10. Oktober 2004

Klassische Moderne aus Siebenbürgen im sächsischen Freiberg

Auf jeden Fall vertraut, vielleicht sogar vertrauenserweckend hört sich der Titel der Ausstellung an, die am 17. September eröffnet wurde und noch bis zum 7. November im sächsischen Freiberg zu sehen ist: "Meisterwerke der Klassischen Moderne in Siebenbürgen. Malerei aus der Zeit von 1900 bis 1950". Sonderbar dürfte dagegen die etwas unorthodoxe Wahl der Ausstellungsräumlichkeiten, möglicherweise aber auch die Zusammensetzung der Gemäldeschau erscheinen.
Kein Kunst-, sondern ein Stadt- und Bergbaumuseum mit einer übrigens vortrefflich inszenierten Dauerausstellung beherbergt zurzeit fünfzig Werke siebenbürgischer Maler. Somit werden manch weit verbreitete Konventionen ignoriert, vor allem indem man sich der Herausforderung stellt, eine Sammlung von fremdartig anmutenden Gemälden im kultivierten Ambiente eines prächtig-monumentalen spätgotischen Hauses zu zeigen, in dem stadtgeschichtliche und bergbautechnische Objekte eine eigene, andere Wirklichkeit als die von weither kommende Kunst herüberbringen.



Grete CSAKI-COPONY: Alte Bäuerin mit blauem Schal, 1927. Öl auf Leinwand
Grete CSAKI-COPONY: Alte Bäuerin mit blauem Schal, 1927. Öl auf Leinwand
Soviel zum Ort des Geschehens. Und nun zu den ausgestellten Gemälden. Der Großteil - etwa 70 Prozent - stammt aus dem Besitz des Siebenbürgischen Museums Gundelsheim, weitere Werke kommen aus deutschen Privatsammlungen. Die Bilder tragen wohlbekannte Signaturen: Arthur Coulin, Friedrich Mieß, Hermann Konnerth, Grete Csaki-Copony, Hans Eder, Hans Mattis-Teutsch, Henri Nouveau, Hermann Morres, Walter Widmann, Ernst Honigberger, Margarete Depner, Fritz Kimm, Ernestine Konnerth-Kroner. Aber auch Sándor Ziffer, Imre Nagy, Tasso Marchini, Sándor Szolnay, István Nagy, Antal Andor Fülöp, Oszkár Nagy, Olivér Pittner, Antal Nagy. Es ist übrigens das Verdienst eines überaus engagierten, leidenschaftlichen Kunstsammlers, des aus Sathmar stammenden und in Freiberg lebenden Arztes Dr. Josef Böhm, dass die Gundelsheimer Auswahl mit wichtigen Werken aus dem Norden Siebenbürgens, aus dem ungarischen Klausenburger und Szekler Kunstmilieu ergänzt wird, darunter auch mit Werken, die zum Teil kräftige Wurzeln in der Freilichtmalerei der Künstlerkolonie von Frauenbach/Baia Mare/Nagybanya aufweisen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit darf freilich nicht erhoben werden, sei es auch nur, weil wichtige Namen der rumänisch-siebenbürgischen Moderne – Anastase Demian, Catul Bogdan, Aurel Ciupe u.a. – in der Freiberger Auswahl leider fehlen. Nichtsdestotrotz rundet sich alles zu einem bemerkenswert organischen, eindeutig auf Ideenverwandtschaft, auf Geben und Nehmen ruhenden Ganzen, dessen innere Logik einzig und allein von stilistischen Kriterien bestimmt wird. Und das, obwohl im Freiberger Museum jetzt Bilder gezeigt werden, die mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nie zuvor nebeneinander hingen. Das Abrollen einer solchen Mechanik wirft übrigens unweigerlich die Frage auf, wieso die kunstwissenschaftlich unwiderlegbare Erkenntnis einer in vielen wichtigen Punkten zusammenhängenden Entwicklung der siebenbürgischen Kunstmoderne noch immer allzu wenig wahrgenommen wird – eine auffallende (Zurück-)Haltung in dieser unserer Gegenwart, in der die ethnischen Konnotationen in der Genese von Kunstwerken kaum noch mehr als Stoff für belanglose Marginalien liefern dürften.

Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass in Freiberg der Bekanntheitsgrad der siebenbürgischen Malerei zwischen gering und null liegt. Das mag womöglich die Vermittlungsaufgabe des Ausstellungsmachers um einiges erschweren, doch der Ausstellungsbesucher kann die neue Bilderwelt um so anregender angehen. Die Werke werden nämlich nicht primär aus dem Gefühl des Andersartigen, des Niemals-Gesehenen wahrgenommen, sondern ermöglichen eher ein Déja-vu-Erlebnis. Es reicht, wenn man dafür auf den Grundstock an Bildinformationen des durchschnittlichen Museumsbesuchers zurückgreift, eventuell auch die intensiv mediatisierten Vorbilder der europäischen Moderne ins Gedächtnis ruft: Alles, was hier gezeigt wird, kennt man irgendwie schon, ohne es selbst wirklich gesehen zu haben. Die Dinge sind präsent, man hat eine Vorstellung und einen Begriff davon. In der darauf folgenden Annäherungsphase dürfte dann auch das Typische dieser Kunst langsam Gestalt annehmen, das, was sie von den vorerst mental hervorgerufenen Beispielen unterscheidet.

