5. Oktober 2003

Faktenreiche Zusammenschau

Karl Teutsch liefert eine aufschlussreiche Geschichte des Musiklebens in Siebenbürgen. Rezension des Buches von Karl Teutsch "Musikausübung und Musikleben bei den Siebenbürger Sachsen. Interpretation, Rezeption, Interpreten". In: "Beiträge zur Musikgeschichte der Siebenbürger Sachsen", Band III. Herausgegeben von Karl Teutsch. Gehann-Musik-Verlag, Kludenbach 2002, 360 Seiten, 30 Euro, ISBN 3-927293-22-9.
Seit einigen Wochen ist ein Buch auf dem Markt, das mit Sicherheit nicht nur bei ausgewiesenen Musikologen oder Transilvanisten, sondern zweifellos auch bei allgemein an Siebenbürgen interessierten Lesern auf Nachfrage stoßen sollte: Es handelt sich um eine Geschichte des Musiklebens bei den Siebenbürger Sachsen, verfasst von dem aus Schäßburg stammenden, heute unweit von Stuttgart lebenden Musikhistoriker Karl Teutsch, der sich hier in Deutschland mit großem Eifer und nicht geringem Erfolg um das Bekanntwerden und die Pflege der Musiküberlieferung seines Herkunftslandes verdient gemacht hat: Im Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde leitet und betreut er ehrenamtlich die Musiksektion und das Siebenbürgische Musikarchiv, war wiederholt Initiator und Mitorganisator von musikalischen Veranstaltungen oder Aufführungen mit siebenbürgischer Musik, ist Verfasser zahlreicher Presseveröffentlichungen zur Geschichte der siebenbürgischen Tonkunst und seit 1999 Herausgeber der Buchreihe "Beiträge zur Musikgeschichte der Siebenbürger Sachsen" im Gehann-Musik-Verlag.

Nachdem der erste Band dieser Reihe größere Einzelstudien über Valentin Greff Bakfark sowie die beiden Sartorius, Vater und Sohn, enthielt und im zweiten kleinere Aufsätze über siebenbürgische Komponisten von Ostermayer bis Rudolf Wagner-Régeny, jeweils von unterschiedlichen Autoren, zusammengeführt worden waren, hat Teutsch nun im dritten Band auf insgesamt 360 Seiten einen eigenen Text vorgelegt: "Musikausübung und Musikleben bei den Siebenbürger Sachsen" ist er betitelt, nennt im Untertitel mit "Interpretation, Rezeption, Interpreten" die Bereiche, die der Darstellung unterworfen werden, und definiert sich in einer zweiten Unterzeile bescheiden als "Überblick".

Dabei ist er weit mehr als nur ein solcher, denn praktisch liefert Teutsch hier eine umfassende und zugleich detaillierte Geschichte musikalischer Betätigungen bei den Siebenbürger Sachsen, und zwar von ihren Anfängen aus der Zeit der Ansiedlung bis hinein in unsere Gegenwart. Dem Anspruch, den der Verfasser an sich und seinen Text in dessen "Einleitung" stellt, nämlich "die Entwicklung der Musikausübung und des Musiklebens in dem von Deutschen, den Siebenbürger Sachsen, bewohnt gewesenen Teil Siebenbürgens" nachzuzeichnen, deren "musikalische Verbindungen und Beziehungen zum binnendeutschen Gebiet" sowie "zu den benachbarten Nationen und mitwohnenden Ethnien" aufzuzeigen und dazu noch die Musikpflege bei den "ausgewanderten, nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland verbliebenen, nach Deutschland oder Österreich geflüchteten und ausgesiedelten oder in die USA und nach Kanada emigrierten Siebenbürgern" zu dokumentieren, diesem Anspruch wird das Buch in einer Weise gerecht, die vorbehaltlose Anerkennung abfordert. Zudem ist es die erste Zusammenschau dieser Art in der einschlägigen Literatur.

