17. Juli 2004

Beachtliches "Pisa"-Ergebnis für ländliche Schulen

Reflektionen zur deutschen Schulgeschichte Siebenbürgens nach einem 50-jährigen Klassentreffen in Mediasch. Dass es in diesem Jahr so zahlreiche 50-jährige Klassentreffen mit siebenbürgisch-sächsischer Beteiligung gibt, hat, außer den traditionell-nostalgischen Aspekten, auch einen besonderen Grund: 1954 war nämlich das Jahr, als die ersten Absolventen der 1948 reformierten und an das Leistungsniveau der Untergymnasien angeglichenen deutschen Volksschulen von überall auf die "höheren" Schulen strömten.
Am meisten begehrt waren damals die neu gegründeten „Technischen Mittelschulen“ für die verschiedenen Fachrichtungen. Dafür gab es zwei Gründe: Sie gewährten Stipendien, die die von vielen nicht bezahlbaren Kosten deckten, und man bekam ein Abschlussdiplom als Techniker und die damit verbundene sichere Arbeitsstelle. Dabei gab es auch deutschsprachige Abteilungen, beispielsweise an der Textil-Schule in Mediasch, der für Landwirtschaft in Elisabethstadt, für Medizin und Bauwesen ind Hermannstadt und für Elektrotechnik in Kronstadt.




Das Gebäude der ehemaligen Technischen Mittelschule für Mechanik in Mediasch ist wie viele andere Altbauten der Stadt sehr sanierungsbedürftig. Foto: Hans-Rudolf Schneider
Das Gebäude der ehemaligen Technischen Mittelschule für Mechanik in Mediasch ist wie viele andere Altbauten der Stadt sehr sanierungsbedürftig. Foto: Hans-Rudolf Schneider


An diesen Technischen Mittelschulen wurde in der Regel in den ersten beiden Jahren im Eiltempo der Lyzeumsstoff gelehrt, wobei fachfremdere Gegenstände ausgelassen wurden, während die letzten zwei Jahre der eigentlichen Fachausbildung dienten. So wurde beispielsweise auf der Technischen Mittelschule für Mechanik (vorher für Metallurgie) keine Biologie oder Geografie unterrichtet, aber zehn Stunden pro Woche Mathematik. Ausbildungsschwerpunkt war Energietechnik, zu deren Erlernbarkeit auch die höhere Mathematik gehörte, die damals erst auf den Hochschulen gelernt wurde. Und dieser Wissensstand musste in den ersten neun Semestern erreicht werden. Zum Abschluss gab es das Techniker-Diplom, das zugleich auch das Abitur einschloss.

Die Technische Mittelschule für Mechanik in Mediasch, deren Absolventen von 1954 am 12. Juni ihr 50-jähhriges Klassentreffen feierten (neun waren auch aus Deutschland und einer sogar aus den USA gekommen), hatte keine deutsche Abteilung. Dennoch waren im Sommer 1950 überraschend viele deutsche Schüler zur Aufnahmeprüfung gekommen. Es gab über 400 Bewerber auf 60 Plätze in zwei Parallelklassen. Weil so ungewöhnlich viele Anwärter waren, wurde nach einem Ausschlussverfahren vorgegangen: Wer die schriftliche Prüfung in Mathematik nicht überstand, der konnte gleich nach Hause fahren. Entsprechend anspruchsvoll wurden die Themen gesetzt, so dass nach dem Schriftlichen nur noch etwas über 70 Bewerber übrigblieben; die wenigen über 60 schieden dann bei den anschließenden mündlichen Prüfungen (Mathematik, Rumänisch, Zeichnen, Verfassung) aus.

Das Erfreuliche und zugleich Bedeutsame dabei: Unter den 60, die es schafften, waren 24 Sachsen. Und die kamen nicht vorwiegend von den traditionsreichen Gymnasien, sondern hauptsächlich aus den deutschen Volksschulen vom Lande: je zwei aus Grosslasseln, Meschen, Kleinschelken, Schönau, Bulkesch und Seiden sowie jeweils einer aus vielen andern Dörfern. Ein besseres „Pisa“-Ergebnis für unsere ländlichen deutschen Schulen könnte ich mir gar nicht vorstellen. Ja selbst die beste Mathe-Arbeit mit der Höchstnote unter den über 400 Bewerbern wurde nicht von einem „Städter“ (Rumänen und Sachsen) geschrieben, sondern von dem aus Bulkesch gekommenen Hans Barth, der dann auch über die vier Jahre hinweg unser bester Mathematiker bleiben sollte.

Da die meisten Kollegen vom Lande kamen, wohnten auch die meisten im Internat. Schule und Internat waren im selben Gebäude, der ehemaligen Husarenkaserne, dann Internat des Stephan Ludwig Roth-Gymnasiums, untergebracht: im Erdgeschoss die Klassenräume und Lehrwerkstätten, im Stockwerk die Schlafzimmer und Verwaltungsräume. Gewöhnlich bewohnte ein ganzer Jahrgang je einen Großraum mit bis zu 30 Betten; ab dem zweiten Jahr stellten wir uns diese Eisenbetten sogar selbst im Werkunterricht her. Was sich da nicht alles zutrug! Am lustigsten war es, wenn die Kollegen vom Lande abends den Städtern das Tanzen beibrachten: Ein Holzkoffer, den man von unter dem Bett hervorholte, diente als Trommel; dazu wurde gesungen oder auch auf der Mundharmonika gespielt. Dabei waren wir, die Sachsen, stets tonangebend. Den rumänischen Kollegen ist aus dieser Zeit vor allem das Lied „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ in Erinnerung geblieben. Bei allen Klassentreffen, die wir alle fünf Jahre abhalten, verlangen sie nämlich immer wieder: „cantati aia cu hali halo“! Erst viel später sollten wir erfahren, dass dieses Lied anderswo (wegen angeblichem „braunen Beigeschmack“) verboten war. Wir aber sangen es aus vollen Kehlen, dank der „Narrenfreiheit“, die wir in so mancher Hinsicht hatten, wurde dies auch nie von jemanden beanstandet.

Im Berufsleben haben sich dann alle Kollegen gut behaupten können; 24 von ihnen haben nachher studiert (vier auch den „Dr.-Ing.“ gemacht) und es zu fachtüchtigen Ingenieuren gebracht – nicht zuletzt auch in Deutschland. So sind wir schon ein bisschen stolz darauf, wenn derselbe Hans Barth, der 1950 die vorzügliche Mathe-Arbeit schrieb, heute als angesehener Wissenschaftsautor über Hermann Oberth, Conrad Haas und das zukünftige Raumzeitalter schreibt. Ebenso bewundern wir aber auch den Kollegen Hugo Schneider, der Einzige von den 24 Sachsen, der noch in Mediasch lebt. Nach der Wende war das Deutsche Forum seine Wirkungsplattform, heute ist er Kurator der evangelischen Kirche von Mediasch und kümmert sich mit voller Hingabe um die Nöte und Belange der dortigen Noch-Deutschen.

Hans-Rudolf Schneider

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 11 vom 15. Juli 2004, Seite 9)

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