Auch die Fragen, die man mit dieser Erkenntnis verbindet, dürften auf Antworten zielen, die die Problematik der siebenbürgischen Klassischen Moderne in einigen ihrer wichtigsten Züge umschreiben: Wo lassen sich solche Bilder eingliedern auf dem nirgends endenden Lauf von Stilen und Moden, wessen Weltspiegel ist es, der uns hier vorgehalten wird? Ist es der von kunsttreibenden Menschen in Paris, Berlin, München oder Wien in den 1920er, 1930er oder frühen Nachkriegsjahren, oder wird uns eine eigene, von all den genannten Brennpunkten weit entfernte Welt vorgeführt?

Hermann KONNERTH, Liegende, 1929, Öl auf Leinwand, Siebenbürgisches Museum Gundelsheim
Hermann KONNERTH, Liegende, 1929, Öl auf Leinwand, Siebenbürgisches Museum Gundelsheim

Die Antwort auf diese letzte Frage ist: Sowohl als auch! Oder, um genauer zu sein: Die Geschichte der siebenbürgischen Malerei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt sich keineswegs in einem weltentrückten, abgekapselten geistigen Raum ab, im Gegenteil, noch nie zuvor zeigte man so viel Interesse am aktuellen Geschehen in der Kunst. Das ist die eine Seite. Doch nicht alles, was auf Interesse stößt, muss mit all seinen Neben- oder sogar Haupterscheinungen bedenkenlos akzeptiert werden. Und das ist die andere Seite: Eine nahezu allgegenwärtige, oft vielleicht unbewusste Skepsis begleitet die Erscheinungen dieser Kunst. Eine Art von Zurückhaltung, die sich aber wider Erwarten nicht lähmend auf die Kreativität auswirkt und tief in der Geschichte der siebenbürgischen Malerei verankert ist. Eine Geschichte, die aus mindestens zwei wichtigen Gründen einen etwas sonderlichen Ablauf hat:

- Erstens müssen die siebenbürgischen Künstler des 20. Jahrhunderts auf eine ungewöhnlich kurze eigene Tradition zurückblicken, da sich die Malerei als bürgerliche Kunst erst in den zwei bis drei Jahrzehnten nach 1800 etabliert, dann allerdings als regierende Kunstform.

- Zweitens entwickelt sich diese verhältnismäßig junge Gemäldekunst im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf eine für den Aufbau eigener Werte sehr unvorteilhafte Weise. Der um 1830 in Gang gesetzte Siegeszug des Biedermeier ist nämlich so gewaltig, dass er ungestört von jeglichen Erneuerungsbestrebungen weit über die Jahrhundertmitte andauert, so dass um 1870 die äußersten Grenzen dieser Kunstform hoffnungslos erreicht werden. Die Künstlergeneration vor der Jahrhundertwende, allen voran der Hermannstädter Kreis mit Fritz Schullerus, Arthur Coulin und Octavian Smigelschi, versucht die Malerei aus dieser Sackgasse herauszuholen, indem sie sich an neueren, nicht aber den allerneusten Richtungen orientiert, letztendlich kommt sie aber über diese Ansätze nicht hinaus.

So sieht also das Erbe aus, mit dem die erste Malergeneration des 20. Jahrhunderts konfrontiert wird: Eine Kunst, die im Vergleich zur früheren Stagnation relativ viel erreicht, doch nach einem halben Jahrhundert der Apathie noch überhaupt keinen Anschluss an die bahnbrechenden Ausdrucksformen der neuen Zeit gefunden hat, und ein Publikum, bei dem in den meisten Fällen mit kaum überwindbaren Schwierigkeiten gegenüber der Rezeption neuer Kunsteinstellungen gerechnet werden musste.

