17. November 2004

"Siebenbürgen gibt es nicht mehr"

Georg Aescht dokumentiert in einer kleinen Anthologie die „schillernden Reflexe“ einer „verschwimmenden (Kultur)Landschaft“
Im Jahre 1997 hat der Wieser Verlag in Klagenfurt begonnen, unter dem wiederkehrenden Dachtitel „Europa erlesen“ eine Reihe von kleinen Anthologien herauszugeben: Auf jeweils zwei- bis dreihundert Seiten im Taschenbuchformat, aber ordentlich gebunden und festlich mit Goldprägung versehen, werden Texte versammelt, mit deren Hilfe man sich bestimmte Orte und Regionen Europas – von Venedig bis Sankt Petersburg und von Galizien bis zum Salzlammergut – „erlesen“ kann, zu ihnen literarisch hingeführt wird. Individuelle Annäherung soll sich vollziehen, denn es sei, so Verleger Lojze Wieser, „hoch an der Zeit, die friedliche Koexistenz auf Menschen und nicht auf Militärblöcke zu beziehen“.
Die handlichen Bändchen sind von der Kritik sehr wohlwollend aufgenommen worden. Die Zeit in Hamburg nannte sie „wahre Kleinodien“ und zeigte sich darüber erfreut, dass in Zeiten der „Globalisierung und Eurofizierung“ gerade die „Unterschiede zwischen den Regionen“, die „Wunderkammern der kleinen Räume“ ans Tageslicht gebracht werden. Mit den Bändchen trete, so die Neue Zürcher Zeitung, „in der Schnittmenge von Eigen- und Fremdbild das unverwechselbare Profil von Gegenden“ hervor, „die sich selbstbewusst in die Vielfalt Europas einpassen“. Die Frankfurter Rundschau wertete die willkommenen „Nachlesebücher“ als ideale „Reisebegleiter“, die Süddeutsche Zeitung sprach von einer Reihe, „mit der Sprache kartografiert“ werde, auf dass die „Bilder im Kopf des reisenden Lesers fast wie von selbst entstehen“, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung meinte gar, die kleinen Anthologien seien „an Handlichkeit und schönem Design unübertroffen“.
In dieser Reihe, die sich solch guten Rufs erfreut, ist kürzlich der Band „Siebenbürgen“ erschienen. Als Herausgeber zeichnet Georg Aescht, der zur „Nachbemerkung“ seiner Auswahl wie folgt ansetzt: „Eine Sammlung literarischer Texte über Siebenbürgen kann nur ein Nachruf sein. Siebenbürgen gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch die Landschaft im Karpatenbogen, die ihr einst multinationales Gepräge in steinernen und papiernen Zeugnissen tradiert, jedoch nicht mehr lebt. Sie ist zum ruinenhaften Denkmal ihrer selbst erstarrt.“
Was Aescht hier zu Grabe getragen weiß, ist nicht das geografische Areal, das auf deutschen Karten Siebenbürgen, auf rumänischen Transilvania und auf ungarischen Erdely heißt, sondern eine Kulturlandschaft, wie sie bei all ihrem Nebeneinander von Gegensätzlichem dennoch als Einheit und Spezifikum bestanden hat. Auf engstem Raum gab es hier, mehrsprachig artikuliert, nationale Überhebung neben glättender Toleranz, gehässigen Sozalneid neben respektvoller Anerkennung ökonomischen Leistungswillens, elitäres Künstlergebaren neben folkloristischem Populismus – alles zusammen in einem durchaus eigenartigen Gemisch, und zwar so, dass sowohl der Siebenbürger Deutsche als auch der Siebenbürger Ungar und Rumäne sich durchaus unterschieden vom mehrheitlichen Rest ihrer Volksgenossen an Rhein oder Elbe, in der Pannonischen Tiefebene oder jenseits des