19. November 2003

Zeitreise nach Siebenbürgen

Einige ihrer "Baaßner Geschichten" waren schon in der "Siebenbürgischen Zeitung" zu lesen, nun hat Christine Franck ein ganzes Buch aus ihren Erinnerungen gemacht. Was ursprünglich nur eine kleine Kindheitsgeschichte zum Abschied ihrer Schüler werden sollte, hat sich zu einer ereignisreichen Reise in die Vergangenheit entwickelt, einer Reise in die Kindheit und Jugend in Baaßen und Mediasch.
Mit viel Liebe zum Detail beschreibt die 1940 als Christine Kinn in Baaßen geborene Autorin das dörfliche Umfeld ihrer ersten Lebensjahre. Dank ihrer ausgeprägten Beobachtungsgabe ergibt sich ein buntes Kaleidoskop verschiedenster Ereignisse und Begebenheiten, die vor allem siebenbürgische Traditionen wieder aufleben lassen. Das Schweineschlachten und die Weinlese in den eigenen Weinbergen gehören ebenso dazu wie typische Osterbräuche und das Hanf-Rösten in der Kokel. In die Beschreibung der verschiedenen Feste und Alltäglichkeiten flicht Franck geschickt anschauliche Passagen über traditionelles Essen und siebenbürgische Trachten ein; Hanklich und Krapfen nehmen hier so selbstverständlich ihren Platz ein wie Kirchenpelz und Borten. In diese Wiederbelebung siebenbürgischer Kultur reihen sich auch Geschichten ein, die im Baaßner Dialekt geschrieben sind. Für Ungeübte ist dies eine Herausforderung, die allerdings immer mit der entsprechenden wörtlichen Übersetzung belohnt wird.

Ebenso liebevoll und detailliert schildert die Autorin die kleinen Eigenheiten ihrer Verwandten und Schulfreunde, die in ihrem Buch tragende Rollen einnehmen. Da ist zum Beispiel die kleine Gabel des Großvaters, sein Talisman seit dem Krieg, in dem sie ihn vom Einrücken bis zur Heimkehr begleitet hat. Ohne diese Gabel rührt er kein Essen an, und ihr zeitweiliges Verschwinden sorgt für große Aufregung, da der Großvater durch seine sture Verweigerung der Nahrungsaufnahme fast zu verhungern droht.

Viele weitere Themen finden Eingang in Francks Erinnerungen: Vor- und Nachteile der Pionierzeit, die scheinbare Unvereinbarkeit von Religion und Kommunismus während des Konfirmandenunterrichts, die überall stattfindenden Enteignungen, die schulische Situation und schließlich auch gesellschaftliche Strukturen. Immer wieder werden die Unterschiede zwischen Stadt- und Dorfbewohnern, zwischen Kurgästen und Einheimischen, aber auch zwischen Bäuerin und Pfarrer oder Arzt deutlich. Bewusst wird dies vor allem in den Geschichten, die in Mediasch spielen, wo die spätere Erdkunde- und Biologielehrerin Christine Franck das Gymnasium besuchte.

Fixpunkt in fast allen Geschichten und wohl auch in der Kinder- und Jugendzeit der Autorin ist die Großmutter. Sie erscheint als wichtigste Bezugsperson und besonnene Beraterin in allen Lebenslagen, und ihr Satz "Nur was die Kinder im Kopf haben, kann man ihnen nicht nehmen" mag den liebevoll geschriebenen Erinnerungen und vielleicht auch dem Leben von Christine Franck als Leitspruch gedient haben. Ihre "Baaßner Geschichten" sind ein ebenso unterhaltsames wie interessantes Buch, das man mühelos an einem Nachmittag lesen kann, um sich dann zu wundern, dass man schon auf der letzten Seite angelangt ist.

Doris Roth



Christine Franck: "Baaßner Geschichten", Verlag Kastner, Wolnzach 2003, 228 Seiten, 14,50 Euro, ISBN 3-936154-93-7.
Baaßner Geschichten
Christine Franck
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