14. Juni 2001

50 Jahre Heimattage: Feier guten Miteinanders

Zu einer Feier des guten Miteinanders gestaltete sich am Pfingstsamstag in der Dinkelsbühler St. Paulskirche die Festveranstaltung, die dem Rückblick auf das halbe Jahrhundert gewidmet war, seitdem die nach Deutschland ausgesiedelten Siebenbürger Sachsen zu ihren Heimattreffen in der ehemals Freien Reichsstadt zusammenkommen. Von Gisela Bornowski, der Seniorin des Pfarrkapitels Dinkelsbühl, eröffnet und musikalisch vom Dinkelsbühler Schleinkofer-Quartett, dem Posaunisten Karl Graef sowie der Pianistin Ursula Trede-Boettcher mit Werken von Benedetto Marcello, Friedebald Graefe, Haydn und Mozart in anspruchsvoller Weise untermalt, war die Feier mit ihren Festrednern, dem Dinkelsbühler Oberbürgermeister Otto Sparrer und dem landsmannschaftlichen Bundesvorsitzenden Volker E. Dürr, die eindeutige Bestätigung eines vor fünfzig Jahren gemeinsam eingeschlagenen Wegs.
Oberbürgermeister Otto Sparrer gestand, in den Rückblick auf die fünfzig Jahre, mische sich „Staunen und auch ein bisschen Stolz auf das Geleistete“, und erinnerte an das Jahr des Beginns: Am Anfang seien es das Bedürfnis nach einem ersten Zusammenführen der über das ganze Bundesgebiet verstreuten Siebenbürger Sachsen, nach Informationsaustausch und die dringend nötige Hilfe für die Landsleute gewesen, die das erste Heimattreffen veranlasst hätten. Dabei habe sich Dinkelsbühl – damals, in den schwierigen Nachkriegsjahren, noch keineswegs die inzwischen für den Ansturm von Touristen aus aller Welt perfekt eingerichtete Stadt – als offenherziger Gastgeber erwiesen: „Mit Schmunzeln“ lese man heute, so Sparrer, den dringenden Aufruf des damaligen Bürgermeisters Karl Ries an die Dinkelsbühlerinnen und Dinkelsbühler, „jede Übernachtungsmöglichkeit, jedes Bett, jede Matratze oder Schlafcouch“ den anreisenden Siebenbürgern zur Verfügung zu stellen, und tatsächlich kamen zu diesem ersten Treffen über 4000 Besucher, die alle untergebracht wurden.
Gerade auch hier, in der vormals Freien Reichsstadt in Franken, haben die Siebenbürger „das schier Unmögliche möglich gemacht: ihre eigene Identität wieder zu finden und zu bewahren, ihre Wurzeln zu erinnern und doch mit beiden Beinen fest im Hier und Jetzt verankert zu sein“. Hier sei um die Mitte der fünfziger Jahre im „Hoffeld“ die Siedlung der Siebenbürger entstanden, 1967 ihre Gedenkstätte errichtet worden, hier erklinge ihre „Heimatglocke“, hier sei „ein Zentrum siebenbürgisch-sächsischen Lebens in Deutschland entstanden“. Dabei sei es zu einem echten, lebendigen Miteinander gekommen: „Nicht nur zwischen den Spitzenvertretern waren die Beziehungen von Anfang an freundschaftlich, auch viele Einrichtungen entwickelten durch die gemeinsame Arbeit gute Beziehungen, und schließlich wählten zahlreiche Heimatortsgemeinschaften Dinkelsbühl zum Ort ihrer Treffen zwischen den Heimattagen.“
Ohne falsche Bescheidenheit durfte der Oberbürgermeister in Erinnerung rufen: „In Anerkennung dieser gefestigten Beziehungen und der Leistungen Dinkelsbühls bei der Integration der Neuankömmlinge wurde die Stadt im Jahre 1997 mit der Goldenen Plakette beim Bundeswettbewerb Vorbildliche Integration der Aussiedler ausgezeichnet.“ Die Bilanz sei durchaus positiv und verhelfe zu Hoffnungen: „Wenn wir zurückblicken auf die letzten 50 Jahre, auf die Wiederauferstehung Europas aus den Trümmern einer furchtbaren Katastrophe, auf das waffenstarrende Gegeneinander des Kalten Krieges, die vorsichtige Annäherung und die Entspannungspolitik und auf das Ende des Warschauer Paktes, wenn wir zurückblicken auf die erfolgreiche Integration der Vertriebenen und Aussiedler, wenn wir auf die ganz persönlichen Freundschaften blicken, die entstanden sind, dann muss es uns um die Zukunft nicht bang sein.“
Jetzt aber untätig zu werden im Angesicht des Erreichten, wäre das Falscheste, was man tun könne: „Wir sind aufgerufen, die Erfahrungen des Zusammenhalts und der Unterstützung weiter zu tragen, Partner zu sein für die Völker Europas. Der Kontinent muss für alle Heimat werden, die in Frieden und unter Beachtung der Menschenrechte und demokratischer Grundsätze unter das gemeinsam europäische Dach streben. Das wird im Hinblick die auf wirtschaftliche Entwicklung und die Stabilisierung der demokratischen Strukturen nicht ohne massive, auch finanzielle Hilfe gehen. Aber auch wir müssen lernen, andere Mentalitäten, Sitten und Bräuche zu akzeptieren und sie auch gelten zu lassen. Die Siebenbürger Sachsen sind uns Beispiel dafür, wie sie in ihrer 850-jährigen Geschichte ihre kulturelle Identität bewahrt und sich doch in eine multiethnische Gesellschaft eingefügt haben.“
