15. Mai 2000

Anerkennung von Schulzeugnissen

Wie werden Schulzeugnisse aus Rumänien anerkannt? Waltraut Wertheimer, Referatsleiterin in der Zeugnisanerkennungsstelle des Freistaates Bayern, zeigt im folgenden Artikel auf, was Antragsteller dabei beachten sollten. Wichtig ist das Verfahren nicht nur für junge Leute in Ausbildung, sondern auch bei der Rentenberechnung.
Immer wieder gehen bei der Siebenbürgischen Zeitung Anfragen zur Praxis der Zeugnisanerkennung bei Spätaussiedlern aus Rumänien ein. Diese Praxis hat sich seit Anfang 1995 in Teilen geändert und ist in ihren Auswirkungen wichtig nicht nur für junge Menschen, die hierzulande ihren im Herkunftsland begonnenen Bildungsweg fortsetzen wollen, sondern auch für die Rentenberechnung, wo der erworbene Bildungsgrad des Rentenantragstellers eine Rolle spielt. Daher hat sich die Redaktion mit Fragen zur Anerkennungspraxis an eine Fachfrau gewandt: Die Autorin des hier abgedruckten Textes, Waltraut Wertheimer, die in Bukarest geboren wurde, in Kronstadt die Honterusschule besucht und in Jassy studiert hat, lebt seit 1970 in Deutschland und ist als Oberstudienrätin und Referatsleiterin in der Zeugnisanerkennungsstelle des Freistaates Bayern tätig. Die von der bayerischen Behörde praktizierte Anerkennung unterscheidet sich nur unwesentlich von der in den übrigen Bundesländern.

Rumänische Bildungsnachweise

Heute werden rumänische Buildungsnachweise, ganz gleich, ob die Antragsteller Spätaussiedler, rumänische oder deutsche Staatsbürger sind (ein Antrag kann auch per Post aus Rumänien gestellt werden), im Allgemeinen den entsprechenden hiesigen Schulabschlüssen gleichgestellt.
Das war nicht immer so: Bis Ende 1994 galten für die Anerkennung der Zeugnisse von Aussiedlern besondere Richtlinien, die in der Vereinbarung der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK = Kultusministerkonferenz) vom 17. 11.1977 zusammengefasst waren. Diese Richtlinien sahen u.a. Folgendes vor:
Das alte Abschlusszeugnis der achtjährigen Allgemeinschule (Certificat de absolvire a scolii generale) wurde als Hauaptschulabschluss anerkennt.
Alle Abschlusszeugnisse der Lyzeen, auch der alten zehn- bzw. elfjährigen Mittelschulen und der Fachlyzeen (Liceu industrial), wurden als allgemeine Fachhochschulreife anerkannt (Diploma scolii medii tehnice, Diploma de maturitate, Diploma de bacalaureat).
Hatte man nach dem Bakkalaureat noch mindestens drei Semester an einer Hochschule oder Universität studiert, wurde einem die allgemeine Hochschulreife (das deutsche Abitur) zuerkannt.
Diese Ausnahmebestimmungen, die nur für die rumänischen Bildungsnachweise von Aussiedlern galten, nicht jedoch für andere Personengruppen, wurden durch die Vereinbarung der KMK vom 14.04.1994 fast alle aufgehoben. In Bayern trat diese Vereinbarung mit der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministerinms für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 20.12.1994 in Kraft. Als Stichtag wurde der 1. Januar 1995 festgelegt, das heißt, für Anträge, die vor diesem Datum gestellt wurden, gilt die alte Regelung, für Anträge, die nach dem 01.01.1995 gestellt wurden, gelten die neuen Bestimmungen. (Der Stichtag bezieht sich nicht auf das Datum des Erwerbs des Zeugnisses und auch nicht auf den Tag der Einreise.)

Die aktuellen Bewertungskriterien

Das Abschlusszeugnis der achtklassigen Pflichtschule (Certificat de absolvire a invatamantului de 8 ani bzw. a ciclului gimnazial) hat im deutschen Schulsystem keine Entsprechung; daher gibt es in der Regel dafür auch keine Anerkennung.
Für Spätaussiedler gilt hier jedoch immer noch die alte Ausnahmeregelung: Wenn das Anerkennungsverfahren als Spätaussiedler vollständig durchlaufen ist und die Spätaussiedlerbescheinigung vorgelegt werden kann, wird dieses Zeugnis einem erfolgreichen Hauptschulabschluss gleichgestellt. Diese Vergünstigung, die heute viel öfter als früher in Anspruch genommen wird, ist besonders wichtig, da in Rumänien nach der Wende die zehnjährige Schulpflicht wieder auf acht Jahre reduziert wurde und viele Jugendliche nach der 8. Klasse die allgemeinbildende Schule verlassen. Diese jungen Leute haben in Deutschland mit einem anerkannten Hauptschulabschluss auf alle Fälle bessere Chancen, einen guten Ausbildungsplatz zu finden.
Bei allen anderen Jugendlichen, die nicht als Spätaussiedler anerkannt sind, kann erst das Jahreszeugnis der 9. Klasse des Lyzeums als Hauptschulabschluss anerkannt werden. Ebenfalls (nur) als Hauptschulabschluss anerkannt werden die Abschlussdiplome der Lehrlings- und Berufsschulen (Diploma de absolvire a scolii profesionale, Diploma de absolvire a invatamantului complementar oder de ucenici).
Das Zeugnis der 10. Klasse des Lyzeums entspricht in der Regel einem mittleren Schulabschluss, umgangssprachlich als „Mittlere Reife“ bezeichnet. Diese Bewertung erhalten auch die Abschlusszeugnisse der früheren zehnjährigen Pflichtschule (Diploma de absolvire a invatamantului obligatoriu de 10 ani, Certificat der absolvire a invatamantului de 10 ani). Wer ein Zeugnis der 11. oder 12. Klasse (ohne Bakkalaureatsprüfung) vorlegt, erhält ebenfalls nur die „Mittlere Reife“ (z. B. Certificat de absolvire a liceului).
Jugendliche Aussiedler, die in Rumänien das Lyzeum besucht haben und nach Abschluss der 11. Klasse ausgereist sind, können hier einen speziellen zweijährigen Abiturkurs, den sogenannten „Sonderlehrgang“ besuchen und mit der Abschlussprüfung das deutsche Abitur erwerben. Das Gleiche gilt für Jugendliche, die in Rumänien ein Fachlyzeum (Liceu industrial, Liceu economic, Liceu sanitar etc.) abgeschlossen haben: auch sie können über den Sonderlehrgang die allgemeine Hochschulreife erwerben.

