28. September 2004

Strategien für das "kulturelle Gepäck"

Gewissermaßen als Auftakt der Vortragsreihe "Heimatverlust – Heimatgewinn" wurde im Rahmen der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage am 12. September im Haus der Heimat in einer Podiumsdiskussion "Das geistige und materielle Gepäck" der Siebenbürger Sachsen thematisiert. An der Podiumsdiskussion beteiligten sich Persönlichkeiten des öffentlichen Kulturlebens in Deutschland, die sich auch mit siebenbürgisch-sächsischen Belangen befassen. Am Ende stand fest: Museale Präsentation und Dokumentation sind wichtig, aber "nicht alles kann musealisiert werden". Die lebendige siebenbürgisch-sächsische Kultur sollte nach Möglichkeit an die jüngere Generation weitergegeben werden.
Die stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, Karin Servatius-Speck, stellte einleitend fest, dass man Gepäck mitnehmen könne auf einem Weg, den man mit Freude und Spaß beschreite, aber auch auf einem Weg aus "dem Paradies ins Verderben", wie ein Zeitzeuge in Czernetzkys Film "Die Russen kommen" festgestellt hatte. Durch den Film erfahre man z.B., welche Bedeutung ein Teller habe, der als letztes Zeugnis des durch Vertreibung und Bombardement zerstörten Hab und Gut aus dem "verlorenen Paradies" übriggeblieben sei. Jetzt erst kenne man die geistige Geschichte dieses Tellers.

Dieses Beispiel verdeutliche, wie schwierig es sei, zwischen materiellem und geistigem Gepäck zu unterscheiden, sagte die Moderatorin der Diskussion. Die Gepäckstücke, die wir in Kisten mitgebracht hätten, würden erst durch ihre Geschichte schwer "wiegen" und seien "unsere Geschichte über Zeit und Grenzen hinweg". "Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen", heißt es vielzitiert bei Goethe. Daraus leitete Karin Servatius-Speck den historischen Auftrag für die Siebenbürger Sachsen ab, "wo immer wir leben, den Geschichten unserer Erbstücke nachzugehen, sie zu lernen und weiter zu vermitteln, so wahrhaftig und spannend, dass noch lange das Bedürfnis danach besteht".

Diskutierten am Podium, von links: Dr. Irmgard Sedler, Dr. Christoph Machat, Karin Servatius-Speck, Dr. Rainer Schoch und Georg Aescht. Foto: Petra Reiner
Diskutierten am Podium, von links: Dr. Irmgard Sedler, Dr. Christoph Machat, Karin Servatius-Speck, Dr. Rainer Schoch und Georg Aescht. Foto: Petra Reiner

Im Museum werde "Erinnerung zur Geschichte". Dieser Prozess sei zum Teil schmerzlich, weil Dinge wegfielen, die in der Familie einen anderen Stellenwert gehabt hätten. Im Museum würden sie zu Schauobjekten und dienten der Vermittlung von Geschichte. Diesen Gedanken brachte Dr. Rainer Schoch, stellvertretender Generaldirektor und Leiter der Graphischen Sammlungen im Germanischen Nationalmuseum, in die Diskussion ein. Er würdigte die Förderung, die das Germanische Nationalmuseum in den Gründungsjahren durch die Siebenbürger Sachsen erfahren hatte. In den 1850er Jahren hatten sie Pflegschaften eingerichtet, um das Museum zu unterstützen. Dieses besitzt heute 500 bis 600 Objekte aus dem Kulturraum Siebenbürgen, angefangen von Keramik und Ofenkacheln bis hin zu Kirchenschätzen.

