14. Mai 2004

Mittlerin zwischen Ost und West

Am 16. April wurde der siebenbürgischen Volkskundlerin Dr. Helga Stein für ihre wissenschaftlichen Forschungen und ihren ehrenamtlichen Einsatz sowohl im Raume Hildesheim als auch in Osteuropa (Rumänien) der Niedersächsische Verdienstorden am Bande verliehen. Viele Gäste nahmen an der Feier anlässlich der Überreichung des Ordens durch Finanzminister Hartmut Möllring im kleinen Sitzungssaal des Hildesheimer Rathauses teil.
Dr. Helga Stein kam am 1. Juni 1937 in Stettin als Tochter des aus Hinterpommern stammenden Kurt Stein und der Siebenbürger Ornithologin Silvia Stein, geb. von Spieß, zur Welt. Mit dem Einmarsch der russischen Truppen im März 1945 verlor die Familie ihren pommerschen Heimatort Teschendorf (100 km östlich von Stettin). Mit vielen anderen Vertriebenen verließen sie in mühsamen Fußmärschen das nun unter polnische Verwaltung gestellte Gebiet. In Greifswald verstarb nach den schweren Strapazen der aus dem ersten Weltkrieg schwer kriegsbeschädigte Vater. Die Mutter entschloss sich, zunächst nach Wien zu ihren Verwandten und dann in ihr Elternhaus nach Hermannstadt zurückzukehren. Im Juli 1947 kamen Helga Stein und ihre Mutter dort an. In ihrem Großvater Oberst A. R. von Spieß fand das junge Mädchen einen väterlichen Mentor.

Verleihung des Niedersächsischen Verdienstordens am Bande: Dr. Helga Stein mit dem niedersächsischen Finanzminister Hartmut Möllring (links) und dem Hildesheimer Oberbürgermeister Dr. Ulrich Kumme.
Verleihung des Niedersächsischen Verdienstordens am Bande: Dr. Helga Stein mit dem niedersächsischen Finanzminister Hartmut Möllring (links) und dem Hildesheimer Oberbürgermeister Dr. Ulrich Kumme.

Nach Abschluss der Ausbildung als Volksschullehrerin in Hermannstadt begann sie 1954 in Bukarest das Studium der Germanistik. Angeregt durch Dr. Julius Bielz, einen Freund des Hauses, wandte sie sich der Volkskunde zu und hörte zusätzlich die Vorlesungen des bekannten rumänischen Volkskundlers Prof. Mihai Pop. 1959 legte sie das Staatsexamen ab und erhielt 1960 die erste hauptamtliche wissenschaftliche Mitarbeiterstelle für Volkskunde der deutschen Minderheit in Siebenbürgen am Folklore-Institut der Rumänischen Akademie in Klausenburg. Im Oktober 1963 übersiedelte Helga Stein nach Deutschland. In Göttingen übernahm sie an der Universität für die nächsten 35 Jahre das rumänische Lektorat und setzte zugleich ihre volkskundliche Ausbildung fort. 1974 promovierte sie in den Fächern Volkskunde, Südslawistik und Rumänisch zum Dr. phil. Mit ihrer Dissertation griff sie auf ihre rumänisch-deutsche Interethnik betreffende Staatsexamensarbeit (1959) zurück und behandelte ein Thema daraus in europäischem Rahmen. Die Dissertation „Zur Herkunft und Altersbestimmung einer Novellenballade“ erschien 1979 in Helsinki in der Reihe FFC (Folklore Fellows Communications) Nr. 224.

Aufgrund des germanistischen Abschlusses in Bukarest erwarb Helga Stein 1977 in Hannover die Lehrbefähigung für den Höheren Schuldienst für Deutsch und Russisch. In den folgenden Jahren arbeitete sie zunächst als Studienrätin z.A. am Gymnasium Großburgwedel bei Hannover und wechselte 1979 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Roemer-Museum in Hildesheim. Dort bot sich ihren volks- und heimatkundlichen Interessen ein weites Betätigungsfeld. Bis zu ihrem Ruhestand 2001 übernahm sie zudem die wissenschaftliche Leitung des Hildesheimer Stadtmuseums im Knochenhauer-Amtshaus.

Minister Hartmut Möllring hob in seiner Laudatio das ehrenamtliche und karitative Engagement von Dr. Stein hervor. Im Bereich der Heimatpflege im Kreis Hildesheim habe sie die Heimatmuseen beraten, vor allem in der Bestimmung, der Erhaltung und Pflege von Sammlungsgut durch Vermittlung von Kontakten zu Fachleuten und Restauratoren sowie durch Hilfe bei der Ausstellungsgestaltung. Dr. Stein habe sich stets als Vermittlerin zwischen Ost und West verstanden. Als Mitglied zahlreicher internationaler Fachverbände, stellte sie Kontakte zwischen wissenschaftlichen Institutionen her und machte auf das reiche Material in den osteuropäischen Archiven und auf die Arbeit von Kollegen in diesen Ländern aufmerksam. Ein Höhepunkt dieses Bemühens war die 28. Internationale Balladenkonferenz vom 19. - 24. Juli 1998 in Hildesheim, an der 80 Teilnehmer aus 24 Ländern teilnahmen. Der Tagungsband trägt den bezeichnenden Titel „Kulturelle Brücken. Gemeinsame Balladentradition“, Hildesheim 2000.

Minister Möllrings würdigte desgleichen den karitativen Einsatz von Dr. Helga Stein. Sie habe Hilfsgütertransporte zu Spitälern und Behindertenvereinen nach Ostrumänien sowie jahrzehntelang Paketsendung an ältere und behinderte Mitmenschen organisiert. Auch die Hilfe der Volkskundlerin bei der Eingliederung der Siebenbürger Sachsen in Hannover und Hildesheim wurde vom Minister gewürdigt. Die Kreisgruppe Hannover der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen ist stolz, dass die ehrenamtliche Tätigkeit von Dr. Helga Stein anerkannt und mit der hohen Auszeichnung gewürdigt wurde.

Walter Engler

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 8 vom 20. Mai 2004, Seite 7)

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