4. Mai 2001

Frauen, die sich auf neue Weise etablieren

Die Gottesdienste des Weltgebetstages werden im März 2002 auf dem gesamten Globus nach einer von Frauen aller Konfessionen aus Rumänien - unter maßgeblicher Beteiligung von der Evangelischen Kirche A.B. nahe stehenden Personen - entwickelten Liturgie stattfinden. Im Vorfeld dieses Ereignisses ist ein lesenswertes Buch erschienen: Frauen in Rumänien. Lebensberichte zur Lage der Frauen in Beruf, Familie, Gesellschaft, Kirche. Herausgegeben von Hannelore Baier und Cornelia Schlarb, hora Verlag, Hermannstadt 2000, 193 Seiten, ISBN 973-99187-9-4. In Deutschland zu beziehen zum Preis von 9,80 DM, zuzüglich Versandkosten, beim Deutschen Weltgebetstagskomitee, Postfach 12 40, 90544 Stein, Telefon: (09 11) 68 06-156, Fax: (09 11) 68 06-177.
Bis zu ihrer Pensionierung mit 58 Jahren kannte Smaranda Neagu buchstäblich nur die Arbeit für Beruf und Familie. Sie pflegte ihren kranken Mann bis zu seinem Tod, und danach sah sie sich gezwungen - eine Rückkehr in ihren Beruf als Lehrerin in Hermannstadt war nicht mehr möglich -, sich und ihre beiden halbwüchsigen Söhne mit dem Verkauf von Gartengemüse und Handarbeiten durchzubringen. 1994 fuhr sie dann mit einer Gruppe Frauen zu einer Frauentagung nach Holland, und dort lernte sie etwas ganz Neues kennen: Dass es Frauen in ihrem Alter gibt, die etwas für sich selbst tun und Spaß am Leben haben wollen. "Wir diskutierten, nahmen uns gegenseitig ernst und wahr als Gesprächspartnerinnen, als Personen, die etwas zu sagen haben. Und nicht, wie ich es gewohnt war, nur als dienstbare Geister, die den Alltag bewältigen. Wir tanzten auch miteinander und hatten viel Spaß... Als wir wieder zu Hause waren und ich mich in meiner alten Küche wiederfand, da dachte ich: Nein, das machst du jetzt nicht mehr mit! Da musst du hinaus!" Frau Neagu entschloss sich, eine Frauengruppe zu gründen, in der man sich über selbst gewählte Themen informieren, diskutieren, zusammen feiern - und manchmal auch andern helfen kann. "Wir tratschen und jammern nicht, wenn wir zusammenkommen. Auch die vielen Alterskrankheiten kann man ja sachlich besprechen, indem man zum Beispiel eine Ärztin einlädt. Und wenn wir den Schmutz auf unseren Straßen unerträglich finden, dann laden wir eben eine Stadträtin ein, oder wir organisieren einen Kehrdienst." - Der "Clubul speranta" ist bis heute eine bunt gemischte Gemeinschaft von Frauen jeden Alters und verschiedener Muttersprachen geblieben, der sich dem Frauenforum der Evangelischen Akademie Siebenbürgen zugehörig fühlt und auch den Weltgebetstag gemeinsam feiert.
Der Weltgebetstag der Frauen, genauer gesagt der Beschluss, die Liturgie für den Weltgebetstag 2002 von Frauen in Rumänien gestalten zu lassen, ist auch der Anlass für Hannelore Baier (Historikerin) und Cornelia Schlarb (Theologin) gewesen, ein Buch mit Lebensberichten von Frauen aus Rumänien herauszugeben. Intention dabei war, Frauen aus allen Altersstufen, aus verschiedenen Konfessionen, Ethnien, Berufen und sozialen Schichten zu interviewen, um ein möglichst repräsentatives Bild rumänischer (Alltags-)Geschichte aus dem Blickwinkel der Frauen zu entwerfen. Von 16 Autorinnen, überwiegend aus dem Umfeld der evangelischen Kirche und der Weltgebetstagsarbeit in Siebenbürgen verfasst, sind so die Portraits von 25 Frauen entstanden. Die meisten dieser Frauen stehen einer Glaubensgemeinschaft nahe, leben in Siebenbürgen, einzelne stammen aus der Maramuresch, dem Banat und der Moldau. Leider gar keine aus der Walachei.
