22. Juni 2004

Deportation der Roma dokumentiert

Mit dieser dank umfangreicher Nachforschungs- und Übersetzerarbeit vorgelegten Dokumentation über die Deportation und die Leiden rumänischer Zigeuner nach und in Transnistrien ab 1942 unter Marschall Antonescu schließt Franz Remmel laut eigenem Bekunden eine bestehende Informationslücke. Der Autor widerlegt durch seine Studien die im Umlauf befindlichen Angaben von 90 000 Deportierten der Antonescu-Regierung als viel zu hoch gegriffen und schätzt sie als "um zwei Drittel übertrieben zu sein" (Seite 3).
Franz Remmel, geboren 1931 in Perjamosch (Kreis Temesch), war nach dem Studium der Pädagogik und Journalistik erst Lehrer und danach lange Zeit Kreiskorrespondent der Tageszeitung "Neuer Weg" in Temeschburg. Er hat sich bisher in mehreren Publikationen mit der Roma-Minderheit in Rumänien, vor allem nach 1990, beschäftigt. Für das vorliegende Buch erhielt er Unterstützung durch die Friedrich-Ebert-Stiftung sowie vom Departement für Interethnische Beziehungen, Bukarest. Das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien hat durch dessen Vorsitzenden Klaus Johannis "diese Arbeit für den Druck genehmigt" (S. 4).

Am 30. August 1941 wurde in Tighina der Deutsch-Rumänische Vertrag abgeschlossen, wonach Transnistrien, der Gebietsstreifen zwischen den Flüssen Dnjestr und Bug, unter rumänische Zivilverwaltung mit der Hauptstadt Odessa gestellt wurde. Das Gebiet wurde 1944 durch die Rote Armee erobert. Erst 1930 kam es in Rumänien bei der Volkszählung erstmalig zur Erfassung der Zigeuner, wonach 262 500 Personen, überwiegend in Siebenbürgen, aber auch in der Moldau und Muntenien lebten, die teilweise Romanes als Muttersprache angaben. Bis 1938 gab es keine "Zigeunerfrage". Das Buch nennt den Klausenburger Professor Iuliu Moldovan als Vater der rumänischen Biopolitik, die sich vermehrt den landeseigenen Minderheiten zuwendete. Die Begriffe "gute Minderheiten" und "Balastminderheiten" kamen auf und es wurden Vorschläge zur "Lösung der Zigeunerfrage" gemacht: "Die geplanten Maßnahmen gegen die rumänischen Roma beschränkten sich (...) prinzipiell auf die teilweise Deportation der Roma, was zu einem späteren Zeitpunkt für viele der Betroffenen unsagbares Elend, Hunger und Tod bedeuten sollte". (S. 10) Und: "Die Deportation der rumänischen Zigeuner kann allerdings nicht aus dem Kontext der damaligen nazistischen Exterminierungspolitik gelöst werden. Sie verläuft auf dem Hintergrund der Judenverfolgung, aber nach abgeschwächter ideologischer Einordnung". (S. 23)

Mit der Kolonisierung der Zigeuner in Transnistrien wollte man sich der schwer kontrollierbaren nomadisierenden Roma entledigen, wofür die Deportation das kostengünstigste Mittel schien. Zugleich sollten die Roma der rumänischen Zivilverwaltung als Arbeitskräfte für die ökonomische Ausbeute des besetzten Landstrichs zur Verfügung stehen. Bis zum 31. Mai 1942 wurden lokale Listen für die in Nomaden (Wanderzigeuner) und Sesshafte eingeteilten Roma erstellt. In einer ersten Welle zwang man rund 11 400 Nomaden mit eigenen Fuhrwerken zwischen dem 1. Juni und dem 15. August 1942 nach Transnistrien zu ziehen. Eine zweite Welle der Sesshaften folgte mit Eisenbahntransporten in über 300 Güterwaggons zwischen dem 12. und 20. September 1942. Eine dritte Welle, geplant für April 1943, wurde nicht mehr durchgeführt. Gegen die Deportationen gab es mutige Proteste, etwa des liberalen Politikers Dinu Bratianu. Auch Pfarrer, darunter der Schäßburger Dechant der Evangelischen Kirche A.B., und siebenbürgisch-sächsische Gemeinden des Unterwaldes protestierten im September 1942.

Das schwierig strukturierte Buch mit teilweise schwer lesbaren, kopierten Dokumenten und Personenlisten (auf 92 Seiten) beschreibt anhand vieler Belege das unsägliche Elend und Leid der Deportierten in Transnistrien, das Aufkommen des Flecktyphus und die vielen Opfer unter den Roma. Auf verschiedensten Wegen treten die Überlebenden die Flucht in ihre Heimatorte an. Die ersten werden in vier Straflager nach Transnistrien zurückgeschickt. Mit dem Herannahen der Kampffront und dem Rückzug der rumänischen Armee im Frühjahr 1944 flüchten die Zigeuner in Militärzügen und Kriegsfahrzeugen und kommen u.a. in Hermannstadt krank und verwahrlost an, als Gefährdung für die Stadtbevölkerung, wie Dokumente belegen. Franz Remmel hat sich, dies als Fazit, viel Mühe um das Auffinden, Einordnen und Auswerten der relevanten Dokumente über diese wenig bekannten Vorgänge gemacht.

Walter Klemm



Franz Remmel: „Nackte Füße auf steinigen Strassen. Zur Leidensgeschichte der rumänischen Roma“, Aldus-Verlag, 500031 Brașov – Kronstadt, 2003, 260 Seiten.

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