9. April 2004

Beweinung Christi

Trauer und Klage über Tod und Vergänglichkeit sowie über Heimsuchungen aller Art sind in allen Kulturen und Traditionen in unterschiedlichen Äußerungen zu beobachten: Weinen, lautes Klagen und Aufschreien, Zerreißen der Kleider, Gebärden, die starken seelischen Schmerz zum Ausdruck bringen wollen. Aber auch stille In-sich-Gekehrtheit sowie duldende Traurigkeit sind zu erleben, wenn es gilt, den Verlust eines lieben Menschen zu beweinen. Weitgehend sind es die Frauen, die für das Trauern und Beweinen zuständig sind.
Die Passionszeit, insbesondere die Karwoche, ist eine stille Zeit, eine Zeit des Gedenkens und „Beweinens“ des Leidensweges Christi. Dem Wortsinne nach ist es eine Zeit des Erinnerns an die „Verschonung“ und Bewahrung. Seinerzeit wurden die Kinder Israels in Ägypten verschont. Sie hatten die Türpfosten mit dem Blut des Lammes bestrichen, so dass der Todesengel „vorüberging“. Auf Christus bezogen dichtet Paul Gerhard 1647: „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld der Welt und ihrer Kinder; es geht und büßet in Geduld die Sünden aller Sünder.“

In vielen Kirchen, aber auch in Konzertsälen sind in dieser Zeit „Passionen“ zu hören. Es sind musikalische Vertonungen der Leidensgeschichte, wie sie in den Evangelien überliefert werden. Die musikalische Wiedergabe des Leidensweges ist bestimmt durch Trauer und Klage, die vornehmlich durch Frauenstimmen zum Ausdruck gebracht werden. So wird beispielsweise der zweite Teil in Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion mit der herzergreifenden Arie für Alt und Chor eingeleitet: „Ach! Nun ist mein Jesus hin!.. Ach! Mein Lamm in Tigerklauen, Ach! Wo ist mein Jesus hin?“

Die darstellende Kunst hat sich schon in den ersten Jahrhunderten damit befasst, das Geschehen um und auf Golgatha bildlich zu überliefern und zu deuten. Es gibt unzählige Gemälde, die die Kreuzigung und Kreuzabnahme darstellen. Dabei versteht jeder einzelne Künstler die Berichte der Evangelien auf seine Weise und interpretiert sie in künstlerischer Freiheit.

Der siebenbürgische Autor des Tafelbildes des Altars im siebenbürgischen Csikménaság, 1543 (heute Ungarische Nationalgalerie Budapest), entfaltet mit sparsamen Mitteln ein Bild nach der Kreuzesabnahme, das mit „Beweinung Christi“ beschrieben wird. Dabei geht er in seiner Interpretation eigene Wege, entspricht aber in der Ausführung dem Kreuzesverständnis seiner Zeit. Auf den ersten Blick fallen dem Betrachter die eindrucksvollen Frauengesichter auf. Wahrscheinlich hat der Autor an Matthäus 27,55 gedacht, wo es heißt: „Und es waren viele Frauen da...; die waren Jesus aus Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient“. Diese Frauen schauen auf den Leichnam Jesu, der nicht blutüberströmt und weniger geschunden, sondern schon mit einem Glorienschein versehen, vor ihnen liegt. Nicht das Leiden steht hier im Vordergrund, sondern der erlösende Sieg Christi über den Tod und die Sünde. Eine von ihnen ergreift sogar seine Hand, als wolle sie ihn nicht loslassen, schon ahnend, dass hier nicht das Ende angesagt ist, sondern, wie vorausgesagt, die Auferstehung und neue Schöpfung die Zukunft bestimmen wird.

Hermann Schuller

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 5 vom 31. März 2004, Seite 1)

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.