Was die meisten dieser 25 Frauen verbindet, ist vor allem ihre Toleranz und ihr Altruismus. Fast beschwörend wirkt der in beinahe jedem Bericht auftauchende Wunsch nach mehr Toleranz im Zusammenleben der verschiedenen Völker und Konfessionen. Viele tun auch etwas dafür, sei es einfach dadurch, dass sie eine "Mischehe" eingegangen sind, sei es durch ehrenamtliches Engagement. Noch mehr Frauen engagieren sich für Bedürftige - als Pfarrerin, Pfarrfrau, Lehrerin oder eben in der Freizeit. Im Bericht über die 39-jährige Sozialassistentin Mihaela Cornila heißt es unmissverständlich: "Trotzdem ist es wichtig, sie vorzustellen, weil sie eine rühmliche Ausnahme unter den Frauen ihrer Generation ist", und auch an anderer Stelle wird angedeutet, dass es in Rumänien um den Respekt vor dem Mitmenschen nicht zum Besten steht. Angesichts eines Durchschnittsgehalts von 200 DM im Monat ist das auch nicht weiter verwunderlich. Um so notwendiger sind das Mitgefühl und der Einsatz der Frauen für diejenigen, denen es (noch) schlechter geht. Allerdings sind es fast nur die Frauen, die sich um Kinder, Kranke, Alte und Arme kümmern, und dieser Aspekt wird nur von zwei oder drei Frauen deutlich kritisiert: "Die rumänische Mentalität ist stark orientalisch beeinflusst. Von einer Gleichberechtigung der Frau kann keine Rede sein." (A. Dumitrescu). "Viele Frauen... müssen immer noch viele Jahre ihres Lebens... ausschließlich der Familie widmen, weil die soziale Lage und der Lebensstandard eine noch sehr patriarchale Lebensweise begünstigen und die Frauen... auf allen Ebenen die Bürden der Gesellschaft tragen." (S. Enache.) Zwar haben fast alle der vorgestellten Frauen einen oder sogar zwei Berufe erlernt, es gibt aber noch immer zu viele Frauen in Rumänien, die keine Ausbildung haben und dann oft genug dem Alkoholismus und der Gewalttätigkeit ihrer Ehemänner ausgesetzt sind. Immerhin nehmen auch in Rumänien offenbar immer mehr Frauen den Kampf um Leitungspositionen in Wirtschaft und Politik auf oder setzen sich in einem "Männerberuf" durch, wie das Beispiel der jungen Polizistin Lenuta Danciu zeigt.
Was an den Interviews und Berichten überaus positiv auffällt, ist die selbstverständliche Achtung, die spürbar allen Frauen entgegengebracht wird, seien sie nun griechisch-katholisch oder orthodox getauft, seien sie evangelische Sächsin, Roma-Frau oder Jüdin. Bei den meisten Berichten springt der Funke über, viele sind auch stilistisch gelungen, einige sind es nicht.
Was an dem Konzept störend wirkt, ist die Überbetonung von Frauen mit Abitur und Studium. Es ist zwar verständlich, dass man den Frauen in Rumänien Visionen und Mut geben will, und natürlich bekommt man um so mehr gesellschaftlich interessante Informationen je höher der Bildungsgrad und je größer der Wirkungskreis einer Frau ist. Aber wenn nur vier Frauen ohne Abitur vorgestellt werden und keine einzige Bäuerin, keine einzige "echte" Arbeiterin – was steckt da dahinter? Eine unbewusste kleine Rache am ehemaligen Arbeiter-und-Bauern-Staat? Gar uneingestandene Überheblichkeit der Autorinnen aus dem Lehrer-und-Pfarrer-Milieu?
Wie dem auch sei, das Buch ist lesenswert, einfach weil die Lebensgeschichten der Frauen so interessant sind. Man erfährt von der rumänischen Lehrerin aus der Maramuresch, die die traditionelle Webkunst in ihrer Umgebung neu belebt hat, man erfährt von der Katholikin, die sich seit 1990 für die Menschenrechte engagiert und Botschafterin Rumäniens in Helsinki wurde, man liest über die Jüdin, die mit 70 Jahren noch wissenschaftlich tätig ist, und über die Lehrerin, die sich für ihre misshandelten Schulkinder einsetzt. Einfach erfreulich, diese Frauen kennen zu lernen.

Jutta Fabritius

Frauen in Rumänien - Lebensber
Hannelore Baier und Cornelia Schlarb
Frauen in Rumänien - Lebensberichte ...

hora Verlag
Taschenbuch

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