8. Dezember 2025

Ein Haus unterwegs: Und bleibt in Katzendorf seit 200 Jahren

Das Haus steht an seinem Ort, nur die Besucher und Gäste sind unterwegs, manchmal von nah und immer wieder von fern. Und sie kommen, um Siebenbürgens Welt in Wort und Bild zu erfahren, zu genießen und stückweise mitzunehmen. Das Handy ruft über die Berge, man ist da, vorübergehend oder meilenweit angekündigt. 2025 neigt sich dem Ende zu, doch in der Dorfchronik ist seit eh und je nachzulesen: 1825 wurde das neue Pfarrhaus in Katzendorf errichtet und anschließend seiner Bestimmung übergeben.
Das 200 Jahre alte Pfarrhaus in Katzendorf ist ...
Das 200 Jahre alte Pfarrhaus in Katzendorf ist durch Frieder Schuller zu einer Begegnungs- und Kulturstätte geworden.
Heute ist es ein altes Haus, immerhin ganze 200 Jahre alt. Aber nicht mundtot, es dämmert nicht wie andere Pfarrhäuser, Schulen, Bauernhäuser vor sich hin im transsilvanischen toten Winkel. Zu seinem zweihundertsten Geburtstag geht ein Raunen vom rumänischen Wendejahr 1989 mit dem Fall der Diktatur und dem beginnenden Verfall des eigenen Gebäudes durch die Mauern. Doch schon im Vorfrühling 1990 rumorten die Bauarbeiter im verlassenen Pfarrhaus ihres Dorfes, entrümpelten, mauerten und zimmerten, während sich die sächsische Dorfgemeinschaft auf dem Weg zum Bahnhof auflöste. Vorher aber den Kopf schüttelte, die Tatsache, dass einer aus Deutschland kommt, um in diesem maroden Land ein Haus wieder aufzubauen, ja zu neuer Bestimmung ein- und auszurichten, konnte nur als vorübergehende Verrücktheit angesehen werden. Heute nach 35 Jahren lässt sich dieser Neuanfang, inszeniert vom im ehemaligen Pfarrhaus Katzendorf geborenen Frieder Schuller, als unvorsichtigweise und nicht als fürsichtigweise bezeichnen, wie es in alten Protokollen des siebenbürgischen Presbyteriums heißt. Es war das erste Pfarrhaus, das in Siebenbürgen restauriert wurde.

Der Vater des jetzigen Hausherrn residierte in den 1940er-Jahren im damaligen Amtssitz als Pfarrer und Dechant des Repser Bezirks. Georg Schuller legte sich mit der in Rumänien etablierten nationalsozialistischen Deutschen Volksgruppe an, da er sich weigerte, die konfessionellen Schulen an die Nazis zu übergeben. Der linientreue Bischof Staedel enthob ihn seines Amtes und zerrte ihn vor ein Disziplinargericht. September 1944 begleitete der versierte Kutschenfahrer mit Pferd Fanny, vier kleinen Kindern sowie allen Kirchenmatrikeln im Gepäck seine Katzendorfer Gemeinde auf dem Flüchtlingstreck bis vor Wien. Eine Generation später wohnte in dem Haus der junge Landpfarrer Christoph Klein, der hier seine Doktorarbeit schrieb und sich geistig auf sein späteres so erfolgreiches Bischofsamt vorbereiten konnte. Nachher empfing hier Seelsorger Sonntag (Hama) seinen ausgewanderten Freund Günther Schulz aus Berlin, der nach Katzendorf mit seiner neuen Lebensgefährtin, der eben von Günter Grass geschiedenen Anne, zu Besuch kam.

