26. Juni 2004

Nordrhein-Westfalen bilanziert Heimattag 2004

Mit dem Motto "Heimat suchen - Heimat finden" erinnerte das diesjährige Pfingstreffen an die Evakuierung der Siebenbürger Sachsen aus Nordsiebenbürgen und an die Flucht aus Gemeinden Südsiebenbürgens vor 60 Jahren. Betroffene hatten danach in Österreich, Übersee und in Deutschland, besonders in den geschlossenen siebenbürgischen Siedlungen in Nordrhein-Westfalen, eine neue Heimat gefunden. So gehörte die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, zusammen mit dem landsmannschaftlichen Bundesvorstand und dem Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen zu den Ausrichtern des Heimattages.
Im Vorfeld hatte der Vorstand der Landesgruppe die Kreisgruppen angeschrieben und sie zur Teilnahme am Heimattag aufgerufen, gleichzeitig auch gebeten, die Kulturgruppen zu melden, die bereit waren, bei der Programmgestaltung mitzuwirken. Verantwortlich für die Koordination waren der Landesvorsitzende Harald Janesch und seine Frau, Bundesfrauenreferentin Enni Janesch, die zusammen mit dem Heimattagsausschuss das Programm erstellten.

Aus allen Kreisgruppen von NRW kamen Landsleute nach Dinkelsbühl. Einige Kreisgruppen hatten ihren Jahresausflug zum diesjährigen Pfingsttreffen geplant. Mit Bussen aus Aachen, Bonn, Köln, Mönchengladbach, Wuppertal und Wiehl-Bielstein reisten die Heimattagsbesucher an. Aus den Kreisgruppen Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg/Essen, Oberhausen und Leverkusen kamen die Besucher mit PKWs angereist. Die aktiven Kulturgruppen kamen aus den Kreisgruppen Drabenderhöhe, Gummersbach, Herten-Langenbochum, Setterich und Siegerland. Mit dabei war auch das Siebenbürgisch-Deutsche Heimatwerk aus Drabenderhöhe, das wie jedes Jahr Gegenstände der siebenbürgischen Volkskunst zum Verkauf im katholischen Gemeindehaus anbot.

Am Samstagmorgen eröffnete Enni Janesch die Kunstausstellung „Siebenbürgische Kirchenburgen“ mit Baso-Reliefs von David Serbu (Aachen), Kirchenburgenmodellen von Heinrich Lukesch und Arnold Szabo (beide Königsbrunn) sowie Daniel Schobel (Drabenderhöhe). Dazu kamen Gemeinschaftswerke von der Frauenarbeit in Siebenbürgen. Ilse Philippi aus Hermannstadt stellte einen Quilt mit dem Motiv einer Kirchenburg vor, den sechs Frauen der evangelischen Frauenarbeit in Rumänien nach einem Entwurf von Architekt Hermann Fabini gestaltet hatten. Die Frauen aus den nordrhein-westfälischen Kreisgruppen hatten einen Behang mit Weißstickerei hergestellt. Landesfrauenreferentin Waltraud Fleischer präsentierte das Werk und die Dokumentation seiner Entstehung.

Bei der Eröffnung der Dokumentationsausstellung über die Evakuierung und Flucht im Jahr 1944 waren unter den beindruckenden Bildern auch Fotos von Familien aus Nordrhein-Westfalen auszumachen.



