1. August 2004

Ortsmonographie über Probstdorf

Horst Gärtner wählt als Ausgangspunkt seiner Monographie das Jahr 1945, das gleichzeitig und stellvertretend für alle deutschen Siedlungsgebiete in Ost- und Südosteuropa als „Niedergangsbeginn“ des dörflichen Lebens, der Jahrhunderte lang gewachsenen ruralen Strukturen samt Sitten- und Brauchtum, Sprache und sozialen Verankerungen gilt. Von toposbezogenen geologischen und klimatologischen Gegebenheiten der gesamten Region ausgehend, geleitet der Verfasser den Leser, Neugierde weckend und Interesse fördernd, stets zurück nach Probstdorf ins Harbachtal, stellt Bezüge zu wichtigen historischen Ereignissen her - etwa die Probstdorfer vor ihrer Ansiedlung bis 1876, Zurwehrsetzung gegen die Magyarisierungsbestrebungen (1876-1918), NS-Zeit, Russlanddeportation, Probstdorf im Sozialismus -, die das Dorf vermeintlich nur am Rande streifen, deren Auswirkungen hingegen peu à peu auch in die kleine Welt einer geschlossenen Gemeinschaft Einzug halten und ihre Spuren hinterlassen haben.
Dass Politik, selbst im kleinen Rahmen, eine Gemeinschaft zu spalten vermag, hat sich auch in Probstdorf in der NS-Zeit gezeigt: Interessen und Politikgeplänkel standen auch hier im Vordergrund des Geschehens. Treffend die eher rhetorische Frage des Autors: „Was haben nun die Bewohner unseres Dorfes von der nationalsozialistischen Ideologie gewusst, und was hätten sie wissen können?“ (S. 71). Gleichermaßen versucht Horst Gärtner „ohne jede Schuldzuweisung oder Besserwisserei“ (S. 71) dieser Frage auf den Grund zu gehen. Der interessierte Leser möge diesen Versuchen folgen (S. 71 ff.).

So mancher Monographieband bietet trockene Fakten und Zahlen; anders der des Geographen von Berufs wegen, Horst Gärtner: Auflockernde, akribisch auf den Kontext abgestimmte Verse (u.a. Eichendorff, Octavian Goga, Georg Andree) beleben die Materie und erfreuen den anspruchsvollen Leser anlassbezogen mit Verlobungs - und Hochzeitsliedern. Kontrastreich weisen Fotos auf ordnungsgetränkte Vergangenheit und gegenwartsbezogene lädierte Häuser hin, in deren Umfeld Neuprobstdorfer dahin zu vegetieren scheinen. Die Agrarwirtschaft dieses von Gott gesegneten Landfleckens, im 12. und 13. Jahrhundert von Siedlern aus mehrheitlich linksrheinischen Gefilden kommend, wird übersichtlich dargestellt. Ein wesentlicher Teil der Landwirtschaft, die Viehzucht, erfreute die hart arbeitenden Probstdorfer, die besonderen Stolz auf den „Cavaler“, ein beliebtes Arbeits- und Reitpferd im Harbachtal, hegten. Äußerst selten gab es im Harbachtal Vollblutler wie den Araber, das Englische Rennpferd, das Spanische Pferd oder Lipizzaner. Der genügsame und krankheitenresistente Büffel wurde nicht nur ob dieser Eigenschaften gezüchtet und vielseitig eingesetzt. Obzwar Weizen- und Roggenanbau vordergründig betrieben wurde, erhielten die Wein-, Mais- und Kartoffelkulturen ebenfalls größte Aufmerksamkeit.

Die Kirchenburgen schützten als Gotteshäuser und Abwehreinrichtungen gleichermaßen die Gemeinschaft vor Jahrhunderte langen Bedrohungen - vornehmlich aus dem Osten. „Af der aller Kirch“, „Altdorfwiesen“ oder „Bey dem alten Dorf“ (S. 131) deuten an, dass im Falle Probstdorfs Kirche und Dorf einst eine ältere Stelle als heute einnahmen. Über Jahrhunderte war die (evangelische) Kirche eine Bastion und wichtiger Rückhalt des Deutschtums im Dorf. Auch auf Andersgläubige, in Probstdorf Lebende wurde nicht vergessen und auf die Orthodoxe Kirche (S. 147 ff.) Bezug genommen.

Dem Schulwesen wurde in Siebenbürgen seit jeher eine besondere Bedeutung beigemessen. Schule stand auch für Sitten- und Brauchtumspflege, für die Herausbildung und Festigung von Bruder-, Schwestern- und Nachbarschaften zwecks Bewältigung regelmäßig anfallender Probleme, zum Wohl der Dorfgemeinschaft. Nur wer über wurzelfeste Traditionen mit all ihren gepflegten Ausdrucksformen verfügt, nur wem überlieferte und ausgeprägte lebensbejahende Einstellungen und Anschauungen über den Alltag hinweg helfen, steht auch in schwierigen Zeiten, wie z. B. in der kommunistischen Ära, felsenfest zu seiner Herkunft und Gesinnung. Dass dies den Probstdorfer offenbar gelungen ist, davon zeugt der Abschnitt „Bewahren des ländlichen Kulturerbes“ (ab Seite 202); Fotos zeigen revitalisierte Häuser bzw. die renovierte Kirchenburg (1995) - einmal mehr ein Beweis für die Herkunftsverbundenheit der über ganz Deutschland verstreut und vereinzelt auch in Österreich lebenden Probstdorfer.

Horst Gärtner und seine Co-Autoren Anni Buchholzer und Michael Hügel haben mit diesem Heimatbuch in übersichtlicher Sorgfalt Vergangenes und Gegenwärtiges so dargestellt, dass nachhaltiger Eindruck wohl jeden Leser in den Alltag begleitet. So vermag dieses Buch seinen Zweck weit über den Regalschlummer hinaus zu erfüllen.

Hans Dama



Horst Gärtner: „Probstdorf im Harbachtal. Monographie einer Gemeinde in Siebenbürgen.“ Mit Beiträgen von Anni Buchholzer und Michael Hügel. Verlag der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung München, 2002 (Schriftenreihe der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung, Band 51). Mit zahlreichen Tabellen, Karten, Bildern. 259 Seiten. Preis: 30 Euro. Bestelladresse: Michael Hügel jun., Sandstraße 20, 67459 Böhl-Iggelheim, Telefon: (0 6324) 7 83 00.

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