30. Dezember 2004

Oskar Pastior: Beim Wort genommen

Sie sind wieder greifbar, schwarz auf weiß, die vielleicht freiesten, weil verspieltesten und übermütigsten Texte Oskar Pastiors, die er während der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre verfasst hat: „Das Tangopoem“, 1978 beim Literarischen Colloqium Berlin erschienen, „Der krimgotische Fächer. Lieder und Balladen. Mit 15 Bildtafeln des Autors“, im gleichen Jahr bei Renner in Erlangen erstmals veröffentlicht, und „Wechselbalg“, 1980 bei Ramm in Spenge publiziert.
Darüber hinaus umfasst der neue Band der Werkausgabe beachtliche 100 Seiten mit bisher nicht oder nur in Auszügen bekannten Texten sowie Zeichnungen der Jahre 1974 bis 1980 unter dem „krimgotischen“ Gesamttitel: „Minze Minze flaumiran Schpektrum“, Werkausgabe Band 3, herausgegeben von Ernest Wichner, Carl Hanser Verlag München 2004, Edition Akzente, 348 Seiten, Preis: 21,50 Euro, ISBN 3-446-20416-4.

„Waische Tsintsar/ waische Tsimtsar/ waische Tsimsim/ waische Simtar/ Diktschor“ – wer hätte diese eindringliche Beschwörung nicht immer noch im Ohr, der jemals das Vergnügen hatte, Oskar Pastior beim „Gelsenvertreiben“ zuzuhören! Oder die vordergründig humorvolle Schimpftirade in der „Ballade vom defekten Kabel“, die den siebenbürgisch-sächsischen Dialekt evoziert – „Humrem hä?/ Do humrem/ Nodo humrem/ kaineschfawls// Ehs ischtolt ain däfäktäs/ rumpltsch/ traktaz/ ä nedderschtilchz/ Rompl-Grompt“ –, de facto aber aggressionsgesteuert ist und in der unmissverständlichen Forderung gipfelt: „Schlochtehz ihm/ schlochtehz ihm“. Vor allem der ,multilinguale‘ Aspekt des „Krimgotischen Fächers“ fasziniert immer wieder neu und anders, da er quasi unerschöpfliche Assoziations- und Interpretationsmöglichkeiten bietet. Denn Pastior hat bei diesen „Liedern und Balladen“ die „Schiene der Einsprachigkeit“ ganz bewusst verlassen und „Reste von all dem, was sich im Laufe meiner Biographie [...] im Kopf gesammelt hatte“, in die Texte eingebracht: „Konkret: die siebenbürgisch-sächsische Mundart der Großeltern; das leicht archaische Neuhochdeutsch der Eltern; das Rumänisch der Straße und der Behörden; ein bissel Ungarisch; primitives Lagerrussisch; Reste von Schullatein, Pharma-Griechisch, Uni-Mittel- und Althochdeutsch; angelesenes Französisch, Englisch ... alles vor einem mittleren indo-europäischen Ohr ... Und, alles in allem, ein mich mit-ausmachendes Randphänomen.“

Mittlerweile gibt es Ansätze von Literaturwissenschaftlern, Pastiors Sprachränder zu entschlüsseln, den experimentellen Weg, den der Autor „Vom Sichersten ins Tausendste“ – so der Titel seines ersten Buches hierzulande – beschritten hat, gewissermaßen umzukehren. Doch wem frommt’s – außer den Selbstrechtfertigungszwängen eines Orchideenfachs? Es ist müßig, anhand der Texte den Autor verstehen zu wollen, denn das Einzige, was dem Rezipienten im Spiegel dieser Texten begegnet, sind seine eigenen „Ungereimtheiten“. Und genau darauf hofft Oskar Pastior, wenn er die Sprache(n) „beim Wort nimmt“ – wie er im Gespräch mit Ludwig Harig bekennt: „Ich finde es schön – und das ist nicht nur meine Privatsache – wenn der Leser oder Hörer, auf den ich setze, einen Text gut findet. Sein Vergnügen am Denken finde ich schön, auch seine Betroffenheit, sein Erkennen von noch nicht Erkanntem, sein Wach- und Hellhörigwerden“.

Ein bewegendes Zeugnis dafür, dass Pastiors Texte ihre Leser auch ohne gelehrte Exegese erreichen, hat Herta Müller mit ihrem Artikel zum siebzigsten Geburtstag des Schriftstellerkollegen in der „Zeit“ geliefert, in dem sie beschreibt, wie „Der krimgotische Fächer“ in ihren rumänischen Fabrikalltag hineinreichte – zwischen das Übersetzen von Bedienungsanleitungen, tägliche Verhöre seitens des Geheimdienstes und Streit in der Liebe. Besonders ein Gedicht wurde zu ihrem „Komplizen“, ihrem „Gebrauchsgegenstand“: „TAS ILLUSIUN/ statisfiziert/ die mengliche/ Schraufe/ läumstens/ kollekt// aber das/ Eibliche/ urmelt/ wacholder/ wardeinisch/ frontäl –:// Minze Minze/ flaumiran/ Schpektrum“. Und sie räumt ein: „Dies Gedicht war damals und ist heute noch beim Lesen das, was ich gerade bin. [...] Es blieb an mir hängen, ich hatte da gar keine Wahl [...], zehre noch heute von dieser Beschwörungsformel. [...] Wir lassen uns nicht im Stich. Wir beide sind, auch wenn es von außen anders aussieht, den Zumutungen des Tages gewachsen. Für Germanisten sind Oskar Pastiors Gedichte Experiment und Verweigerung von Kommunikation. Für mich sind sie das Gegenteil: Keine Gedichte haben mir soviel Platz gelassen wie diese. Keine haben mich so nahe begleitet.“

Der dritte Band der Werkausgabe, der manch bekannte und manch unbekannte Texte vereint, hält für jeden Leser ein unvergleichliches „Schpektrum“ an Entdeckungen bereit – nicht nur angesichts des „enigmatischen Hunes“, sondern auch hinsichtlich der eigenen Schieflage: „Überlembemde// Ah/ ös Fläckehr ihm Pältz!“ Denn für den „Dunstkreis“ von „Randphänomenen“, die Leser- und Autorschaft betreffen, gilt laut Pastior – und zu Recht: „Nichts ist uns fremd; selbst was fremd anmutet, ist anmutend ...“

Edith Konradt

Oskar Pastior: „Minze Minze flaumiran Schpektrum“. Werkbandausgabe Band 3, Edition Akzente, Carl Hanser Verlag, 344 Seiten, 21,50 Euro, ISBN 3-446-20416-4.
"Minze, Minze flaumiran Schpek
Oskar Pastior
"Minze, Minze flaumiran Schpektrum": Werkausgabe Band 3

Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Taschenbuch
EUR 15,99
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