31. Dezember 2004

"Bäume-Binden" am Neujahrs-Samstag

Das "Bäume-Binden" ist ein siebenbürgisch-sächsischer Brauch, der am "Neujahrs-Samstag" (31. Dezember) in Henndorf gepflegt und grundsätzlich von den Kindern durchführt wurde. Johann Unberath schildert den Brauch aus seiner Heimatgemeinde.
Am "Neujahrs-Samstag" (so hieß bei uns der 31. Dezember / im Dialekt: Gärschs-Sonnävend) fertigten die Kinder im Laufe des Vormittags in der Scheune armdicke Binden aus Stroh an und legten sie griffbereit auf einen Haufen in den Scheunenausgang dem Garten zu. Kurz vor 12 Uhr standen die Kinder vom Hof – in Begleitung eines Erwachsenen - neben ihren Strohbündeln (Strihboindel) und warteten in voller seelischer Spannung auf den auslösenden ersten Glockenschlag. Punkt 12 Uhr begannen die Glocken zu läuten, und das Geläute dauerte an diesem letzten Tag des Jahres (egal welcher Wochentag es war) zehn Minuten. Wir Kinder stürzten uns auf die Strohbinden und legten um jeden Baum unseres Gartens in etwa 50 cm Höhe einen Strohring. Unser Ehrgeiz war es, in den zehn Minuten mit der Tätigkeit fertig zu werden. Es war, als solle der Klang der Glocken unsere Tätigkeit nicht nur begleiten, sondern auch segnen. In allen Gärten des Dorfes geschah zu diesem Zeitpunkt das Gleiche. Ist es zu verwundern, dass wir unwillkürlich eine Feierlichkeit empfanden, wenn wir die letzten Minuten still und andächtig dem Glockenläuten zuhörten? Wir waren fünf Brüder und jedes Mal in weniger als zehn Minuten mit unserer Arbeit fertig, wonach wir uns immer unter demselben Baum versammelten und dem Glockenklang lauschten. Das Wort Mythos kannten wir noch nicht, aber es wehte uns ein Gefühl dafür an.

Den Sinn unserer Tätigkeit hatte man uns erklärt: Ab jetzt sammelten sich alle Schädlinge, die in die Baumkrone kriechen wollten, in dem warmen Strohbund. Im Frühjahr erst wurde das Stroh abgenommen und verbrannt, damit waren auch die Schädlinge vernichtet Das würde man heute ökologische Schädlingsbekämpfung nennen. Im Januar-Februar wurden dann die Baumkronen zurecht geschnitten, Baumstämme und Äste von eventuellen Flechten befreit. Damals hätte niemand seine Obstbäume im Haus- oder Baumgarten des Weingartens mit Chemikalien gespritzt.

Es war eine Genugtuung, dass man etwas Sinnvolles tat, aber es bestand auch der Anreiz, dass an diesem letzten Tag des alten Jahres das ganze Dorf in einer Tätigkeit vereint war, dass man also zusammen das Jahr abschloss und das neue Jahr sozusagen vorbereitete.

Unsere Altvorderen hatten auch pädagogischen Takt, wir wurden jedes Mal gelobt und die Sinnhaftigkeit unseres Tuns wurde unterstrichen. Abschließend gab es dann das gemeinsame warme Mittagessen, und die Welt war rundum in Ordnung.

Johann Unberath

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2004, Seite 5)

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