10. Oktober 2004

Edith Gross: Neue künstlerische Perspektiven

Seit Ende der 70er Jahre lebt Edith Gross als freischaffende Malerin in Köln. Als Tochter siebenbürgischer Eltern wurde sie am 4. Oktober 1929 in Bukarest geboren. Nach dem Besuch der deutschen Gymnasien in Hermannstadt und Kronstadt begann sie ihr Studium an der Bukarester Kunstakademie.
Um den Zwängen des sozialistischen Realismus im kommunistischen Rumänien zu entgehen, wechselte sie bald aus der Klasse der Freien in jene der Angewandten Kunst. Trotz Zugehörigkeit zur deutschsprachigen Minderheit hatte sie unter der Diktatur Ceausescus nicht unmittelbar zu leiden. Sie war als erfolgreiche Bühnen- und Kostümbildnerin an der Bukarester Oper und auch an den Theatern zu Kronstadt und Temeswar tätig.

Dass sie ihren 75. Geburtstag in Köln, weit entfernt von ihrer geliebten Heimat, feiern würde, ahnte sie damals nicht. Ihre Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland bedeutete weder Vertreibung noch Flucht, sondern war eine Zusammenführung mit Mitgliedern ihrer Familie, die, aus Rumänien in die Sowjetunion verschleppt, in den Westen entlassen worden waren.

Edith Gross vor ihrer Komposition "Tessiner Landschaft", 1981/1982, Öl auf Leinwand.
Edith Gross vor ihrer Komposition "Tessiner Landschaft", 1981/1982, Öl auf Leinwand.

Oft denkt Edith Gross an ihr Abschiedsgespräch mit ihrem Professor, dem Maler Alexandru Ciucurencu, der ihr riet, Ehrlichkeit zu wahren im Umgang mit den Menschen und mit der Kunst. 1998 nahm ein angeblicher Vertreter einer New Yorker Agentur zu Edith Gross Kontakt auf und bot ihr eine Einzelausstellung im berühmten Guggenheim-Museum an. Begeistert suchte die Künstlerin 54 Arbeiten aus den letzten beiden Jahrzehnten zusammen und schickte sie nach New York. Man teilte ihr mit, davon kämen 34 Gemälde für die Ausstellung in Frage – doch diese fand nie statt. Die Künstlerin war einem Betrüger aufgesessen, schockiert hat sie allerdings weniger der materielle Verlust als die Amputation ihres Werkes.

In ihrem wechselvollen Leben voller Höhen und Tiefen meisterte sie ihr Schicksal dank einer positiven Einstellung, die sich auch in ihren Bildern ausdrückt, und dank ihres christlichen Glaubens. In ihrer Kunst gibt es allerdings keine biblischen Themen. Ihr Repertoire umfasst figurale Kompositionen, Landschaften, Stillleben und Architekturbilder. Bereits in ihrer Studienzeit liebte Edith Gross – wie viele ihrer Kollegen in Bukarest, im Paris des Balkans – die Klassiker der französischen Moderne, Cézanne, Braque, Delaunay. Auch mit den russischen Suprematisten hat sich Edith Gross auseinandergesetzt und natürlich mit dem deutschen Expressionismus, der besonders bei den siebenbürgisch-sächsischen Kollegen in Kronstadt Widerhall fand. Ausgehend von der künstlerischen Tradition verfolgte die Malerin jedoch persönliche Wege. Der besagte Begriff Ehrlichkeit war und ist für sie kein leeres Wort.

Auf der Staffelei im Kölner Atelier der Seniorin steht eine Landschaft. Plötzlich erscheint der Malerin ein Mensch, der auf den Horizont dieser Landschaft zuschreitet. Realität und Vision. Das Bild soll Teil eines Triptychons werden, das eine neue malerische Perspektive eröffnet und die Künstlerin wochenlang beschäftigen wird. Das Schaffen geht also weiter. Doch ab und zu schweifen die Gedanken in die Vergangenheit, und die Erinnerung an die zahlreichen Ausstellungen in Rumänien und Deutschland, Japan und Australien, skandinavischen Ländern und Italien erfüllt die Kölnerin aus Rumänien mit Genugtuung.

Günther Ott (KK)

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