboren, wurde Oskar Pastior wie viele andere Siebenbürger Sachsen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. 1948, mitten im Donbas, in der schmalen Bibliothek des Arbeitslagers Novo Gorlowka begegnete er Ernst Mach, wenn auch nur „ex negativo und karikiert, und zwar in Lenins Philipka gegen ihn und andere“. Leninis „Materialismus und Empiriokritizismus“ war „eine Schrift mit bösen Folgen für die Literatur, wie wir sie später dann selber erfahren mussten – das ganze Widerspiegelungsdogma, und daraus folgend der Realismusterror.“

Nach der Russlanddeportation war Pastior als Gelegenheitsarbeiter tätig, studierte Germanistik und arbeitete dann beim Rundfunk in Bukarest. Er schrieb für die „Neue Literatur“ und debütierte 1965 mit dem Gedichtband „Offene Worte“. Schon früh schuf er eine Sprache, mit der er sich „gegen die Vereinnahmung durch totale Zeichensysteme wehrt“. Mehr noch: Auf das Subversive seiner Dichtung, von Christina Weiss zu Recht in der Laudatio beleuchtet, wies Pastior selbst einmal hin: „Lassen Sie sich von dieser Stimme nicht täuschen, je sanfter sie einherkommt, desto perfider geht sie ins Ohr“. Mit diesem Zitat beendet übrigens die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihren Bericht über die Erich Fried Preisverleihung in Wien.

Pastior schloss seine Lesung mit dem Gedicht „Die Donau in den Auen des Don“, das erstmals in der Hermannstädter Zeitschrift Euphorion veröffentlicht wurde, aber noch nicht in einem Gedichtband.

In einer zweiten Laudatio plädierte Österreichs Kunststaatssekretär Franz Morak für Vielfalt, aber auch für Eigensinn und Individualität in der Poesie, die allemal auf Pastior zutreffen. Pastior sei ein „Spracharbeiter“. Er sei Erich Fried diametral entgegengesetzt und daher umso mehr als Preisträger geeignet. Der Siebenbürger hatte Erich Fried schon 1967 in Bukarest gelesen, als dessen Prosaband „Kinder und Narren“ erschienen war. Kennen gelernt hatte er ihn bei einer gemeinsamen Lesung in Düsseldorf, als dieser schon krank war.

Der Erich Fried Preis wird seit 1990 als eine der höchstdotierten literarischen Auszeichnungen in Österreich verliehen. Im Auftrag der Internationalen Erich Fried Gesellschaft für Literatur und Sprache bestimmt ein alleiniger Juror den Preisträger. Bisher wurden unter anderen Christoph Hein, Bodo Hell, Robert Schindel und Gert Jonke mit dem Preis geehrt. Der erste Fried-Preis-Träger und aktuelle Träger des Österreichischen Staatspreises für Europäische Literatur, Christoph Hein, rundete mit einem "Erich Fried gibt eine Wahlempfehlung" betitelten Vortrag den Festakt in Wien ab.

Der Erich Fried Preis ist übrigens die erste Auszeichnung Pastiors außerhalb Deutschlands. Mit seinen über 30 Lyrikbänden, die vornehmlich bei Carl Hanser in München erschienen sind, hat sich Pastior als Meister der experimentellen Lyrik sowie als einer der bedeutendsten und, wie Christina Weiss sagte, einer der „jungen“ deutschen Gegenwartsdichter etabliert. Eine durch seine Biographie bedingte Sprachvielfalt hat Eingang in seine Texte gefunden: "die siebenbürgisch-sächsische Mundart der Großeltern; das leicht archaische Neuhochdeutsch der Eltern; das Rumänisch der Straße und der Behörden; ein bissel Ungarisch; primitives Lagerrussisch; Reste von Schullatein, Pharma-Griechisch, Uni-Mittel- und Althochdeutsch; angelesenes Französisch, Englisch... alles vor einem mittleren indo-europäischen Ohr". Dass er das Siebenbürgisch-Sächsische hineingehoben hat in ein erstrangiges Werk der europäischen Literatur dürfte seine Landsleute, denen Pastior sich auch nach über 33-jährigem Leben in Berlin zugehörig fühlt, mit besonderem Stolz erfüllen.

Siegbert Bruss


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2002, Seite 9)

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.