Es steht nun außer Frage, dass ein neuer Anfang nur mit neuen Mitteln, in einem neuen Kontext stattfinden kann. In Siebenbürgen selbst scheint sich das Heranreifen an den neuen Auftrag viel zu langsam zu vollziehen. Die jungen Künstler fahren ins Ausland, studieren in Berlin und München, seltener in Paris, nehmen Kontakt mit progressiven Tendenzen auf (Sturm, Brücke und Neue Sachlichkeit, Kubismus und Fauvismus), kehren zurück in die Heimat, stellen ihre „schrecklich“ modernen Werke aus und werden allzu oft von der ablehnenden, manchmal sogar feindseligen Haltung des Publikums enttäuscht. Einige wandern ins Ausland aus, versuchen aber immer wieder in der Heimat auszustellen, mit dem Ergebnis, dass allmählich ein Publikum für die Kunst entsteht, das erkennt, dass die zeitgenössische Kunst trotz ihrer mehr oder weniger offenkundig antibürgerlichen Obertöne den Aufbruch aus den kulturellen Fesseln des 19. Jahrhunderts verspricht.

Wesentlich interessanter als die Reaktion des Publikums erscheint aber die Wirkung dieses neuen Kräfteverhältnisses auf die Künstler selbst. Ein Gegenüberstellen der frühen und der ab den späten 20er und frühen 30er Jahren entstandenen Werke lässt in sehr vielen Fällen eine vieldeutige Entwicklung erkennen, wenn es um die Radikalität der bildnerischen Ausprägung geht. Die Tendenz zeigt nämlich generell einen evidenten Fortgang von den bewegten Anfängen zu einer spürbaren Beruhigung der heftigeren Formulierungen. Es geht um die Suche nach einem wie auch immer gearteten Gleichgewicht bei gleichzeitiger Absage an jegliche Art von „unbändigem“ Umgehen mit den malerischen Ausdrucksmitten.

Hermann KONNERTH: Akt mit gelbem Hut, 1927, Öl auf Leinwand
Hermann KONNERTH: Akt mit gelbem Hut, 1927, Öl auf Leinwand

Nehmen wir das Beispiel der auch in dieser Ausstellung offensichtlich meist vertretenen expressionistischen Stilrichtung. Sie bildet eindeutig eine Konstante der Klassischen Moderne in Siebenbürgen, ihr fühlen sich zeitweise oder mit ihrem gesamten Werk viele der wichtigsten Maler verbunden, darunter Hans Eder, Sándor Ziffer, mit Einschränkungen Oszkár und István Nagy, Hermann Konnerth, Grete Csaki-Copony, Ernestine Konnerth-Kroner, Walter Widmann sowie auf seine abstrahierende Weise Hans Mattis-Teutsch. Die in Freiberg ausgestellten Werke dieser Maler lassen unmissverständlich ausschlaggebende expressionistische Qualitäten erkennen, wie beispielsweise den freien, bisweilen willkürlichen Umgang mit den Farben, die schroffe Pinselschrift oder die um Spannungsachsen versammelte Bildkomposition. Vergeblich würde man aber darüber hinaus nach der Leidenschaftlichkeit des Ausbruchs suchen, die etwa den Malern des deutschen Expressionismus so eigen war. Allgemein gilt: Man lässt sich nicht auf Extreme ein. Eine Aussage, deren Folgen sich auch im Falle der höheren oder geringeren Akzeptanz oder Nichtakzeptanz weiterer führender Tendenzen der Moderne bestätigen, ob es nun um kubistische oder konstruktivistische und um so mehr um irrationalistische (surrealistische) Einflüsse handelt. Als Beispiele seien hier Werke von Hans Eder (Französische Landschaft von 1908, mit intelligent verinnerlichten, etwas kraftvoller instrumentierten postcézannschen Bildideen), Sándor Szolnay (noch zaghafte Brechungen von Flächenplänen und Farbflächen im Porträt des Kinderarztes Kappel, 1929, vor allem aber in einem Schäßburg-Bild von 1939), Olivér Pittner (konstruktiv-dekorative Straßenbilder von Frauenbach) und Henri Nouveau/Heinrich Neugeboren (die große Ausnahme, dennoch nie bedingungslos radikal, sowohl in den konstruktiven als auch in den irrational anmutenden Werken).

Überblicken wir noch einmal die Bilder der Ausstellung vor dem Hintergrund des durchmessenen Zeitraums der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, so zeigt sich, dass die vielleicht wichtigste Gabe dieser Malerei ihre Direktheit ist, wodurch sie auch eine typische Verbundenheit mit dem Inhalt der Bilder erreicht. Das hilft ihr, mit dem starken Erbe jener dominanten „Realitätsnähe“ des späten 19. Jahrhunderts so gut zurechtzukommen, dass es ihr gelingt, Tradition und Gegenwart zu ambivalenten Bildaussagen zusammenzuzwingen, die moderner ästhetischen Welterfahrung in den meisten Fällen Rechnung tragen.

Marius Joachim Tataru


Die Ausstellung im Stadt- und Bergbaumuseum, Am Dom 1, 09599 Freiberg (nahe Dresden) ist bis zum 7. November, dienstags bis sonntags, 10.00-17.00 Uhr, zu besichtigen.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 16 vom 15. Oktober 2004, Seite 8)

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