Im Dauereinsatz: Regine Melzer, hier mit den „Drabenderhöher Spatzen“ bei der Eröffnungsveranstaltung des Heimattages. Foto: Josef Balazs
Im Dauereinsatz: Regine Melzer, hier mit den „Drabenderhöher Spatzen“ bei der Eröffnungsveranstaltung des Heimattages. Foto: Josef Balazs


Der Landesvorsitzende Harald Janesch hieß in der Eröffnungsveranstaltung des Heimattages viele Gäste herzlich willkommen, darunter eine zahlreiche Delegation aus NRW. In seiner Begrüßung sagte er: „’Heimat suchen - Heimat finden’ ist das Motto dieses Heimattages. Vor allem die Aussage ‚Heimat suchen’ hatte in den Nachkriegsjahren für das Land NRW eine große Bedeutung. (…) Viele hatten keine Bleibe, keine Arbeit und vorerst auch keine Aussichten auf eine bessere Zukunft. Mit diesen Voraussetzungen startete 1949 die neu gegründete Landsmannschaft. Doch dann entwickelte sich vor allem in NRW mit Hilfe der ‚Kohleaktion’, des Marschallplans, der Montanunion, der hiesigen Politik und hilfsbereiten Menschen eine neue Zukunft. 1953 entstanden im Zuge der Kohleaktion die drei ersten siebenbürgisch-sächsischen Siedlungen in Herten-Langenbochum, Oberhausen-Osterfeld und Setterich, dazwischen die kleineren Siedlungen in Overath-Immekeppel und Düsseldorf-Hellerhof und 1965 Drabenderhöhe. Überall dort, wo Siebenbürger Sachsen geschlossen siedelten, pflegten sie ihre Kultur und ihr Brauchtum. Als wichtige, auch politisch weit reichende Ereignisse und auch Leistungen der Landsmannschaft in diesen Anfängen kann man die Einbürgerung nennen, bei der den Siebenbürger Sachsen die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen wurde, die intensiven Bemühungen bei der Familienzusammenführung, die Übernahme der Patenschaft am 26. Mai 1957 durch das Land NRW. Für den zweiten Teil des Mottos, ‚Heimat finden’, will ich als Beispiel die Übergabe der Plakette in Gold für vorbildliche Integration der Bundestagspräsidentin Frau Rita Süßmuth an Drabenderhöhe 1991 und den Besuch von vier Bundespräsidenten ebenfalls in Drabenderhöhe anführen. Dieses sind Zeichen der Anerkennung für die Integrationsleistung aller Siebenbürger Sachsen.“ Nach den Ansprachen und Grußworten überreichte Bundesvorsitzender Volker Dürr dem Wiehler Bürgermeister Werner Becker-Blonigen das Goldene Ehrenwappen der Landsmannschaft als Anerkennung für seine Hilfe bei der Aufnahme der Aussiedler in der Stadt.

Die Drabenderhöher Spatzen und der Honterus-Chor, Drabenderhöhe, beide unter der Leitung von Regine Melzer, umrahmten das Programm musikalisch und erfreuten die Besucher akustisch und optisch mit ihren Darbietungen. Der stellvertretende NRW-Landesvorsitzende Richard Wagner moderierte die Eröffnungsveranstaltung. Die Siebenbürger Trachtenkapelle Drabenderhöhe unter der Leitung von Jürgen Poschner gab vor der Schranne ein Platzkonzert. Anschließend gestalteten u.a. die Kinder- und Jugendtanzgruppe unter der Leitung von Christa Brandsch-Böhm, die Drabenderhöher Spatzen und ein Jugendorchester, das in dieser Zusammensetzung zum ersten Mal unter der Dirigentin Regine Melzer auftrat, die von Ingwelde Juchum moderierte Jugend- und Kinderdarbietung „Unser Nachwuchs präsentiert sich“.