Möglichkeiten des Hochschulzugangs

Der Hochschulzugang für Bewerber mit ausländischen Bildungsnachweisen wird zentral über die KMK geregelt. Die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZaB), eine Behörde des KMK, erarbeitet zusammen mit den Ländern die jeweils gültigen Bewertungskriterien. Die konkrete Anerkennung eines Reifezeugnisses erfolgt jedoch durch eine der Zeugnisanerkennungsstellen der 16 Bundesländer, wobei es vorkommen kann, dass bei der Umsetzung in die Praxis die „Bewertungsvorschläge“ der ZaB etwas unterschiedlich interpretiert werden.
Die KMK hat am 12. September 1997 den Beschluss gefasst, den Absolventen einer allgemeinbildenden Schule aus Rumänien (Liceu teoretic) den direkten Hochschulzugang für alle Fächer zu eröffnen.
Dieser Beschluss gilt jedoch nur für Reifezeugnisse, die ab 1994 erworben wurden. Alle Reifezeugnisse bis 1993 werden lediglich als mittlerer Schulabschluss anerkannt. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Industrielyzeum oder ein theoretisches Lyzeum besucht wurde. Wer trotzdem studieren möchte, dem stehen folgende Möglichkeiten offen:
Den Nachweis einer bestandenen Hochschulaufnahmeprüfung an einer staatlichen rumänischen Hochschule (Examen de admitere la facultate) mit genauen Angaben über die Prüfungsfächer und die erzielten Noten zu erbringen; er eröffnet den fachgebundenen Hochschulzugang (Fachhochschule).
Den Nachweis eines erfolgreich abgeschlossenen ersten Studienjahres (promovat anul I) an einer privaten, staatlich genehmigten Hochschule (cu autorizatie de functionare provizorie) zu erbringen; er eröffnet ebenfalls den fachgebundenen Hochschulzugang.
Der Besuch des einjährigen Studienkollegs, das mit der Feststellungsprüfung abgeschlossen wird. Es kann jede gewünschte Fachrichtung gewählt werden, d.h. auch mit dem Bakkalaureatsdiplom eines landwirtschaftlichen Industrielyzeums (Liceu agroindustrial) kann man über den Besuch des Studienkollegs beispielsweise Betriebswirtschaftslehre oder Germanistik studieren.
Bei Spätaussiedlern der Besuch des Sonderlehrgangs.
Zu den allgemeinbildenden Lyzeen, deren Reifezeugnis/Bakkalaureatsdiplom seit dem Jahre 1994 (d.h. ab der Bakkalaureatsprüfung im Juni 1994) den allgemeinen Hochschulzugang ermöglichen, gehören:
das Theoretische Lyzeum, humanistischer Zweig (profil umanist), dazu zählen auch die Musik- und Kunstlyzeen;
das Theoretische Lyzeum, naturwissenschaftlicher Zweig (profil real), einschließlich der Lyzeen für Informatik;
die Lehrerbildungsanstalt (Scoala normala, Colegiul pedagogic).
Schwierigkeiten treten auf, wenn – besonders in kleineren Ortschaften – das dortige theoretische Lyzeum in einen Industrieschulverband (Grup scilar industrial) integriert war. Wird der besuchte Schulzweig nicht ausdrücklich auf dem Reifezeugnis vermerkt (z.B. Liceul teoretic, profil real, matematica-fizica, la Grupul scolar industrial...), kann das Zeugnis nur als mittlerer Schulabschluss anerkannt werden.
Für Reifezeugnisse, die ab dem Jahre 1994 an einem Fachlyzeum (z.B. Liceu sanitar oder Liceu economic) erworben wurden, gilt die gleiche Regelung wie bis 1993: sie werden als mittlerer Schulabschluss anerkannt und berechtigen auch zum Besuch des Studienkollegs bzw. des Sonderlehrgangs.
Sobald die neue rumänische Schulreform, die in diesem Schuljahr begonnen hat, die Bakkalaureatsprüfung erreicht, werden voraussichtlich bei der Anerkennung der neuen Reifezeugnisse Änderungen und Anpassungen vorgenommen.

Waltraut Wertheimer

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