Die Volkskundlerin Dr. Imgard Sedler wies auf die Maastrichter Verträge von 1991 und die Richtlinien der UNESCO hin, die der Kultur der Minderheiten einen höheren Stellenwert einräumen. Auch die Kultur der Siebenbürger Sachsen sei dadurch wichtiger geworden. Das Siebenbürgische Museum habe neue Aufgaben erhalten im Lichte des Paragraphen 96 des Bundesvertriebenenförderungsgesetzes (BVFG). Siebenbürger Sachsen hätten schon immer "ein Faible" für Museen gehabt, wurde ihre Geschichte doch schon im Brukenthalmuseum festgehalten. Aus diesem Selbstverständnis heraus hätten sie auch in Deutschland gleich nach ihrer Auswanderung ihren eigenen "Ort der Erinnerung und Besinnung" in Gundelsheim am Neckar errichtet. Die Vorsitzende des Trägervereins Siebenbürgisches Museum betonte, dass es "eine Wahrheit der Erinnerung" gebe, die ihrerseits sachliche Objekte vermittele. Sie räumte ein, dass in der Vergangenheit die Bedeutung der Trachten im Siebenbürgischen Museum verkannt worden sei. Trachten seien bei den Siebenbürger Sachsen jedoch eine "nationale Legende" und hätten vor allem in den 1980er Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Damals lief die deutsche Minderheit Gefahr, "aus der Geschichte Rumäniens" verdrängt zu werden. Deshalb hätten sich die Siebenbürger Sachsen an Trachten, Kirchenburgen und anderen "Bildern" festgehalten. Die Rezeptionsgeschichte der Tracht hätte bei der Umgestaltung des Siebenbürgischen Museums berücksichtigt werden müssen. Statt dessen hatte man Angst, als "folkloristisch" abgetan zu werden. Die "Verbannung der Trachten" habe zu einem schmerzlichen Besucherrückgang in Gundelsheim geführt. Dr. Irmgard Sedler kündigte schrittweise Verbesserungen des Siebenbürgischen Museums an. Für die Gestaltung des Landler-Museums in Bad Goisern wurde die Siebenbürgerin mit dem Österreichischen Kulturpreis ausgezeichnet. In Hermannstadt hatte sie als Leiterin der volkskundlichen Abteilung des Brukenthal-Museums gewirkt, heute arbeitet sie hauptberuflich als Fachleiterin der Museen der Stadt Kornwestheim.

Über Maßnahmen zur Dokumentation und zum Erhalt von Kirchenburgen und anderer siebenbürgisch-sächsischer Denkmäler berichtete Dr. Christoph Machat, Vorsitzender des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrates. Das mit Unterstützung des Bundesinnenministeriums durchgeführte Dokumentationsprojekt siebenbürgisch-sächsischer Kultur sei eine gute Grundlage gewesen, um sieben ehemals deutsche Ortschaften in Siebenbürgen auf die UNESCO-Weltkultuerbeleliste aufzunehmen. Das sei ein beachtlicher Anteil, da Rumänien nur 29 Mal auf der Liste vertreten sei. Hermannstadt strebe ebenfalls eine Aufnahme als UNESCO-Weltkulturbe an. Die UNESCO-Konvention für Natur- und Kulturerbe wurde 1972 angenommen, im Oktober 2003 trat die UNESCO-Konvention über immaterielle Kulturgüter in Kraft. Machat regte an, die siebenbürgisch-sächsischen Dialekte für diese Liste vorzuschlagen. Hauptberuflich leitet er im Rheinischen Amt für Denkmalpflege das zentrale Denkmälerarchiv. Zudem ist er Präsident des Internationalen Komitees für ländliche Architektur von ICOMOS, des Internationalen Rates für Denkmalpflege der UNESCO.

Frischen Wind in die Diskussion brachte Georg Aescht, Redakteur der Zeitschriften "Kulturpolitische Korrespondenz" und "Der gemeinsame Weg". Der Zeidner gab zu bedenken, dass die museale Arbeit behütend, bestätigend, während die Literatur der "Stachel im Fleisch" sei, der uns in Bewegung hält. Die Literatur zeige auf, dass es auch Fragen gebe, die nicht auf die "bewahrende Art" gelöst werden könnten. Literatur sei vornehmlich Kommunikation und Störfaktor zugleich. Als "unbequeme Frage" stellte Aescht die mangelnde "Gerechtigkeit" in der Literaturrezeption in den Raum. Und antwortete selbst: "Mit unseren von Anständigkeit geprägten siebenbürgischen Erwartungen liegen wir im abendländischen Markt völlig falsch", postulierte der Literaturkritiker. Schriftsteller, die sich missionarisch in den Dienst ihres Volkes stellten, würden sich selbst ein Handikap auferlegen.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft, Dr. Bernd B. Fabritius, wies aus dem Publikum ergänzend zur "musealen" Sichtweise darauf hin, dass es hier in Deutschland eine lebendige Kultur der Siebenbürger Sachsen gebe. Doris Hutter, ebenfalls stellvertretende Bundesvorsitzende und zugleich Geschäftsführerin des Hauses der Heimat, führte mehrere Bespiele gelungener Vermittlung von siebenbürgisch-sächsischer Kultur an die junge Generation an. "Wir Siebenbürger Sachsen sind ursprünglicher, spontaner und lebendiger als viele andere und kommen deshalb besonders gut bei jungen Leuten an."

Siegbert Bruss

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 15 vom 30. September 2004, Seite 8)

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