Die unmittelbar anschließende Brauchtumsveranstaltung, vorgestellt von Waltraud Fleischer, ausgeführt von der Kinder-, Jugend- und Erwachsenentanzgruppe, der Siebenbürger Trachtenkapelle und dem Honterus-Chor, begeisterte alle Zuschauer. Das zugrunde liegende Programm, „Ein Reigen durch Siebenbürgen“, stammt von der Botscherin Susanne Kräutner, die Mitte der sechziger Jahre für einen Tanzwettbewerb im Kreis Neumarkt mit drei Generationen einen Tanzreigen einstudiert und erfolgreich dargeboten hatte. Acht Ehepaare zeigten nun zu Musik aus dem Tonstudio von Andreas Melzer sechs Volkstänze. Zu den Klängen des von Regine Melzer geleiteten Honterus-Chors marschierte dann die Jugend ein, um einen Bauerntanz darzubieten. Nach einem Walzer und einem weiteren Volkslied hüpfte schließlich die von Christa Brandsch-Böhm geleitete Kindertanzgruppe auf die Bühne. Es war ein Augenschmaus, so viele kleine und große Trachtenträger zusammen singend und tanzend auf der Bühne zu erleben! Nach Abschluss der Vorstellung mussten sich die Sängerinnen und Sänger des Honterus-Chores beeilen, denn sie sollten zusammen mit dem Stephan-Ludwig-Roth-Chor aus Setterich und dem jungen Organisten Christian Orben aus Much die Gedenkveranstaltung „60 Jahre Evakuierung Nordsiebenbürgen und Flucht aus Südsiebenbürgen“ in der St. Pauls-Kirche mitgestalten.

Die beiden Chöre, unter der bewährten Leitung von Regine Melzer, und der Organist Christian Orben konnten auch beim Festgottesdienst am Pfingstsonntag mit ihren musikalischen Darbietungen überzeugen. Pfarrer i.R. Gerhard Thomke hielt die Festpredigt und Pfarrer a.D. Hans Klein, beide aus Drabenderhöhe, gestaltete die Liturgie nach siebenbürgischem Ritus. Drei junge Mädchen in Tracht, Sonja Dickstefes, Heike Mai und Andrea Zybarth, lasen die Fürbittengebete.

Höhepunkt jedes Heimattages ist der Trachtenumzug. Mit 57 Trachtengruppen zogen bei strahlendem Sonnenschein ungefähr 1 500 Trachtenträger im größten Festumzug, den es je bei einem Heimattag gegeben hat, durch die Straßen von Dinkelsbühl. Die große Gruppe der Trachtenträger aus Nordrhein-Westfalen, aufmarschiert in ihren Untergliederungen, konnte sich sehen lassen. Besonders fiel die große Gruppe der Kinder aus Drabenderhöhe auf. Die teilnehmenden Gruppen: Volkstanzgruppe Herten-Langenbochum, Bruder- und Schwesternschaft und Stephan-Ludwig-Roth-Chor, beide Setterich, im Block der Nordsiebenbürger, dann der NRW-Block mit Siebenbürgischer Trachtenkapelle Drabenderhöhe, Landesvorstand, Kinder- und Jugendtanzgruppe, Drabenderhöher Spatzen, Honterus-Chor, Kreisgruppe Wuppertal sowie siebenbürgische Trachtenkapelle Gummersbach, die dann unter der Leitung von Heinrich Mantsch im Festzelt zum Mittagstisch aufspielte.

Volker Dürr hieß in seiner Rede bei der Kundgebung vor der Schranne die Landsleute und die vielen prominenten Gäste aus Politik und Kirche herzlich willkommen. Ein besonderer Gruß ging an die beiden Redner, Birgit Fischer, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen, und Dr. Ingo Friedrich, Vizepräsident des Europäischen Parlaments. Die Siebenbürger Trachtenkapelle Drabenderhöhe spielte den Choral zur Pfingstbotschaft der Heimatkirche, die deutsche Hymne und das Siebenbürgenlied.

Eine für alle Zuschauer erfreuliche Vorstellung boten die Kinder- und Jugendtanzgruppen in „Jung und voller Schwung“, der Volkstanzveranstaltung der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland. Zu den 100 jungen Paaren gehörten auch die Kinder- und Jugendtanzgruppe aus Drabenderhöhe, die Volkstanzgruppen aus Herten-Langenbochum, Setterich, Siegen und Wiehl-Bielstein. Die Jugendgruppe aus Siegen hatte auch beim Verkauf der Abzeichen geholfen. Der Abzeichenverkauf gehört zu den wichtigsten Aufgaben, denn nur durch den Erlös können die immensen Kosten des Heimattages bestritten werden.

