10. Januar 2003

Forum für Dialog: Schlattner las in Gundelsheim

Es war das Anliegen der Veranstalter, im Rahmen der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2002 das Prinzip des Dialogs zu pflegen, dem Austausch zu dienen. Siebenbürgisch-sächsische Wertigkeit sollte in kulturell interessierte Öffentlichkeit transportiert werden, und dem Zwiegespräch sollte ein Forum gegeben werden: zwischen ähnlichen und unterschiedlichen, zwischen individuellen und kollektiven Erfahrungen und menschlicher Einsicht von Zeitgenossen, aber auch zwischen Generationen, über Grenzen hinweg.
Gundelsheim als siebenbürgisch-sächsisches, siebenbürgisch-deutsches Begegnungszentrum der Kultur ist dabei Ort erfolgreicher Veranstaltungen gewesen. Auch der Begegnung mit Literatur, Schriftstellern und jenen, die sie ernst nehmen, schätzen und kritisch hinterfragen.

Eginald Schlattner las auf Schloss Horneck. Foto: Hans-Werner Schuster
Eginald Schlattner las auf Schloss Horneck. Foto: Hans-Werner Schuster

Am 23. November las Eginald Schlattner, Pfarrer in Rothberg (Siebenbürgen) und Gefängnisseelsorger, im deutschsprachigen Literaturbetrieb zurzeit sehr erfolgreicher Autor der Romane „Der geköpfte Hahn“ und „Rote Handschuhe“. Die Handlung beider Romane spielt im Siebenbürgen der Kriegs- und Nachkriegszeit, die zahlreichen Zeitgenossen noch nachhaltig schmerzlich präsent ist. Um so mehr, als Schlattner nicht nur als Zeitzeuge, sondern als Zeuge der Anklage kommunistischer Diktatur das subversiv zersetzende System heraufbeschwört, durch die Darstellung der wirklichkeitsnahen dramatischen Akteure: Opfer und Täter. Sie sind für die schmerzlich betroffene siebenbürgische Gemeinschaft allzu leicht zu identifizieren, und der Umgang in poetischer Freiheit mit ihren an Lebensjahre und Todesangst geketteten Schicksalen macht vielen die Lektüre der Prosa oder deren Vortrag zur Provokation.

Eginald Schlattner war wie der Schriftsteller und Publizist Hans Bergel – dieser eines der prominentesten Opfer – zur Lesung geladen worden, um der objektiven Meinungsbildung durch Information Raum zu geben. Eginald Schlattner kam, und seine Lesung wollte, wie er einführend betonte, Bedenken und Vorbehalte überwindend der siebenbürgischen Kultur dienen. Der Literaturwissenschaftler und Publizist Georg Aescht hatte zuvor in einem Vortrag über „Literatur als Mittel gegen die Ratlosigkeit vor der Zeitgeschichte“ (abgedruckt in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. Januar 2005, Seite 5-6) u.a. Antwort gegeben auf die von ihm gestellte Frage, „was vermag Literatur überhaupt in unwirtlichen Gefilden und in geistfeindlicher Zeit?“

Im voll besetzen Festsaal auf Schloss Horneck stellte Georg Aescht auch Person und Werk von Eginald Schlattner als Einführung zur Lesung vor. Der Schriftsteller selbst erlaubte anschließend Einblicke in seine Tätigkeitsbereiche – Seelsorge und schriftstellerische Produktion – und erläuterte die Beweggründe sowohl für sein Schreiben wie für die anstehende Lesung. In Gundelsheim, diesem auch in Siebenbürgen wohlbekannten und hochgeschätzten Zentrum siebenbürgischer Kultur zu lesen, habe letztendlich über seine Bedenken gesiegt.

Schlattner bei der Lesung im voll besetzten Saal in Gundelsheim. Foto: Robert Sonnleitner
Schlattner bei der Lesung im voll besetzten Saal in Gundelsheim. Foto: Robert Sonnleitner

Die Lesung begann mit dem Einführungskapitel des Romans „Der geköpfte Hahn“. Der Zauber und die Sinnlichkeit der Sprache bewirkten einen Sog, dem sich das Publikum nicht entziehen konnte. Gebannt folgte es den Ausführungen und die Spannung entlud sich in befreienden Lachsalven. Nichts zu lachen gab es dann bei der Lesung aus „Rote Handschuhe“. Schlattner hatte eine Passage ausgewählt, in der die Einweisung ins Gefängnis beschrieben wird. Auch dabei zeigte sich die Bildmächtigkeit und Sinnlichkeit seiner Sprache: Die Raumtemperatur schien frostiger zu werden, und auch jene, die nie ein Gefängnis betreten hatten, konnten eine Ahnung davon mitnehmen.

Das Publikum nahm die Gelegenheit zu Fragen an den Schriftsteller und zur Diskussion nicht wahr, dankte aber mit lang anhaltendem Applaus. Der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft, Volker Dürr, dankte in einer kurzen Ansprache für die Lesung und den Beitrag zum Gelingen der Kulturtage, aber auch für den Beitrag, den Schlattner mit seinen Romanen zum zeithistorischen Diskurs geleistet habe. Besonders erfreut zeigte er sich darüber, dass dazu auch die Lesungen der drei weiteren Schriftsteller im Rahmen der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2002 – Hans Bergel, Karin Gündisch, Dieter Schlesak – beigetragen haben, und dass diese Schriftsteller der Erlebnisgeneration dadurch nicht nur den generationsübergreifenden Dialog mit der Jugend, sondern indirekt auch miteinander aufgenommen haben.

Dürr dankte allen Mitveranstaltern der diesjährigen Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage, darunter dem Hilfskomitee, dem Siebenbürgischen Museum, dem Siebenbürgen-Institut, dem Hilfsverein „Johannes Honterus“ und der Stadt Gundelsheim sowie allen Mitwirkenden, die mit ihren Beiträgen der besseren Vernetzung und Verankerung der Einrichtungen des siebenbürgischen Kulturzentrums in Gundelsheim gedient haben.

H-W


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 1 vom 15. Januar 2003, Seite 6)

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