3. Juni 2004

Ingo Friedrich: Mut für ein neues Europa

Die Spaltung des Kontinents sei überwunden, und es sei richtig, dass die Menschen des 21. Jahrhunderts den Mut haben, den Weg der europäischen Wiedervereinigung zu gehen. Dies erklärte Dr. Ingo Friedrich, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, in seiner Festrede beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Rumänien müsse in gemeinsamer Anstrengung modernisiert werden, damit es im Jahr 2007 in erster Reihe in der Europäischen Union mitmachen könne, betonte der CSU-Politiker. Den Siebenbürger Sachsen dankte er für ihre Aufbauleistung in Deutschland. Die Festrede wird im Wortlaut wiedergegegen.
Ich freue mich, dass ich heute dabei sein und diese wunderschönen Trachten betrachten durfte. Man spürt direkt das Selbstbewusstsein, das Bürgerbewusstsein, das in Menschen steckt, die mit diesen Trachten in die Kirche gehen und mit diesen Trachten die Nachbarn erfüllen.

Dr. Ingo Friedrich, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, während seiner Festrede vor der Schranne in Dinkelsbühl. Foto: Günther Melzer
Dr. Ingo Friedrich, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, während seiner Festrede vor der Schranne in Dinkelsbühl. Foto: Günther Melzer
60 Jahre nach dieser furchtbaren Evakuierung, nach diesem furchtbaren Flüchtlingsstrom aus Siebenbürgen schreiben wir erneut in Europa Geschichte, aber dieses Mal eine positive Geschichte. Am ersten Mai sind zehn europäische Länder neue Mitglieder der Europäischen Union geworden, und wir arbeiten an einer gemeinsamen europäischen Vefassung. Welch ein Unterschied zu früheren Jahrhunderten!

Es wird noch zwei Jahre dauern, bis die europäische Verfassung Realität wird. Und ich persönlich bin der Meinung, dass wir gut daran täten, wenn in dieser Verfassung auch die christlichen Werte in Europa erwähnt werden würden. Es entsteht ein neues Europa aus dem Kalten Krieg, aus dem Ost-West-Gegensatz, vor dem wir Angst hatten. Als fränkisches Kind musste ich noch erleben, wie Menschen aus unserer schönen Heimat nach Amerika abgewanderten, weil sie Angst hatten, die Russen kommen. Die Russen kommen nicht mehr, Europa kommt!

Deutschland, unser gemeinsames Vaterland, rückt wieder in die alte Mitte in Europa, wo es über Jahrhunderte war. Deutschland war Teil des Heiligen Römischen Reiches. Wir waren in der Mitte und wir kommen in diese Mittellage wieder zurück, Gott sei Dank!

Die Spaltung des Kontinents wird überwunden, und es entsteht eine Wiedervereinigung Europas. Und bei allen Problemen – und es gibt Probleme mit der Osterweiterung, finanzielle, organisatorische, sprachliche Probleme, machen wir uns nichts vor! – ist es richtig, dass die Menschen des 21. Jahrhunderts den Mut haben, diesen Weg zu gehen. Es war niemand anders als Robert Schumann, einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft Europas, der bereits 1963 folgenden visionären Satz formuliert hat:
Wir müssen das geeinte Europa nicht nur im Interesse der freien Völker errichten, sondern auch, um die Völker Osteuropas in diese Gemeinschaft aufnehmen zu können, wenn sie, von den Zwängen, unter denen sie leiden, befreit, um ihren Beitritt und unsere moralische Unterstützung nachsuchen werden. Wir schulden ihnen das Vorbild des einigen, brüderlichen Europa.

Und Recht hat Robert Schumann gehabt. Wir bauen an einem Europa, wo wir unseren Kindern sagen können: Nach menschlichem Ermessen haben wir alles getan, um Kriege und Vertreibungen, in unserem Europa jedenfalls, unmöglich zu machen. Und wir wollen und haben eine Verantwortung gegenüber dem Nahen Osten, unserem Nachbarn, dass wir auch dort helfen, Frieden und Demokratie herbeizuführen.

Nun sind wir also dabei, dass, nach menschlichem Ermessen, im Jahr 2007 Rumänien und damit auch die siebenbürgische Heimat offiziell Mitglied der Europäischen Union werden kann. Wir werden und müssen alles tun, damit sich das Land modernisiert, dass es sich entwickelt, damit es in dieser Europäische Union mitarbeiten kann, nicht in der zweiten Reihe, sondern in der ersten Reihe. Und wir erwarten natürlich auch, dass dann manche schwierigen juristischen, auch Eigentumsfragen unter einem europäischen Dach besser und leichter gelöst werden können.

Liebe Siebenbürger Sachsen, aber ich sage auch ganz offen, wenn dann diese drei Länder – Rumänien, Bulgarien und wahrscheinlich Kroatien – Mitglied der Europäischen Union sind, brauchen wir einige Jahrzehnte Zeit, um unser Europa zu konsolidieren, damit es sich findet und nicht auseinanderbricht: Wir sollten dann sehr, sehr vorsichtig mit weiteren Erweiterungen sein, damit wir das schwierige Projekt Europa nicht gefährden.

Abschließend möchte ich auch ein großes Dankeschön sagen. Nachdem 1989 die Aussiedlung, der Zuzug weitgehend abgeschlossen war, haben diese 250 000 in Deutschland angesiedelten Siebenbürger Sachsen, 30 000 in Österreich - und ich weiß auch viele gute Nachrichten aus Kanada - immens daran mitgewirkt, dass diese Länder und gerade Deutschland sich positiv entwickeln konnten.

Wir sollten dieses Dankeschön auch zurückgeben, und deshalb bin ich sehr froh, dass das Evangelische Diakonische Werk in Neuendettelsau hier im Fränkischen neue, ganz wichtige Aktivitäten in Siebenbürgen unternimmt, so zum Beispiel die Gründung einer Universität in Hermannstadt, der Aufbau von Altenpflegeheimen. Dies kommt aus dem evangelischen Franken, in alter Verbundenheit und soll auch ein Stück Dankeschön dafür sein, was die Siebenbürger Sachsen hier in Deutschland geleistet haben.

Und ein ganz kleines persönliches Anliegen: Am 13. Juni sind Europawahlen. Jeder Demokrat darf und kann nach seinem Gewissen entscheiden, welche demokratische Partei er wählt. Diese Wahl ist wichtig, weil sie die politische Grundausrichtung und personelle Entscheidung in Europa vorprägt. Ich darf Sie als Vizepräsident des Europäischen Parlaments bitten: Nehmen Sie die demokratischen Pflichten eines Bürgers wahr und gehen Sie zur Wahl!

Und wenn hier die europäische Flagge gezeigt wird, darf ich sagen, dass ich im Jahr 1982 beantragt habe, dass diese Flagge die europäische Flagge wird. Und als protestantischer Lutheraner wusste ich gar nicht, dass ich damals ein Symbol Marias zur Flagge Europas machen durfte. Wenn Sie nämlich mittelalterliche Marienstatuen anschauen, haben die oft zwölf goldene Sterne um ihr Haupt. Und wenn Sie zwölf goldene Sterne beispielsweise gegen den blau-weißen Himmel von Bayern sehen, dann haben Sie die Europäische Flagge vor Augen!

Ich wünsche Ihnen, ich wünsche uns allen eine gemeinsame, friedvolle Zukunft in Europa, in einem Europa ohne Krieg, in einem Europa mit Menschenrechten, in einem Europa des Rechts. Und ich wünsche, dass wir alle in diesem Europa unsere Heimat finden und dort leben können.

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