Und dann begann auch im sächsischen Katzendorf das überstürzte Verlassen von Haus und Hof. Zurück blieben mehrheitlich Scharen von Roma, die sich verwundert umsahen: nanu, so viele leere Wohnstätten. Nicht ganz, denn im Herbst 1992 rollte ein verstaubter Bus über die rissige Landstraße ins Dorf, und 40 Schriftsteller rieben sich nach ungewohnt langer Fahrt die Augen. Die Damen und Herren aus Deutschland befanden sich teilweise zum ersten Mal in einem ehemaligen Ostblockland, und dazu noch im von Gruselgeschichten umwitterten Transsilvanien. Im aufgestockten neu eingeweihten Haus wurden Stühle gerückt, Bänke in die zum Theatersaal umfunktionierte Scheune geschleppt, der Bösendorfer-Flügel gestimmt und in der Kirche nebenan der Blasebalg der Orgel geflickt. Dichter wollen rezitieren, Instrumentalisten müssen musizieren, Schauspieler im Rampenlicht stehen und Maler ihre Bilder zeigen, wobei aus der Küche das wohltuende Geklapper von Töpfen und Geschirr hallte. Man fand sich ein als Programmgestalter, Gast oder nur aus Neugier. Der Initiator dieses rumänisch-deutschen Kulturtreffens hatte nicht hinter die Wälder eingeladen, er bot das Kennenlernen eines Völkergemischs an, das Hineinhorchen in andere Sprachen und Sitten, denn auch die Vergangenheit hielt Kopfhörer bereit. Nach Jahrzehnten gezüchteten Misstrauens zwischen Ost und West sollte hier ums Pfarrhaus landesweit die neugewonnene Freiheit zwischenmenschlich endlich zu Wort kommen. Das erkannte auch Rumäniens damaliger Kulturminister Ludovic Spies, der aus Bukarest nach Katzendorf kam und sich in seiner Eröffnungsrede nicht scheute, dieses Fest als ein Geschenk des nachhaltigen Kulturerbes der deutschen Minderheit in seinem Land zu bezeichnen.
Autorin Ulrike Döpfer auf der Terrasse des ...
Autorin Ulrike Döpfer auf der Terrasse des Katzendorfer Pfarrhauses, hier mit Frieder Schuller (M.) und ihrem Lebensgefährten Elmar Schenkel (2023). Schenkel war seinerzeit der erste Katzendorfer Dorfschreiber, der hier 2011-2012 eine der besten Zeiten seines Lebens verbracht hatte, wie er rückblickend bekannte. Foto: Konrad Klein
Von Anfang an wollte Katzendorf nicht mit dem Gewohnten klotzen, nicht weiterhin mit Tamtrara der Blasmusiken locken und die Stimmung mit wiegendem Gesang weichspülen. Festivitäten dieser Art wurden auch in der Diktatur gern geduldet, denn Veranstaltungen mit erlaubt heimischem Charakter sollten den tristen Alltag verklären und dem Heimatgefühl im argwöhnischen Vaterland schmeicheln. Neben der Invasion der Schriftsteller aus München und Köln, landete auch ein Kirchenchor aus Landshut 1992 zwischen den Mauern der Kirchenburg, wo er nach kurzen Proben mit dem Rundfunksinfonieorchester aus Bukarest unisono Mendelssohns Oratorium Elias zur Landesuraufführung brachte. Tags darauf konnten Besucher und Dorfbewohner dem Feuerwerk des hauptstädtischen Teatrul Mic folgen, das ein venezianisches Lustspiel abbrannte, wobei zuweilen das Wort Gondel dem rumänischen bivol (Büffel) weichen musste. Im Haus saß der Komponist Wilhelm Berger am Klavier und verführte mit dem Bassisten Helge Bömches die Zuhörer in die bunte Klangwelt rumänischer, ungarischer und sächsischer Volkslieder. An den Tischen im Garten kamen immer wieder neue Teller unter den Löffel und Gläser gingen von Hand zu Hand. Bevor man sich zum gemeinsamen Essen schnurstracks via Bohnensuppe, Krautwickel, Palukes, Käse und Baumstriezel bequemte, absolvierte man Umarmungen aller Art, denn alte Freunde und Freundinnen trafen sich plötzlich aus West und Ost wieder. Die gefeierte Konzertsängerin Martha Kessler ließ eine Träne ins Rotweinglas fallen und resümierte, viele altbekannte Gesichter und so viele neue, mein Gesang brachte mich in die Welt und wir warteten auf Veränderung. Jetzt finde ich sie hier in Katzendorf, ein Neuanfang liegt in der Luft.

Dieser Neuanfang war auch das Thema eines Rundtischgesprächs, das vom Moderator, dem bewanderten Professor Paul Philippi, wie eine notwendige Fragestunde inszeniert wurde: Was kostet die Heimat in Lei und in D-Mark? Videoaufnahmen zeigen neben anderen die junge Carolie Fernolend, wie sie sich schon damals zum Bleiben in Siebenbürgen bekannte und daselbst für eine nützliche Arbeit plädierte. Maya Morgenstern, heute weltberühmt durch ihr Mitwirken in Hollywoodfilmen, brachte die Magie ihres Bukarester Jiddischen Staatstheaters nach Katzendorf. Mit adäquatem Gefolge angekommen, überraschte Luminiţa Cioaba, die damalige Schwester des Zigeunerkönigs, als Romadichterin das zusammengewürfelte Publikum. An einem Nachmittag entführte der Präsident des deutschen Schriftstellerverbandes in Bayern, Robert Stauffer, diesmal als fundierter Kenner der ungarischen Literatur, in die Bücherwelt des Nachbarlandes. Somit war bei diesem ersten Kulturfestival die zukünftige Zielgerade abgesteckt, alle mitwohnenden nationalen Minderheiten in Siebenbürgen sollen künstlerisch vertreten sein, wenigstens zu Wort kommen. Dieter Lattmann, Bundestagsabgeordneter und engagierter Schriftsteller, fasste dies Vorhaben im Katzendorfer Pfarrhaus kurz vor der Heimfahrt auf der Treppe des Busses stehend in die Worte: „Wir haben hier in diesen Tagen mehr europäische Umsichtigkeit gelernt als nach so vielen Sitzungen in Bonn.“

