1. Mai 2003

Ist Nürnberg eine Dracula-Stätte?

Der Historiker Dr. Michael Kroner führt die Hoffnung sensationlustiger Touristen und Vampir-Fans auf Begegnungen mit Dracula-Spuren in Schäßburg und auch sonst in Siebenbürgen ad absurdum. Er zeigt im folgenden Beitrag, dass Nürnberg mit Dracula ebenso viel zu tun hat wie Schäßburg: Warum in die Ferne schweifen?
Mittlerweile liegen die Kataloge der Reisebüros für 2003 auf. Bei Reisen nach Rumänien versuchen die meisten Reiseveranstalter die Kunden mit dem Versprechen zu locken, dort den Spuren des Vampirs Dracula zu folgen. Da es aber solche Spuren nicht gibt, lässt man sich von der rumänischen Touristkbranche einen Bären aufbinden, die Dracula-Stätten in Transsylvanien (Siebenbürgen) „gefunden“ hat. Bundesdeutsche Anbieter versprechen daher einen Besuch im „Dracula-Land“. Dabei ist Siebenbürgen eher ein „Land der Bären“, denn diese kann man nicht nur in den Karpaten, sondern allabendlich auch in den Vorstädten von Kronstadt zu Gesicht bekommen, wo sie sich ihre Nahrung in den Mülltonnen herausholen (mittlerweile eine Touristenattraktion!).

Als „Dracula“-Schwerpunkt gilt in Rumänien die Stadt Schäßburg, die mit dem Vampir Dracula allerdings nicht mehr Gemeinsames als Nürnberg hat. Sie staunen! Ich binde ihnen jedenfalls keinen Bären auf.

Schäßburg (geplant ist eine Städtepartnerschaft mit Dinkelsbühl) mit ihrer Ringmauer, ihren Wehrtürmen und alten Häusern ist die am besten erhaltene mittelalterliche Stadt Rumäniens und wird daher auch siebenbürgisches Nürnberg oder Rothenburg ob der Tauber bezeichnet. Schäßburg hat zwar nichts mit Dracula zu tun, wurde jedoch rumänischerseits dazu bestimmt, weil deren mittelalterliches Ambiente Touristen etwas zu bieten hat und weil der wallachische Fürst Vlad Dracul („Dracul“ bedeutet rumänisch Teufel), bevor er den Fürstenthron der Walachei bestieg, von 1431 bis 1436 in Schäßburg Asyl gefunden hat und weil hier angeblich sein gleichnamiger Sohn Vlad 1431geboren sein soll. Dieser Sohn besaß dreimal (1448, 1456-62 und 1476) den Thron der Walachei und ging als Vlad Tepes (was der Pfähler bedeutet), in die Geschichte ein. Als blutrünstiger Sadist und Psychopath ließ er seine wirklichen oder potentiellen Feinde, Widersacher und überflüssig betrachtete Menschen aufspießen, zerhacken oder verbrennen, wobei er der Hinrichtung mit Wollust beigewohnt haben soll.

