18. Januar 2003

Reaktionen auf den Artikel "Suche, es gibt noch Dümmere..." (III)

Doris Hutter, Geschäftsführerin des Hauses der Heimat Nürnberg, nimmt Stellung zum Artikel "Suche, es gibt noch Dümmere ...", Siebenbürgische Zeitung vom 15. August 2002, Seite 9, und den darauf folgenden Reaktionen.
Erfahrungen mit dem "Gymmi"

Das Thema ist immer noch aktuell, wie ich auch im SiebenbuergeR.de-Diskussionsforum erfahren habe. Zu meiner Familie: Ich habe sowohl in Rumänien als auch in Deutschland studiert und unterrichtet. Unser Sohn hat vor zwei Jahren das Abitur in Bayern abgelegt, unsere Töchter sind in der Kollegstufe. Anfangs habe ich mich gewundert, wie wenig man hierzulande über Siebenbürgen weiß. Vielleicht müssen wir uns selber noch mehr einbringen. Was wussten wir über die Deutschen aus Russland? Was wissen wir Siebenbürger heute über die Deutschen in Südafrika? Interessiert es uns überhaupt? Einzelne Beispiele können wirkungsvoll für bestimmte Behauptungen herangezogen werden. Aber sie sollten im Gesamtzusammenhang betrachtet werden.

Unserem Sohn, dem einzigen Aussiedler in seiner damaligen 5. Klasse, attestierte der Deutschlehrer in einer Elternsitzung, er sei in Deutsch auf dem Niveau eines Siebtklässlers. Er ist jedoch seit der 2. Klasse in Deutschland zur Schule gegangen. Ich führe es u.a. darauf zurück, dass der Junge schon damals viel gelesen hat.

Wir haben von unseren Lehrern ein „geordnetes, systematisches, prägendes“ (Stephani) Schulwissen bekommen. Ob es „vielfältiger und von bleibendem Bildungswert“ war, wage ich nicht zu beurteilen. Es mag im Fach Deutsche Literatur vielleicht stimmen, wenn einige Philologen das behaupten, die sich damit beschäftigt haben. Ich jedoch habe heute noch ein komisches Gefühl im Magen, wenn ich an die Busfahrt denke, auf der ich als Erwachsene von einem Lehrer erfuhr, dass unsere Rumänisch-Lehrerin uns so manches untergejubelt habe, was nicht stimme. Diese Lehrerin hatte den ganzen Stoff systematisch zusammengefasst, war sehr streng, hasste die Deutschen und nur wer ihr Skript auswendig konnte, wurde von ihr gnädig behandelt.

Schon in meiner Jugend galten die Westdeutschen als Fachidioten. Je länger ich in Deutschland lebe, umso mehr habe ich den Eindruck, dass es in der heutigen Zeit kaum eine Alternative dazu gibt. Wir werden einfach mit zu vielem konfrontiert. Die „einfache“ Welt in einer Diktatur, in der man sich auf einige wenige Bereiche konzentriert, weil der Rest vom Staat übernommen wird oder unbekannt ist, ist hier und heute zu wenig. Es kommen viele soziale und wirtschaftliche Probleme dazu, die in einer Schule berücksichtigt werden müssen. Man muss sich spezialisieren und andererseits gegen Wohlstand und Vereinsamung ankämpfen. Dadurch läuft der Unterricht anders ab, Schwerpunkte müssen anders gewichtet werden und die Lehrer sind selbst Teil dieser veränderten Gesellschaft.

Ich habe hier in Deutschland durch mein Studium, den Unterricht und das Gymnasium meiner Kinder auch die Stärken der deutschen Schule kennen und schätzen gelernt: Wenn auch oft das genaue Wissen einzelner Vorgänge, Namen, Sachverhalte, das bei uns zu einer Mindestbildung gehörte, fehlt, so werden das Denken und die Fähigkeit, Informationen zu beschaffen, sehr gut geschult. Ich habe als Lehrerin oft gestaunt, wie viel Stoff man im Fach Wirtschaft und sogar in Mathe von den Schülern während des Unterrichts erfragen kann. Durch logisches Denken bedingt, aber nicht ohne Vorwissen.

Als sich unser Sohn zwischen zwei schriftlichen Abiturprüfungen mit Freunden traf, um ein Theaterstück in Teamarbeit zu schreiben (später führten sie es in Eigeninitiative auf), fragte ich besorgt, ob er nicht lieber noch lernen wolle, da antwortete er: „Mama, was ich für die Prüfung brauche, habe ich in der Kollegstufe gelernt. Was, glaubst du, bringen mir noch diese Stunden?“ Der Erfolg gab ihm recht. In einer sich schnell wandelnden Welt wird strukturiertes Denken offensichtlich wichtiger als Inhalte, die leicht beschafft werden können, wenn man das gelernt hat.

Hinsichtlich der Pisa-Studie finde ich, dass wir Eltern in dieser Wohlstandsgesellschaft weitaus mehr Verantwortung tragen als die Lehrer und der Lehrplan. Schüler, die im Unterricht mitarbeiten und Fragen stellen, werden meistens ausgelacht und gehänselt. Das kommt hauptsächlich aus der Familie. Ebenso die Gewohnheit, Bücher zu lesen, Respekt vor dem Nächsten (Mitschüler und Lehrer) zu haben, Hausaufgaben zu machen, Bildung ernst zu nehmen oder Konfliktbewältigung. Mir sagte eine Mutter laut vernehmlich am Elternstammtisch (es ging um Achtklässler): „Sie werden sich doch nicht verantwortlich fühlen für Ihre Kinder!“ Natürlich könnten die Lehrer stärker eingreifen. Aber man bedenke, wie wenig Zeit ein Lehrer für den Einzelnen hat, um z.B. genau zu beurteilen, warum der jetzt so reagiert (man kennt sich heutzutage so wenig), dagegen wie viel Zeit die Eltern mit ihren Kindern verbringen könnten, wenn sie sich darum bemühten. Ein Lehrer wird heutzutage von Hunderten unerzogener Schüler strapaziert. Das raubt ihm Kraft und bremst die Eigeninitiative.

Auch aufgrund der Diskussionen, die ich mit den Jugendlichen hatte, habe ich den Eindruck, dass die hiesige Schule - mit all ihren Mängeln - die Schüler für das Leben in dieser Gesellschaft angemessen vorbereitet. Und dass es an uns allen liegt, hier und heute den schief gewordenen Turm gerade zu rücken.

Doris Hutter, Herzogenaurach


Links:

Artikel von Claus Stephani „Suche es gibt noch Dümmere...“

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