Bei der Lesung „Zeitzeugen erinnern sich“, die Pfarrer i.R. Kurt Franchy moderierte, ging es Sonntagnachmittag im Spitalgewölbe stiller zu. Bianca Poschner, Waltraud Fleischer, Reinhard Wellmann, alle aus Drabenderhöhe, sowie Ursula Tobias aus Frankfurt am Main lasen aus Aufzeichnungen Betroffener, die Enni Janesch zusammen mit den Vorlesern ausgesucht hatte, über die Evakuierung und Flucht von 1944 vor.

Den musikalischen Part bei den Preisverleihungen in der St. Paulskirche übernahm Christian Orben an der Orgel, begleitet von Hans Paul Fuß (Trompete). Sonntagabend spielte in der Schranne das „Trio Melody“ aus Drabenderhöhe zum Tanz auf. Am Samstagabend hatte die Drabenderhöher Trachtenkapelle für gute Stimmung in der vollbesetzten Schranne gesorgt.

Bei Anbruch der Dunkelheit begleiteten die Fackelträger und die Dinkelsbühler Knabenkapelle die Teilnehmer der Feierstunde auf dem Weg zur Gedenkstätte im Lindendom. In seiner beeindruckenden Ansprache gedachte Kurt Franchy der Toten des ersten und zweiten Weltkriegs, aber auch derjenigen, die auf der Flucht, während der Deportation und in den Wirren der Folgejahre ihr Leben verloren hatten. Er rief zum Frieden in der Welt auf. Die Knabenkapelle beendete die Feierstunde mit dem Großen Zapfenstreich.

Die Podiumsdiskussion zum Thema „Integration und Identität“ stand am Pfingstmontag am Ende des reichhaltigen Programms des Heimattages. Die stellvertretende Bundesvorsitzende Karin Servatius Speck hatte die Moderation übernommen. In ihrer Einführung konnte Bundesfrauenreferentin Enni Janesch als Vertreterin des Landes NRW von der gelungenen Integration und Bewahrung der Identität der siebenbürgischen Siedler in den nordrhein-westfälischen Bergmannsiedlungen Herten-Langenbochum, Oberhausen-Osterfeld und Setterich sowie in der Siebenbürgen-Sachsen Siedlung Drabenderhöhe berichten. Sie verwies auf die Ergebnisse der Doktorarbeit „’Ghetto’ oder gelungene Integration“ von Katrin Ingenhoven, die die Integrationsleistungen in Drabenderhöhe belegen. Der Bundesvorsitzende dankte zum Schluss allen Helfern, die zum Gelingen des Pfingsttreffens beigetragen hatten, so auch dem Landesvorsitzenden Harald Janesch, und bat ihn, den Dank an die beteiligten Landsleute weiterzuleiten.

Die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen hat mit ihren Kulturgruppen und zahlreichen Verantwortlichen das diesjährige Pfingsttreffen zu einem Erlebnis für alle Teilnehmer werden lassen. Besonders erfreulich war die Einbeziehung der vielen Kinder und Jugendlichen in die Programmgestaltung. Der Landesvorsitzende dankt allen, die in diesem Jahr zum Pfingsttreffen nach Dinkelsbühl gekommen sind und, sei es bei kulturellen Veranstaltungen, im Trachtenumzug, beim Abzeichenverkauf, dem Auf- und Abbau, bei der Aufsicht oder einfach durch die persönliche Teilnahme zum Gelingen dieses Heimattages beigetragen haben. Es lohnt sich immer wieder zu Pfingsten nach Dinkelsbühl zu fahren!

Landesvorsitzender Harald Janesch

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 30. Juni 2004, Seite 4)

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