Obwohl man nicht weiß, wo Vlad Dracul in Schäßburg gewohnt hat, wurde kurzerhand eine „Dracula“-Gaststätte in einem alten Haus auf der Burg, gegenüber dem Stundturm, das allerdings viel später errichtet wurde, eingerichtet und als Geburtshaus von Vlad Tepes ausgewiesen. Und um dem mehr „Glaubwürdigkeit“ zu verleihen, wurde 1998 unweit davon, zwischen der Klosterkirche und dem Rathaus der Stadt, und gegen die Proteste der evangelischen Kirchengemeinde, eine Büste des Wüterichs enthüllt. Soweit so gut. Auch wenn man diesen Schwindel akzeptiert, wird man den Vampirfans dennoch nicht gerecht, denn weder Vlad Dracul noch Vlad der Pfähler waren Vampire. Zudem waren sie auch nicht Fürsten von Siebenbürgen – dieses gehörte damals zu Ungarn -, sondern Wojewoden der Walchei. Der Name „Dracula“ ist erst durch Bram Stokers gleichnamigen Roman (1897) und dessen Verfilmung und dramaturgische Verarbeitung zum Synonym für Vampir geworden. Hinzu kommt noch, dass Stokers Dracula ein szeklerischer Graf ist, der ein Schloss in den Ostkarpaten besitzt. Damit fallen alle Bezüge zu Schäßburg weg. Akzeptiert man jedoch Schäßburg als Dracula-Stätte, so hat Nürnberg zumindest einen ebenbürtigen Anspruch darauf. Besagter Vlad Dracul verbrachte nämlich 1431 nachweislich mehrere Monate in Nürnberg und wurde hier von Kaiser Sigismund von Luxemburg, der auch König von Ungarn war, in den von ihm gegründeten Drachenorden aufgenommen. Dieser Orden war zum Kampf gegen die Türken gegründet worden. Der ungarische König unterstützte Vlad beim Kampf für den Thron der Walachei, weil er dadurch einen Bündnispartner gegen das osmanische Reich gewinnen wollte. „Vlad der Drache“ wurde zu „Vlad Dracul“ verballhornt und dadurch das Geschlecht der Draculas oder Draculeas gegründet. Nach neueren Forschungen eines Vampirexperten soll Vlad Tepes in Nürnberg geboren sein. Unserer Meinung nach ist er weder in Schäßburg noch in Nürnberg, sondern sonstwo einige Jahre früher geboren, denn hätte er 1431 das Licht der Welt erblickt, wäre er im Jahre 1448 erst 17 Jahre alt gewesen und schwerlich Fürst werden können.

Gegenüber Schäßburg hat Nürnberg noch ein Atout in Sachen Dracula. Hier wurde nämlich 1488 die erste Schrift über die Greueltaten des blutrünstigen, walachischen Wüterichs „Dracole waida“, wie Vlad Tepes genannt wurde, veröffentlicht. Nürnberger Buchdrucker machten mit der Verbreitung dieser Greuelgeschichten, die anekdotisch ausgeschmückt wurden, ein gutes Geschäft. 1488 erschien ein zweiter Druck und je einer in den Jahren 1499 und 1521.

Es kommt noch etwas hinzu. Bram Stoker war nie in Siebenbürgen, dafür nachweislich zweimal in Nürnberg, 1885 und 1893. Dabei interessierte ihn besonders das kriminalhistorische Museum mit Folterkammer, das im „Fünfeckigen Turm“ untergebracht war. Hier wurde auch die berüchtigte Eiserne Jungfrau aufbewahrt, um die sich die wildesten Geschichten als männermordende Furie rankten. Es handelte sich bei dem ausgestellten Stück um einen Mantel aus Eisen, der als Folterinstrument konzipiert, aber wohl niemals gebraucht worden sein dürfte. Die Eiserne Jungfrau galt als Touristenattraktion und hat Stoker zu der Gruselgeschichte „The Squaw“ inspiriert, deren Handlung in Nürnberg spielt, in der eine mysteriöse Katze und die genannte Jungfrau auftreten. Die Erzählung gehört zu den wichtigsten Vorarbeiten des Dracula-Romans.

Ich bin nun keineswegs dafür, dem Dracula-Spuk in Nürnberg eine Wallfahrtsstätte zu bereiten. Es gibt leider schon solche in Deutschland. Ich wollte durch meine Ausführungen bloß die Hoffnung sensationlustiger Touristen und Vampir-Fans auf Begegnungen mit Dracula-Spuren in Schäßburg und auch sonst in Siebenbürgen ad absurdum führen und Reisunternehmen zu verantwortungsvoller Werbung raten. Schäßburg ist nämlich in demselben Maße wie Nürnberg Dracula-Stätte oder auch nicht. Wenn man eine solche aber unbedingt haben möchte, warum in die Ferne schweifen?

Michael Kroner


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 30. April 2003, Seite 5)

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