13. Oktober 2004

Niederländische Spuren in Siebenbürgen

"Die kulturellen Verbindungen der Niederlande mit Siebenbürgen seit dem 12. Jahrhundert" waren Gegenstand einer internationalen Tagung, die am 10. und 11. Juni im Brukenthal-Museum in Hermannstadt stattfand. Das Museum präsentierte aus eigenen Beständen flankierend die Ausstellung: "Holländische Malerei und seltene kostbare Bücher des 16. und 17. Jahrhunderts". Die Tagungsbeiträge sind in einem Sonderheft der Kulturzeitschrift Transilvania (Nr. 6/2004) veröffentlicht.
Das Symposium wurde organisiert vom Interethnischen Zentrum Hermannstadt in Zusammenarbeit mit der Lucian-Blaga-Universität sowie der Werkgroep Saksische Weerkerken der Stiftung Operation Villages Roumains – Nederland, mit finanzieller Unterstützung der niederländischen Botschaft in Bukarest. Der niederländische Botschafter in Bukarest, Pieter Jan Wolthers, und Hermannstadts Bürgermeister Klaus Johannis eröffneten die Tagung, in deren Verlauf Referate und Diskussionen folgten zu den Themenbereichen: Aspekte der Sprache, Landwirtschaft, historische Geographie, Anthropologie, Archäologie und Volkskunde.



Umschlagbild der Zeitschrift Transilvania: Jan van Eyck, Mann mit der blauen Sendelbinde, ca. 1429
Umschlagbild der Zeitschrift Transilvania: Jan van Eyck, Mann mit der blauen Sendelbinde, ca. 1429
Die Tagungsteilnehmer, Wissenschaftler aus Rumänien, den Niederlanden, Belgien und Deutschland, begaben sich auf Spurensuche nach den niederländischen Einflüssen in Siebenbürgen. Dabei ist anzumerken, dass die Niederlande als Staat im Grunde erst mit dem Westfälischen Frieden von 1648 in die Geschichte eintreten. Vordem koexistierten lose die Provinzen Flandern, Brabant, Holland u.a.m. lange Zeit als Teil der Erblande der spanischen Habsburger-Monarchie. Im Hoch- und Spätmittelalter gelangten die später in den Niederlanden vereinigten Provinzen durch Handel und Gewerbe zu wirtschaftlicher wie kultureller Blüte. Mit diesem Aufschwung einher ging das Streben des selbstbewussten Bürgertums nach innenpolitischer Unabhängigkeit. Wie nun das Symposium in Hermannstadt erwies, haben besonders im 17. Jahrhundert, dem so genannten Goldenen, zwischen den Niederlanden und Siebenbürgen kulturelle Beziehungen bestanden, deren nachhaltige Auswirkungen teilweise noch heute zu erkennen sind: in der Sprache, in der Dorfkultur, in der Form der Siedlungen und dem Brauchtum. Eugene Van Itterbeck, neben Ton van Rijen und Corvin Lupu einer der Initiatoren dieser wissenschaftlichen Tagung, erinnerte an den Briefwechsel zwischen den beiden Humanisten Erasmus von Rotterdam und Nicolaus Olahus aus Hermannstadt, dem in der Zeitschrift Transilvania ein Beitrag gewidmet ist. Baron Samuel von Brukenthals kostbare Gemäldesammlung umfasst auch flämische und holländische Werke des 16. und 17. Jahrhunderts, die in diversen Artikeln abgehandelt werden. Weitere Anschauungsmöglichkeit bot in diesem Zusammenhang die Begleitausstellung. Thematisiert wird auch das berühmte Brukenthal-Gemälde des Jan van Eyck („Mann mit der blauen Sendelbinde“, ca. 1429), das zudem die Transilvania Nr. 6 als Umschlagbild ziert.

Niederländische Spuren in der siebenbürgisch-sächsischen Mundart wies Sigrid Haldenwang nach, federführend verantwortlich für die Erstellung des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs. In einer tabellarischen Übersicht im Anhang der Kulturzeitschrift Transilvania sind Wörter der jeweiligen Hoch- bzw. Dialektsprache (u.a. Deutsch, Niederländisch/Flämisch, Siebenbürgisch-Sächsisch) einander gegenübergestellt. Verwandtschaften werden so augenfällig, wie z.B. bei „Apfel“ (Mundart: „Appel“; Niederländisch: „appel“), bei „Gabel“ (Mundart: „Gaffel“; Niederländisch: „gaffel“) oder bei „Pfeife“ (Mundart: „Pip“; Niederländisch: „pijp“).

Auch im Bereich der Siedlungsgeschichte haben Fachreferenten in Hermannstadt niederländische Einflüsse konstatiert. Den Ausführungen von Ton van Rijen zufolge zeugen hiervon bauliche Strukturen der Wehrkirchen in den Dörfern wie der Stadtbefestigungen. Die Kirchenburgen müssten als einzigartiges Kulturerbe erhalten werden. Es wurde vorgeschlagen, zu diesem Zweck in gemeinsamer Zusammenarbeit internationaler Verbände verstärkt initiativ zu werden.

Bis tief hinein ins Brauchtum sollen sich niederländische Einflüsse manifestiert haben. Sigrid Haldenwang stellt den heute kaum noch bekannten siebenbürgisch-sächsischen Brauch des Gansabreitens vor, der Mitte des 19. Jahrhunderts in Siebenbürgen „abgeschafft“ wurde (in Schirkanyen um 1900 letztmalig erwähnt). Bei diesem Fastnachtsbrauch wurde – in lokal abgewandelter Form – eine Gans an einem aufgespannten Seil festgebunden. Die Burschen ritten dann darauf zu und hieben im Vorbeireiten mit ihrer Peitsche auf das Federvieh ein. Dies geschah unter den Augen der schaulustigen Menge. Nach dem blutigen Spektakel traf man sich zum heiteren Fest. Eben diesen Brauch, der außer in Siebenbürgen in keinem anderen Landesteil Rumäniens bekannt sei, ortete Haldenwang u.a. auch in den Niederlanden.

Das Symposium zeichnete anhand vieler Beispiele einerseits die Konturen der historischen niederländisch-siebenbürgischen Beziehungen nach, machte andererseits deutlich, welch erheblicher Forschungsbedarf auf diesem Felde noch besteht. Folglich soll die wissenschaftliche Diskussion fortgesetzt werden. Weitere interdisziplinäre Untersuchungen z.B. zur religiösen Kultur und ihrer Institutionen, zur demografischen Entwicklung und zur Wirtschaftsgeschichte sind in Planung. Es ist beabsichtigt, 2007 (im Jahr des avisierten EU-Beitritts Rumäniens) in Hermannstadt – dann gemeinsam mit Luxemburg Kulturhauptstadt Europas – in einem neuerlichen internationalen Symposium die Bedeutung und den Stellenwert der Entwicklung Siebenbürgens in europäischen Perspektiven zu thematisieren.

Christian Schoger


Bezug Transilvania, Nr. 6/2004: für 50 000 Lei bei Centrul Cultural Interetnic Transilvania, Str. Tribunei nr. 6, RO-550176 Sibiu, transilvaniaro@yahoo.com; oder zum Preis von 5 Euro bei Ton van Rijen, E-Mail: rijen35@zonnet.nl.

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