11. Mai 2001

Günter Verheugen mahnt Fortsetzung der Reformen in Bukarest an

Der Hauptredner beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl, dem für die EU-Erweiterung zuständigen Kommissar Günter Verheugen, wurden Ende April die Würden eines hohen Staatsgastes in Bukarest zuteil. Der SPD-Politiker wurde sowohl von Präsident Ion Iliescu als auch Premierminister Adrian Nastase empfangen, zudem sprach er vor den beiden Kammern des Parlaments, beteiligte sich an einer Regierungssitzung und führte Gespräche mit Außenminister Mircea Geoana und der Ministerin für Europäische Integration, Hildegard Puwak. Die neue Regierung in Bukarest machte einen insgesamt positiven Eindruck auf den EU-Kommissar. Allerdings mahnte er die Fortsetzung der wirtschaftlichen und sozialen Reformen sowie die Unabhängigkeit der Justiz an, die - Berichten rumänischer Medien zufolge - durch eine groß angelegte politische Säuberungsaktion der PDSR in Frage gestellt wird.
Aus Sicht Verheugens war es eine "heikle diplomatische Mission", so die Süddeutsche Zeitung: "Wie geht man mit dem Sorgenkind unter den Beitrittskandidaten um, das bisher nur schlechte Noten erhalten hat, aber dennoch motiviert werden soll?" Das rhetorische Repertoire "ermahnen, kritisieren, loben und ermuntern" beherrsche der 57-jährige perfekt. Die Karriere des Außenpolitikers begann in der FDP. 1982, als die Liberalen mit Helmut Kohls CDU gemeinsame Sache machten, wechselte er zur SPD. Zuletzt war Verheugen Staatsminister im Auswärtigen Amt, bevor er 1999 EU-Kommissar in Brüssel wurde. An 3. Juni spricht Verheugen als Hauptredner beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl.
In seiner von Realismus geprägten Ansprache vor den Parlamentariern in Bukarest versicherte Verheugen, dass dem EU-Beitritts Rumäniens nichts im Wege stehe. Der Zeitpunkt sei größtenteils von den konkreten Ergebnissen abhängig, die das Land erziele. „Es ist Rumänien, das nun beweisen muss, wie es den Beitrittsprozess zur EU beschleunigen will. Politische und ökonomische Reformen sind notwendig“, rief der SPD-Politiker den Abgeordneten und Senatoren zu. Der gute Ansatz in der Privatisierung müsse ebenso wie die Reformen in der öffentlichen Verwaltung fortgesetzt werden. Dem Parlament riet er, den Kontakt zur Bevölkerung, in der der Anteil der EU-Enthusiasten so hoch wie in keinem anderen Beitrittsland ist, aufrecht zu erhalten. Das Parlament sollte dieses politische Kapital nutzen, um die EU-Gesetzgebung so schnell wie möglich zu assimilieren, sagte Verheugen.
Schwierigkeiten bereiten Rumänien vor allem die wirtschaftlichen und sozialen Beitrittskriterien, die beim EU-Gipfel in Kopenhagen festgelegt wurden. Der Aufschwung, der im Jahr 2000 nach einer dreijährigen Rezession verzeichnet wurde, bilde einen guten Ausgangspunkt. Verheugen mahnte das SAPARD-Programm zur Unterstützung der Landwirtschaft, das von der früheren Regierung nicht angegangen wurde, möglichst bald umzusetzten. Für das Programm stehen jährlich 150 Millionen Euro bereit. Sorge bereitet der Europäische Union jedoch die Unfähigkeit Rumäniens, die bereit gestellten Fördermittel mit effektiven Projekten auszuschöpfen, was politische Beobachter auf die mangelnde Erfahrung und die Korruption in der Verwaltung zurückführen. Die EU will Rumänien großzügig unterstützen: Zwischen 2000 und 2006 sind jedes Jahr 630 Millionen Euro Wirtschaftshilfe eingeplant, um den Beitrittsprozess des Karpatenlandes zu beschleunigen. Beim EU-Gipfel in Helsinki im Dezember 1999 war Rumänien offiziell zu Beitrittsverhandlungen eingeladen worden. Eine Aufnahme in der EU werde mindestens noch acht Jahre dauern, heißt es in Brüssel. Skeptiker gehen, so die Süddeutsche Zeitung, sogar von 15 bis 20 Jahren aus.
Ein großes Problem ergibt sich seit dem Antritt der neuen Regierung infolge der so genannten "pedeserizare", wobei die Regierungspartei in einer groß angelegten Aktion Führungspositionen auf allen Ebenen der Verwaltung und des öffentlichen Lebens mit ihren Parteigängern besetzt. Verheugen mahnte bei seinem Besuch die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung im Staat an, die als wichtige Beitrittskriterien gelten. Bei gegenteiliger Handlung könnten erhebliche Fördermittel der EU eingefroren werden, befürchtet die rumänische Tageszeitung Adevarul. Justizministerin Rodica Stanoiu leitete zahlreiche Disziplinarverfahren und strafrechtliche Ermittlungen gegen Richter ein, ebenso gibt es eindeutige Anzeichen der Einmischung der Politik in die Justiz. Die Situation in der Partei der Sozialen Demokratie (PDSR) gerate für den Parteivorsitzenden und Premierminister Adrian Nastase allmählich außer Kontrolle: eine Fraktion von Geschäftsleuten, die sich noch in der früheren Regierungszeit der PDSR bereichert haben, stehe einem moderaten Flügel gegenüber, so Adevarul.
Des Weiteren riet Verheugen den Verantwortlichen in Bukarest, eine unabhängige Verwaltung von hohem Niveau zu schaffen. Eine gute Verwaltung und eine effektive Korruptionsbekämpfung seien der Schlüssel für die wirtschaftlichen Entwicklung des Landes, betonte Verheugen. Er erinnerte an ältere Auflagen der EU im sozialen Bereich: die Frage der Kinderheime und jene der Integration der Roma zufriedenstellend zu lösen. Die Hoffnungen der Rumänen, bald visafrei durch den Schengener Raum reisen zu können, musste der Kommissar etwas dämpfen: Zunächst müssten die Grenzkontrollen Rumäniens zur Ukraine und Republik Moldau funktionieren. Diese Länder gelten als Einfallstore für kriminelle Schleuserbanden. Ein Bericht über die mögliche Aufhebung der Visumspflicht für rumänische Staatsangehörige wird im kommenden Monat veröffentlicht.
Verheugen besuchte abschließend Temeswar, das ein Beispiel von friedvollem Zusammenleben verschiedener Ethnien und Religionsgemeinschaften sei. Die Europäische Union hat bisher 200 Millionen Euro in diese Region investiert. Viele deutsche Unternehmen haben sich hier niedergelassen, weil bürokratische Hindernisse abgebaut wurden. In der Begastadt besuchte Verheugen die Firmen "Lisa Dräxlmaier" und "Continental". Verheugen lobte: "Ihr seid auf dem richtigen Weg."

Siegbert Bruss

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