Inzwischen hängt die Bekanntheit des Hauses wie ein loser Herbstmantel je nach Windrichtung über dem Kommen und Gehen mit Auto, Zug oder Flugzeug. Fast möchte man aus Schillers Ballade die Verse bemühen: „Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen.“ Mit dem Fahrrad kam der Leipziger Universitätsprofessor Elmar Schenkel vorbei und blieb dann vorübergehend für ein Jahr als der erste Dorfschreiber von Katzendorf. Als Schriftsteller revanchierte er sich mit dem viel gelesenen Siebenbürgenbuch „Mein Jahr hinter den Wäldern“. Sein Beispiel musste nicht lange Schule machen, denn ihm folgten über Jahre andere Schriftsteller und Schriftstellerinnen in die Dorfschreiberklause unter dem uralten Turm im Pfarrhof. Zurück nach Berlin nahm der Dichter Jürgen Israel mit das druckreife Manuskript „Katzendorfer Tagebuch“, doch Carmen Francesca Banciu brachte 2014 im Deutschlandfunk über mehrere Tage Mitschnitte von Katzendorfer Alltagsgeschichten zu Gehör. Sprachen die Teilnehmer bei einer Tagung der Siebenbürgischen Akademie noch von einem mythischen Pfarrhof, dann scheute sich die Dorfschreiberin Dagmar Dusil nicht, in ihren liebevollen Aufzeichnungen Katzendorf ein Weltdorf zu nennen, in dem sich der Sommersachse, der Allround-Rumäne, der Ungar und der omnipräsente Dorf-Roma begegnen, so dass auch ein Schlehdornstrauch zur Metapher der dort gelebten Multiethnie werden kann.

Natürlich sind die letzten 35 Jahre dank des Zeitenwechsels mit neuen Möglichkeiten der Bild- und Wortaufzeichnung in der Erinnerung näher als die Vorgeschichte in seinem 200-jährigen Bestehen, auch wenn im Keller Jahreszahlen an den Gewölbebalken bis 1627 und 1632 zurückgehen. Diese Balken fügten sich einst in ein noch älteres Pfarrhaus, das 1825 zusammen mit dem Abriss der äußeren Kirchenburgmauer dem Bau des heutigen Hauses weichen musste. Katzendorf machte in vergangenen Jahrhunderten mit seiner Pferdezucht und erlesener Möbelschreinerei auf sich aufmerksam. Vor dem Zweiten Weltkrieg zog es junge Männer des Öfteren nach Bukarest, wo sie wegen ihrer handwerklichen und sprachlichen Gewandtheit gern ins Personal von Botschaften aufgenommen wurden. Nach Hause zurückgekehrt, brachten sie ein modisches Denken mit, so dass ein Pfarrer bei der Neuwahl nicht nach der Predigt, sondern nach dem Sitz seiner Krawatte beurteilt wurde...Tempi passati. Eine erste Fotoausstellung über Siebenbürgen von Christian Döge wanderte von Katzendorf über Hermannstadt nach München, Bonn und Düsseldorf. Vorhanden und einsehbar sind auch die eindrucksvollen Videodokumentationen, erstellt von einer Gruppe Filmstudenten aus Berlin. Zwei grandiose Hochzeiten begleiteten nicht nur verliebtes Parlieren gerüchtweise über die Grenzen. So manches, was in diesem Pfarrhaus zum ersten Mal über die Bühne ging, wird jetzt siebenbürgenweit nachgeprobt, und das ist gut so. Allerdings eine Dichterlesung wie die mit dem Erfolgsautor Ingo Schulze in der Katzendorfer Scheune vor erstaunten Romazuhörern, weil das einheimisch deutschsprachige Publikum fernblieb, wird es nicht mehr geben.

Ulrike Döpfer

Schlagwörter: Katzendorf, Pfarrhaus, Geschichte

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