Teutsch hat sich bei ihrer Abfassung nicht nur auf das bisher existierende fachspezifische Schrifttum und auf mehr oder weniger bekannte Pressepublikationen, sondern auch auf eigene archivalische Recherchen gestützt und diese Quellen allesamt in einer zusammenhängenden Darstellung vereinigt, die sich bei aller Fülle an Fakten und Namen über weite Strecken hin leicht und flüssig liest. Unterstellt wurde dabei die Nennung von Details vorrangig der Maßgabe, inwieweit die erinnerten "musikalischen Verhaltensweisen, Praktiken und Einrichtungen", obzwar "in den musikalischen Entwicklungsprozess Europas eingebunden", sich für den transilvanischen Kulturkreis als jeweils spezifisch siebenbürgische "Eigenheiten" ausmachen lassen.

Die inhaltliche Gliederung des Textes kann hier nur skizzenhaft wiedergegeben werden: Das Buch handelt zunächst von der siebenbürgischer Kirchenmusik und verfolgt deren Entwicklung von den vorreformatorischen Anfängen über die Reformationszeit bis hin zur kirchlichen Musikpflege durch die Kantoren und Kirchenchöre der letzten zwei Jahrhunderte. Nachgezeichnet wird sodann, zum Teil nach größeren Ortschaften Siebenbürgens getrennt, die Geschichte des außerkirchlichen städtischen und danach des dörflichen Musizierens in Gesang- und Musikvereinen sowie in einschlägigen ländlichen Vereinigungen. Hinweise finden sich auf die Jugendmusikbewegung, dazu Detailaussagen über das musikalische Miteinander der unterschiedlichen siebenbürgischen Völkerschaften und schließlich eine Darstellung des Chorwesens nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein nächster großer Abschnitt ist der Instrumentalmusik, ebenfalls von ihren Anfängen bis in unsere Zeit, gewidmet: den frühen Spielleuten, Lautenisten und Turnern, den späteren Stadtkapellen, Vereinsorchestern und Opernensembles, ihren namhaftesten Dirigenten und dazu den aus Siebenbürgen stammenden Instrumental- und Vokalsolisten von internationalem Rang. Die Geschichte der siebenbürgischen Schulmusik lässt sich nachlesen und sogar die der Blaskapellen mit ihren Kapellmeistern sowie die der Unterhaltungsmusik fehlt nicht. Die Ausführungen des Schlusskapitels gelten der Volksmusik.

Knappe biographische Angaben zu Kantoren, Organisten, Chor- und Orchesterleitern, zu Instrumentalisten und Sängern, Kapellmeistern, zu Anregern und Förderern des Musiklebens bereichern den Text, auch solche zu Komponisten, insofern sie der Musikpflege in Siebenbürgen gedient haben. Denn Teutsch schreibt eine Geschichte nicht der siebenbürgischen Musik, sondern der siebenbürgischen Musikausübung und verzichtet demgemäß auf monographische Darstellungen musikalischen Schöpfertums und auf Werkanalysen jeglicher Art. Ihm geht es um die Fakten des siebenbürgischen Musikbetriebs, der übrigens oft von beachtlichem Niveau war und in vielen Fällen, wie im Buch wiederholt nachgewiesen, sehr prompt die jeweils neuesten Werke und Errungenschaften der Musikentwicklung aus Mittel- und Westeuropa rezipiert hat.

Das alles macht dieses Buch lesenswert nicht bloß für den Fachmann, sondern auf jeden Fall auch für den siebenbürgischen Normalverbraucher von historischer Literatur, der an keiner Stelle mit musiktheoretischen Auslassungen überfordert, dafür aber mit Fakten bedient wird, die nicht selten Ausschnitte seines eigensten Lebenskreises berühren. Und auch dem Nichtsiebenbürger sei es anempfohlen: er findet darin Belege noch und noch für kulturelle und musikhistorische Leistungen, wie er sie von einer Provinz fernab im Südosten des Kontinents wohl kaum erwartet hat.

Hannes Schuster


Das Buch ist zum Preis von 30 Euro erhältlich beim Gehann-Musik-Verlag in 55481 Kludenbach, Lamperter Flur 2, Telefon: (0 67 63) 21 95, Telefax: (0 67 63) 21 75, E-Mail: Gehann-musik@freenet.de.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 15 vom 30. September 2003, Seite 8)

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