4. Juli 2004

Die seltene Genauigkeit der Phantasie

Von allen Zeichnern, die ich kannte, war Johann Untch der Beste. Am 11. Juni 2004 ist er im Alter von 77 Jahren in Fürth bei Nürnberg gestorben. Untch war ebenso meisterhaft in der handwerklichen Ausführung wie im gestalterischen Erfindungsreichtum seiner Bilder. So stark, wie ihn die äußere Erscheinung der sichtbaren Gegenstände fesseln konnte, war auch die Kraft, mit der er die Traumwelt innerer Erlebnisse zu gestalten wusste.
Seine Arbeitsweise war bedächtig und gründlich. Er beherrschte alle Verfahren und technischen Mittel und machte sie sich dienstbar wie ein Musiker sein Instrument. Mit seinem erreichten Ergebnis selten zufrieden, machte er es Außenstehenden schier unmöglich, seiner selbstkritischen Meinung zu folgen, denn er allein konnte entscheiden, wie weit er sich in seinem Bild der Intensität seiner inneren Anschauung genähert hatte.



Johann Untch: 'Verirrt' (auch: 'Und der sechste Engel posaunte'), 1989, Federzeichnung, 24 x 35 cm (Besitz des Künstlers). Bildarchiv: Konrad Klein
Johann Untch: 'Verirrt' (auch: 'Und der sechste Engel posaunte'), 1989, Federzeichnung, 24 x 35 cm (Besitz des Künstlers). Bildarchiv: Konrad Klein


Aus den geschaffenen Blättern zu schließen, muss es ein dicht gedrängter Vorrat an inneren Bildern gewesen sein, dessen einzelne Gegenstände sich immer neu in einem imaginären, weiten und tiefen Raum zusammenfügen ließen. Es werden dabei Kräfte spürbar, wie ein Sog in die Tiefe des unbestimmten Raumes, und dagegen gesetzt die dichte Materie in fester Form, oft noch verstärkt durch geometrische Ordnung oder durch Wiederholung.

Mit den Jahren haben sich Dichte und Anhäufung seiner Bildgegenstände etwas gelichtet, um dafür an Ruhe und Tiefe des Ausdrucks im Bild zu gewinnen. Eine unerreichte Feinheit in der Abstufung von Hell-Dunkel-Werten übernimmt nun die Rolle der linearen Perspektive, den Betrachter in eine Tiefe zu führen, die eine weitere Welt hinter der realen erwarten lässt. Zugleich verliert der Widerspruch von realen Dingen und unwirklicher Anordnung die Härte einer absurden Wirklichkeit und weicht einer eher poetischen, märchenhaften oder dramatisch aufgeladenen Atmosphäre.

Ähnlich wie bei Werken großer Fotografen muss man bei seinen Bildern schon gut hinsehen und sie gut kennen, um die Eigenheit seines Stils beschreiben und deuten zu können. Denn eine Handschrift des Zeichners im üblichen Sinn findet man nicht. Selbst die Signatur, ein U und darin ein J, zum Dreizack geformt, darunter die Jahreszahl, wirkt sachlich und präzis, wie ein altmeisterliches Steinmetzzeichen. Die Person bleibt hier auf Distanz. Wer verbirgt sich dahinter?



Johann Untch bei der Eröffnung einer Retrospektivausstellung im Oktober 2001 in München. Foto: Konrad Klein
Johann Untch bei der Eröffnung einer Retrospektivausstellung im Oktober 2001 in München. Foto: Konrad Klein


Der am 6. September 1926 in Schäßburg geborene Diplom-Graphiker war keineswegs abweisend oder verschlossen. Wer ihn kennen lernte wurde überrascht und beschenkt. Seine erfolgreiche Laufbahn in Bukarest, im Zentrum heftiger künstlerischer Entwicklungen der sechziger Jahre, war neben seinen anerkannten künstlerischen Leistungen auch getragen von einer Welle enger und dauerhafter Freundschaften unter den Spitzen der jungen rumänischen Kunst, damals in der Opposition, unter belastenden äußeren Bedingungen. Seine Lebenserfahrung, Klugheit und unbedingte Zuverlässigkeit gaben dafür den Ausschlag.

Der künstlerische Werdegang von Johann Untch verlief stets gradlinig und folgerichtig, mit steter Zunahme an künstlerischem Gewicht. Der freien Grafik widmete er sich ebenso erfolgreich wie der angewandten Kunst, wobei seine Briefmarkenserien am bekanntesten wurden. Beide Aspekte – Grafik und angewandte Kunst – stehen in seinem Werk zueinander wie Poesie und Prosa.

Die schwarz-weiße Kunst der Grafik galt unter Bukarester Künstlern immer schon als ein Spezialgebiet, dessen Beherrschung man öfter den deutschen Künstlern überließ, während die Schar junger Talente sich um die farbenfrohe Tradition der rumänischen Malerei zusammenschloss.

Erste spät, vor vier Jahren, hat Johann Untch unter dem Titel „Tage, die man nie vergisst“ sich seine Erinnerungen von der Seele geschrieben, den bewundernswert sachlichen Bericht von den Kämpfen und Leiden eines jungen Soldaten. Er belegt die Genauigkeit seines Erinnerungsvermögens im realen Leben und das erklärt zugleich auch die seltene Genauigkeit der Phantasie seiner Kunst. Denn Klarheit und Genauigkeit sind es, die sein ganzes Werk bestimmen.

Vor dem Hintergrund seiner traumatischen Erlebnisse war seine Bukarester Zeit ein Geschenk des Schicksals, das er freudig und dankbar angenommen hat. Es ist ihm gelungen, das Beste daraus zu machen.

Ich habe hier versucht, die Eigenart des Zeichners Johann Untch zu beschreiben und zu deuten, was und wie viel er zu bieten hatte. Was dieser stille, bescheidene Mann an Freundschaft zu geben hatte, lässt sich weder aufzählen noch deuten, doch manchem von uns galt es mehr.

Helmut von Arz

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