17. November 2004

Russische Lager - auch eine positive Lebenserfahrung

Sie saß in einem kleinen siebenbürgischen Dorf in einem Garten unter einem Apfelbaum und las Adalbert Stifter. Nur wenig später war die siebzehnjährige Erika Burghart in einem Viehwaggon unterwegs in die Weiten Russlands. Einige der aus Siebenbürgen nach Russland Deportierten haben ihre Erinnerungen aufgeschrieben - Erika Burghart war eine der allerjüngsten, und darum ist ihr Buch, „Mädchenjahre hinter Stacheldraht“, 2003 im Hermannstädter hora Verlag erschienen, besonders anrührend.
Offensichtlich hat es auch die Redaktion der Sendung „Menschenbilder“ des Radio ORF 1 beeindruckt, denn sie hatte sich bei Erika Feigl-Burghart gemeldet, die heute in Baden bei Wien lebt: „Heinz Janisch hat angerufen und gefragt, ob er ein Interview haben kann, doch leider ist es dann so gekommen, dass ich im Spital war; doch zum Glück hatte ich keinen Zimmergenossen, und so habe ich 50 Minuten frei reden können.“ Erika Feigl-Burghart hat das erzählt, was ihr wichtig ist: „Dass das Buch keine Abrechnung ist, denn das Leben in den Lagern war auch durchaus eine positive Lebenserfahrung.“ Sie richtete in dem Interview einen Appell an all jene, denen der Krieg und seine Folgen schweres Leid zugefügt haben. Es sei eine weit verbreitete Meinung, dass nichts vergessen werden dürfe, sagte sie, dass gesühnt und wieder gut gemacht werden müsse, doch „das ist in meinen Augen falsch, denn die Welt kann nicht friedlich werden, solange man in alte Wunden greift und nach Vergeltung ruft.“ Man müsse in erster Linie verzeihen können, nur dann „gibt es ein gedeihliches Mit- oder Nebeneinander. Das lehren alle Weltreligionen, und darum habe ich in meinem Buch auch stets das Gute, das mir widerfahren ist, hervorgehoben.“



Vor Freude strahlend: Auf dem Umschlagfoto Erika Feigl (links) bei der Rückkehr aus der Deportation am Wiener Südbahnhof, daneben ihre Mutter.
Vor Freude strahlend: Auf dem Umschlagfoto Erika Feigl (links) bei der Rückkehr aus der Deportation am Wiener Südbahnhof, daneben ihre Mutter.
In dem Interview, das am 19. September in der Sendung „Menschenbilder“ ausgestrahlt wurde, unterbrachen Passagen aus dem Buch, die eine Radiosprecherin vorlas, und russische Volksmusikstücke die Erzählung Erika Feigl-Burgharts, der es ungemein wichtig ist, die Bedeutung von Versöhnung zu betonen: „Auch ich wurde ohne Schuld ein Kriegsopfer, auch ich habe meinen Vater verloren, keinen Beruf erlernen können, aber trotzdem habe ich keine Hassgefühle in mir aufkommen lassen. Ich nenne so etwas psychische Hygiene.“

Die Autorin schilderte ihre Eindrücke damals, 1945, im ersten Lager im Donbass, so, wie sie auch im Buch zu lesen sind: „Das Lagerareal, in welches man uns nun hineinführte, war von einem doppelten Stacheldrahtzaun umgeben, und an jeder Zaunbiegung stand ein hölzerner Wachtturm, von wo aus ein Posten bei Nacht von Zeit zu Zeit einen Scheinwerferstrahl über das Gelände schweifen ließ. Drei zweistöckige steinerne Gebäude, unsere Quartiere, waren ehemalige Kasernen und ursprünglich mit Zentralheizung ausgestattet gewesen, sie funktionierte jedoch nicht mehr. In den einzelnen Zimmern gab es untere und obere Reihen von Pritschen aus ungehobelten Brettern, ohne Matratzen und ohne Zwischenräume. Wir mussten im ersten Winter auf bloßem Holz liegen. Es gab außerdem noch eine traurige elektrische Birne, die ein trübes Licht verbreitete, ein paar Kübel und ein Fenster, weder Tisch noch Bank oder gar Spinde und schon gar keinen Ofen. Ein ursprünglich im Keller vorhandener Waschraum war ohne Wasser, wir mussten es stets aus einem Brunnen im Hof holen, nachdem einer der Männer das Eis aufgeschlagen hatte.“ Es war eine schlimme Zeit, doch sie verlor nie ihren Lebensmut, sogar verliebt hatte sie sich, in einen jungen deutschen Kriegsgefangenen, der die Kuh seines Lagerkommandanten auf die Weide führen musste: „Er nannte mich mein Sternchen, und wenn wir auf der Wiese sitzend die Zeit vergaßen, kamen mitunter seine Kameraden vorbei und neckten uns. Das Bübchen, das Püppchen und die Kuh, so riefen sie schon von weitem auf ihrem Weg von der Arbeit. Im Laufe der Wochen entstand zwischen uns eine schwärmerische Liebe, zu der man wohl nur in diesem Alter fähig ist.“

Es folgten in dem Interview Beschreibungen der Arbeit im Kohlenschacht und die Begegnung mit ihren ersten „Lehrmeisterinnen“, den Bauernmädchen aus Bessarabien. Ein schwerer Unfall überschattete ihren 18. Geburtstag, die Genesung gelang mit Hilfe einer schwäbischen Rot-Kreuz Schwester, die eine Zimmergenossin und als gewöhnliche Arbeiterin tätig war. Auch von dem Schicksal ihres Vaters im sibirischen Lager erzählte sie, und von den „erfolglosen Bemühungen meiner Mutter um meine Freilassung“ bis hin zur glücklichen Heimkehr.

Erika Feigl-Burghart ist viel unterwegs, um ihr Buch bekannt zu machen, auf Lesungen und Buchvorstellungen. Nach dem Interview kamen natürlich auch Bestellungen, eine aber hat sie besonders gefreut: „Es war eine Bestellung aus Leoben, da hat eine junge Frau ein paar Bücher für russische Studenten bestellt, die dort an der Montan-Union studieren“, berichtet sie bewegt.

Anselm Roth

Von der Sendung gibt es eine CD oder eine Musikkassette, die beim ORF unter der Rufnummer (0043) 1-50 170 37 14 bestellt werden können. Das Buch „Mädchenjahre hinter Stacheldraht“ ist für 19,80 Euro im SiebenbuergeR.de-Shop oder bei Anselm Roth, Finkenstraße 19, D-82256 Fürstenfeldbruck, Telefon: (0 81 41) 81 91 83 (ab 20. November), erhältlich.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 18 vom 15. November 2004, Seite 9)

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