Eine ähnlich positive Bilanz des Miteinanders von Dinkelsbühl und Landsmannschaft konnte auch Bundesvorsitzender Volker E. Dürr ziehen. In der Stadt seien „aus ursprünglich Fremden Freunde geworden“, dafür sprächen nicht nur die von Sparrer genannten Einrichtungen, die Gedenkstätte im Lindendom der Alten Promenade, die geschlossene Ansiedlung siebenbürgischer Familien und die 1959 erfolgte Gründung einer landsmannschaftlichen Kreisgruppe, sondern auch eine vorrangig menschliche Realität: „In diese Stadt fanden und finden bis heute sehr viele von uns in den oft verwirrend neuen Lebensverhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder Orientierungshilfen, hier schöpfen wir durch das Wiedersehen und das Gespräch mit Gleichgesinnten Kraft und Hoffnung, gewinnen bei den vielfältigen Veranstaltungen erschüttertes oder gar verloren gegangenes Gemeinschaftsgefühl und Selbstbewusstsein wieder.“ Aus diesen Erfahrungen heraus sei denn auch die Partnerschaft zwischen Dinkelsbühl und der Landsmannschaft zustande gekommen, die am 25. Mai 1985 unterzeichnet wurde. Das damit beurkundete Verhältnis sei „echt und tief, weil es organisch gewachsen“ sei, weil es „uns von niemandem aufgedrückt wurde“ und „von beiden Partnern mitgetragen“ werde.
Im partnerschaftliche Verhältnis zwischen Stadt und Land habe sein Verband zudem, so Dürr, im Sinne überlieferten Mittlertums wirken können. Bereits 1985 habe man nach Siebenbürgen eine Dinkelsbühler Delegation begleitet, die dort habe erfahren können, in welchem Maße landsmannschaftliches Handeln nicht nur „humanitäre Hilfe und Familienzusammenführung“ zum Ziel gehabt habe, sondern auch „den Ausgleich und europäischen Brückenschlag zwischen dem deutschen und dem rumänischen Volk“. Weitere „partnerschaftliche Aktivitäten, gemeinschaftlich organisierte Ausstellungen hier in Dinkelsbühl, gemeinsame Programmpunkte an den Heimattagen“ oder auch die Erweiterung des Bestands an Vasa Sacra der evangelischen Kirchengemeinde durch eine Patene und einen Kelch aus Siebenbürgen, die von der Landsmannschaft vermittelte Kanadareise der Dinkelsbühler Knabenkapelle und deren Beteiligung am Münchner Oktoberfest im vergangenen Jahr, wo sie der siebenbürgischen Trachtengruppe beim großen Festumzug durch die bayerische Landeshauptstadt voranzog, legen Zeugnis davon ab, wie fruchtbar und ergebnisreich das Zusammenwirken war und ist.
Dürrs Resümee: „Solidarität, die Bereitschaft, Probleme gemeinsam anzupacken, und nicht zuletzt die Fähigkeit zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen waren und sind die Voraussetzung dafür, dass 50 Jahre Heimattage in Dinkelsbühl nicht nur Symbol des Zusammenhalts der Siebenbürger Sachsen auf der ganzen Welt, sondern auch ein Bekenntnis zu gewachsenen Bindungen zwischen der Stadt und der Landsmannschaft geworden sind. Im Rückblick können wir sagen, dass wir an den Herausforderungen, die wir gemeinsam bewältigt haben, gewachsen und durch sie zusammengewachsen sind. Möge diese Partnerschaft, die die Siebenbürger Sachsen in aller Welt umschließt, weiter gedeihen und Quelle zum Verständnis füreinander und zum gemeinsamen Streben nach friedlichem Zusammenleben mit allen Völkern sein!“
Dem Festakt in der Dinkelsbühler St. Paulkirche war, ebenfalls am Pfingstsamstag, die Eröffnung einer Ausstellung zum Jubiläum vorangegangen, die der landsmannschaftliche Bundeskulturreferent Hans-Werner Schuster zusammengestellt hatte und die auf Bild- und Texttafeln die Heimattage seit 1951 dokumentierte. Die Ausstellungseröffnung hatte mit einer Ansprache Hildegard Beck vorgenommen, die als Stadträtin und dann als Bürgermeisterin von Dinkelsbühl die dortigen Veranstaltungen der Siebenbürger Sachsen seit vielen Jahren mit ausgesprochener Sympathie und vorbildlicher Anteilnahme begleitet. An das Ausstellungspublikum gewandt, sagte sie in ihrer offenen und direkten, immer herzlichen Art unter anderem: „Seit 1951 erstmals blau-rote Fahnen sowie die siebenbürgisch-sächsische Tracht und Mundart für drei Tage das Stadtbild prägen, wissen die Dinkelsbühler, worauf sie sich einzustellen haben, wenn Pfingsten naht. Wenn auch manche Knurren, wie es vielleicht fränkische Art ist: Wir sind alle stolz, dass unsere Stadt jährlich zum Zentrum Ihres Lebens wird, dass Sie uns teilhaben lassen an Ihrer Kultur und Ihrem Gemeinsinn.“
Wie die Redner auf der Festveranstaltung sah die Bürgermeisterin der von landsmannschaftlicher Seite angeregten und gleich nach dem Heimattag auch angetretenen Besuchsfahrt Dinkelsbühler Stadtverordneten und Bürger nach Siebenbürgen mit besonderem Interesse entgegen. Dort sollte unter anderem auch über eine mögliche Partnerschaft zwischen Dinkelsbühl und Schäßburg diskutiert werden.

Hannes Schuster


(Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 20. Juni 2001, Seite 5)

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