Karpatenbogens. Der sogenannte „Transilvanismus“ der Zwischenkriegszeit, dem Sympathisanten aus allen drei Ethnien das Wort redeten, mag als letzter kulturell-ideologischer Ausfluss des in Teilen gemeinsamen Untergrunds an Lebensgefühl und Lebensart gewesen sein. Ihn, diesen gemeinsamen Untergrund, hat inzwischen ein halbes Jahrhundert kommunistischer Diktatur zerstört, haben die Planierraupen eines kulturfeindlichen und unmoralischen Systems für alle Zeiten zugeschüttet. Und bei der heute fortschreitenden „Globalisierung“ wird kaum Gelegenheit sein, das so gründlich Eingeebnete auferstehen zu lassen: „Siebenbürgen gibt es nicht mehr“ – der Satz ist unabänderlich wahr.
Zum „literarischen Nachruf“ auf die Kulturlandschaft hat Aescht Gedichte und (meist fragmentarische) Prosatexte mehrheitlich deutscher, aber auch rumänischer und ungarischer Autoren zusammengetragen. Da stehen neben Namen wie Gregor von Rezzori oder Adolf Meschendörfer, neben Erwin Wittstock oder Georg Scherg, Wolf von Aichelburg oder Hans Bergel, Dieter Schlesak oder Eginald Schlattner, Oskar Pastior oder Annemone Latzina, Franz Hodjak oder Werner Söllner auch solche wie George Cosbuc und Liviu Rebreanu, Octavian Goga und Lucian Blaga oder Endre Ady und Jozsef Meliusz, Lajos Letay und Adam Bodor.
Um „nationalpolitische Rhetorik, sei sie nun auf Rechtfertigung oder Schuldzuweisung aus“, zu vermeiden, war Aescht nach eigener Aussage bemüht, sich „auf Autoren zu beschränken, die nie jemandes Sprachrohr sein wollten, sondern ihre eigene Sprache gesucht haben“. Das Kriterium ist, besonders in seinem letzten Zusatz, nämlich dem von der Suche nach einer „eigenen Sprache“, etwas schwammig, allenfalls dehnbar: Welcher seriöse Autor befindet sich denn n i c h t auf der Suche nach der „eigenen Sprache“? Und haben sich etwa Heinrich Zillich oder Nicolae Iorga, die in der Sammlung ebenfalls vertreten sind, nicht selbst als auch „Sprachrohr“ von Ideologien gesehen und recht wohl „nationalpolitische Rhetorik“ betrieben?
Wie dem auch sei, die Anthologie liefert ein farbiges und daher lesenswertes Bild der Kulturlandschaft Siebenbürgen: sozialgeschichtliche Streiflichter erhellen den historischen Hintergrund, Mentalitäten verdichten sich zu Handlungskernen und werden deutlich wie bedeutsam, Lebensweisen, Leiden und Tod bringen sich in Erinnerung. Wiederholt werden Abschiede gefeiert und im Rückblick nicht selten auch rechtfertigt – das liegt in der Natur des Gegenstands, dem „nachgerufen“ wird. Dennoch ist das Buch kein nostalgisches Brevier, sondern ein pulsierendes Panorama, das Vergangenheit mit dem „Glauben an die Erzählbarkeit der Welt“ Gegenwart und damit Wirklichkeit werden lässt. Man erlebt sie beim „Erlesen“, weil die Texte mit Kenntnis, Bedacht und Geschmack ausgewählt sind, und merkt gar nicht, dass man als Freund des Landstrichs Siebenbürgen längst zum bloßen Nacherleben verurteilt ist.

Hannes Schuster


Europa erlesen. Siebenbürgen. Herausgegeben von Georg Aescht. Wieser Verlag, Klagenfurt 1999, 256 Seiten
Erschienen in der SbZ, Folge 14 / 1999
Europa erlesen: Siebenbürgen
Europa erlesen: Siebenbürgen

Wieser Verlag
Gebundene Ausgabe
EUR 14,95
Jetzt bestellen »

Bewerten:

2 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.